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Das Gemüse des Monats: Chicorée

In dieser Serie stellen wir jeden Monat ein ganz besonderes Gemüse der Saison vor - von seiner Kulturgeschichte über Zubereitungsarten bis hin zu den besten Adressen dafür in Berlin. Im Februar ist das der Chicorée, der sich seit Jahren mit dem Aufbau eines Fanclubs schwer tut. Zu Unrecht!

Bei manchen Gemüsesorten ist es wie mit dem Wedding - kommt bald! In Sichtweite allerdings sind zunächst allerdings lediglich grummelige Gesichter und Würgereiz. Dem feinen Herr Chicorée geht es da ganz ähnlich. Gerne vergleiche ich ihn mit dünnen glatten Haaren, wie ich sie habe; die können sich nicht einmal verknoten. Weil sie schlichtweg gar nichts können. Nun, so muss ich an einigen Stellen revidieren, das stimmt nicht ganz. Hier ein geflochtener Zopf, da ein Pagenschnitt - man muss eben ein bisschen mitmachen. Wie auch beim Chicorée. Dass der nun kein aufregender Lockenkopf ist, war klar - aber nicht alles kann ein Romanesco sein!

Staude oder Schote? Überirdische Blattrosette!

Grobschlächtig verpackt in einer Plastiktüte, ist Chicorée meist in 3er-Packungen für kaum zwei Euro erhältlich, zumindest im Supermarkt. Das ist nicht besonders Image stärkend und würde man bei Romanesco nie machen. In Deutschland wird Chicorée allerdings ohnehin umfassend stiefmütterlich behandelt. Nicht so in Frankreich, Belgien oder der Niederlande, wo Chicorée als Delikatesse gilt; sogar Kinder essen das dort. Kleine Kinder!

Chicorée gehört zur Familie der Korbblütler, wird im März ausgesät und geerntet, wenn es kalt ist - da haben wir in Deutschland, ja besonders in Berlin, also Glück: Er wächst zunächst unter der Erde als Rübe und bildet dann eine überirdische Blattrosette: den essbaren Chicorée. Klingt ja schon fast adlig! Wäre da nicht dieser bittere Geschmack. Die Lieblingsantwort einer privaten Umfrage im Freundeskreis, wie man es mit Chicorée halte: „Nun, wenn man weiß, was kommt, geht's eigentlich". Was kommt, ist nämlich eine ziemlich unangenehme Note im knackigen Teil der Rosette - man kann es kaum oft genug sagen! - gefolgt von einer leichten Süße in den gelbgrünlichen Spitzen. Ein bisschen wie Radicchio, bloß ohne die schöne Farbe, die fleischige Struktur und stattdessen geformt wie eine, naja, kopflose Ente.

Chicorée-Grundregel: The bitter the better

Weil wir aber alle wissen, dass die inneren Werte zählen, wollen wir einen Blick auf eben diese werfen. Verantwortlich für seine Bitterkeit ist unter anderem ein Stoff namens Lactucopikrin. Er regt die Verdauung an, insbesondere Gallen- und Bauchspeicheldrüse. Drum werden als Aperitif gerne auch bittere Dinge gereicht, zum Beispiel ein Aperol Spritz. Zwar ist es noch immer Chicorée und nicht Campari, wer aber nicht auf einen Aperitif verzichten möchte, der findet in den Welten des Internets einen Versand für Chicoréewurzelschnaps. Vorzüglich!

Zurück zum Inhalt, denn der ist zu gesund, um vernachlässigt zu werden. Der „Korbblüter" ist reich an B-Vitaminen, Vitamin C und Karotin, Kalzium und Kalium. Diätaffine Menschen können sich einerseits freuen, denn Chicorée ist sehr kalorienarm. Andererseits fängt er auch erst in Kombination mit Kalorien an, gut zu schmecken - so wie alles. Das ändert allerdings nichts daran, dass er vor Darmkrebs schützt, und das ist gut. Wer nun so gar keine Lust auf Bitteres hat, auf einen Bissen Chicorée aber keinesfalls verzichten möchte, muss das auch nicht. Der schneide entweder großzügig den Strunk heraus oder lege die Blätter in Salzwasser ein. Oder man beißt sich durch; wenn jeder immer gleich aufgäbe, wenn es mal bitter wird, gäbe es heute weder Gin & Tonic noch Negroni. Also bitte(r)!

