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Wenn Kaffee nach Seetang und Tierhaut schmeckt

Zu Besuch bei einer Kaffeeverkostung in Charlottenburg

Wie sich in Berlin mittlerweile herumgesprochen haben dürfte, gibt es für die meisten existenten Genussmittel Verkostungen - Whiskey, Wein, Kaffee, Käse, Brot. Dort kann man sich sowohl bestätigen lassen, was man schon immer falsch gemacht hat, als auch lernen, was noch besser geht. So ziemlich alles nämlich. Sich von Menschen, die es besser wissen, erklären zu lassen, wie es eigentlich geht, ist schön. Man fühlt sich vielleicht wie ein Trottel, aber das ist eben der Preis, den man bezahlt. Im Falle einer Kaffeeverkostung in der Berliner Kaffeerösterei in Charlottenburg, bei der ich unlängst zu Gast war, sind das obendrein nochmals 28 Euro, was ein guter Preis ist, alles in allem.

In der Rösterei duftet es schrecklich gut. Allerdings geht es mir mit Kaffee ziemlich genau so, wie Goethe es im achten Buch Dichtung und Wahrheit beschreibt: „der Kaffee [...] paralysierte meine Eingeweide und schien ihre Funktionen völlig aufzuheben, so daß ich deshalb große Beängstigungen empfand, ohne jedoch den Entschluß zu einer vernünftigeren Lebensart fassen zu können." Eine Tasse reicht aus, um hinreichend wach zu werden, bei der zweiten werde ich nervös, das Herz rast und die Hände beginnen zu schwitzen. Ideale Voraussetzungen für eine Kaffeeverköstigung also.

Bittere Bohnen: Warum das Reifestadium der Bohne so entscheidend ist

Vier Tassen, und das um 18 Uhr. Normalerweise trinke ich nach 15 Uhr keinen Kaffee mehr, weil guter Nachtschlaf toll ist. Vielleicht kann man in der Nacht aber alternativ auch wach sein und in Röstaromen schwelgen. „Flieder", zum Beispiel. Das, zumindest, steht auf dem Zettel mit einigen Aromarad-Abbildungen. Oder „Tierhaut". Der Raum füllt sich zusehends - von der Charlottenburger Spießschickeria über den Selbströster bis hin zur „Eigentlich trink' ich ja kaum Kaffee"-Whiskytrinkerin ist unter den Teilnehmern alles dabei. Es gibt wenig Anlass zur Annahme, dass an diesem Ort etwas wie ein Dialog stattfinden könnte und es ist eine dieser Situationen im Leben, in denen Frontalunterricht ein Geschenk ist.

Grund-, vor allem aber inhaltlich solide, beginnt dieser also mit einer Power-Point-Präsentation. Zu sehen sind Bilder von der Kaffeekirsche und von einer Ernte industriell produzierten Kaffees: Reife und unreife Früchte werden zeitgleich geerntet und verarbeitet. Ja, ganz recht gelesen. Und wer jemals versucht hat, eine unreife Khaki zu verspeisen, weiß, welchen Unterschied das Reifestadium macht. Das ist beim Kaffee wie bei der Khaki: Es schmeckt ganz furchterregend und man ist geneigt, ein Palatum erstmals persönlich zu nehmen. Wie immer machen das Menschen, weil sie faul sind und lieber schnell Dinge verkaufen wollen als langsam. Und wie immer leidet genau darunter die Qualität.

Angesichts aller existenten Aromen hat es genau einen Schluck gebraucht, sich wie ein absoluter Geschmackslegastheniker fühlen zu müssen.