Chicorée essen in Berlin: Der blasse Kerl gibt sich elegant

Nur einmal vorweg - Deutschlands größte Bio-Chicorée-Treiberei steht im Spreewald. Die Frage, weshalb Chicorée in Berlin erübrigt sich also. Es gibt viel zu tun, legen wir also schnell los.

Einmal angenommen, gerade wäre das Gehalt eingetrudelt, man isst Fleisch, Fisch und ist mit der französischen Küche „per Du", so sollte man bei Le Faubourg in jedem Falle die Seeteufelbäckchen bestellen. Die kommen in einer gläsernen Schale auf Spinatspiegel, angerichtet mit Blutwurst, Pfifferlingen und fruchtig mariniertem Chicorée. Und liebe Vegetarier, es sieht deutlich weniger schlimm aus, als es klingt. Man sollte nach dem Essen übrigens auf einen Drink die Bar aufsuchen und einen „The World is not enough" trinken.

Wer auch gerade Gehalt hat überwiesen bekommen hat, aber kein Fleisch isst, kann ins in der Köpenickerstraße 174 spazieren. Dort kann man hervorragenden Belgischen Chicorée mit Sherry und Sauce Choron essen. Belgisch, das bedeutet, dass er mit Schinken ummantelt, mit einer Béchamelsauce übergossen und mit Käse überbacken wird. Die Sache mit dem guten Geschmack und den Kalorien scheint kein Geheimnis zu sein.

Für alle anderen, also Flexitarier und Normalverdiener, empfiehlt sich die Kreuzberger Kantine Kohlmann. Einen „Happen" gibt es ab 4 Euro, ein Hauptgericht ab 14 Euro. Irgendetwas dazwischen ist die "Giant Jakobsmuschel mit Safran gewürztem Chicorée und Gewürzapfel". Und jetzt haben wir Hunger, verdammt.

Rezept: Karamellisierter Chicorée in Speck-Sahne-Sauce mit Emmentaler überbacken

Der Stuttgarter Gefängniskoch (!) Johannes Guggenberger hat auf seinem Blog ein Chicoré-Rezept verraten, dass absolut sicher ist, sowohl im Hinblick auf Gelingen wie auch Geschmack. So wie beinah alles, zu dem man Speck, Sahne und Käse gibt.

Weil ich es bitter mag, habe ich die Blätter nicht eingelegt. Die Bitterkeit wird beim Karamellisieren sowieso weniger. Zwiebeln und Speckwürfel werden in einem Topf in Butter angedünstet, mit Sahne abgelöscht, eingekocht und mit Salz, Pfeffer und Muskat abgeschmeckt. Die gewaschenen Chicoréeblätter werden kurz und scharf in Butter angebraten, in Rohrzucker karamellisiert und in eine gefettete Form gegeben. Darauf kommt Emmentaler, Pfeffer, Salz und alles zusammen so lange in den Ofen, bis der Käse zerlaufen ist. Übergossen wird das Ganze mit der Speck-Sahne-Sauce. Dazu passt Ciabatta oder Kartoffeln. Oder, denn was kostet die Welt, Herzoginkartoffeln.

Möglicherweise kann der Chicorée niemals nie zu einer aufwändigen Hochsteckfrisur werden. Dazu ist er einfach zu introvertiert. Mit ein bisschen Geschick aber allemal zu einer sehr soliden Jugendfrisur. Mit ein bisschen Mühe (oder Sahne) sogar mit Hut.

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