Da stehen also vier Tassen mit Kaffeepulver vor jedem Kaffee-Koster. Und natürlich riechen diese Pulver bereits sehr unterschiedlich. Nach Erde und Henna, nach Schokolade und Malz. Reihum schenkt der Herr Kaffeeröster Wasser in die erste Tasse und weist an, hinfort mit dem Löffel die Kruste aufzubrechen. Ich denke an Crème Brûlée und reibe innerlich die Hände. Auch ohne Sloterdijks „Sphären" vollständig gelesen zu haben, kann ich jedoch nun sagen, dass Schaum keine Kruste besitzt. Denn: Schaum ist aus Schaum und eine Kruste besteht aus einer Kruste. In diese den Löffel getaucht, duftet es nochmals intensiver und dann wird auch schon getrunken. Es schmeckt nach... Kaffee. Angesichts aller existenten Aromen hat es genau einen Schluck gebraucht, sich wie ein absoluter Geschmackslegastheniker fühlen zu müssen. Dabei kann Kaffee angeblich nach so vielem schmecken! Nach Tomate. Seetang. Auch Whisky! Also auch Kaffee, der kein Irish Coffee ist.

Ein Arabica-Americano, bitte!

Kaffee ist mindestens so komplex wie Wein. Die Bestellung einer bestimmten Bohne indes hört man an der Bar selten. Bei der Kaffeebohne ist der Unterschied zwischen Robusta und Arabica etwa so drastisch wie der zwischen einem Rot- und einem Weißwein. Innerlich freue ich mich diebisch über die Vorstellung folgender Café-Situation: „Einen Americano mit Arabica-Bohne, bitte." Verloren in die Gedanken, welchen Hut man bei einer so feinen Damenbestellung wohl tragen sollte, schreitet die Verkostung voran und der Raum füllt sich mit Röstaromen. Bislang selbst nur vertraut mit Whisky- und Weinverkostungen, ist es für mich umso erstaunlicher, dass kein Pegel steigt. Nur die Herzfrequenz. Und die Kenntnis darüber, dass es sich lohnt, Kaffee beim Kaffeehändler zu kaufen. Und nicht bei... also, überall sonst.

Zu der Problematik der Reife kommt natürlich die der Moral hinzu. Bislang hat sich die Kaffeeindustrie nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was Arbeits- und, ja, Menschenrechte im Allgemeinen angeht.Deshalb geht es dem Kaffeefachhhandel darum, direkt vom Kaffeefarmer zu beziehen. „Siegel sind teuer und in unserem Falle unnötig. Was kann nicht fair sein an einem direkten Kontakt zu dem Farmer, der seine Arbeiter kennt und so bezahlt, dass alle Beteiligten einen angemessenen Lohn bekommen?" Die Rösterei arbeitet ohne Mittelsmänner und ist Mitglied der Deutschen Röstergilde. Die macht es möglich, dass ausreichend „Ursprungsreisen" stattfinden und ein jeder Röster wirklich weiß, woher seine Bohnen stammen.

Kein Pegel steigt. Nur die Herzfrequenz.

Zu der Problematik der Reife kommt natürlich die der Moral hinzu. Bislang hat sich die Kaffeeindustrie nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was Arbeits- und, ja, Menschenrechte im Allgemeinen angeht.Deshalb geht es dem Kaffeefachhhandel darum, direkt vom Kaffeefarmer zu beziehen. „Siegel sind teuer und in unserem Falle unnötig. Was kann nicht fair sein an einem direkten Kontakt zu dem Farmer, der seine Arbeiter kennt und so bezahlt, dass alle Beteiligten einen angemessenen Lohn bekommen?" Die Rösterei arbeitet ohne Mittelsmänner und ist Mitglied der Deutschen Röstergilde. Die macht es möglich, dass ausreichend „Ursprungsreisen" stattfinden und ein jeder Röster wirklich weiß, woher seine Bohnen stammen.

Kaffeekultur als Religion und die zugehörigen Devotionalien für die Küche

Natürlich ist es mit der Frage nach dem Ursprung noch nicht gegessen. Die religiöse Dimension der Kaffeebohne zu ergründen, fragt nach Wahrheit. Nach Sinn und nach den Werkzeugen der Welt. Nach Filterkaffee und nach French Press. Kurzum lässt sich sagen, dass die allermeisten Dinge - und in der Welt der schönen Dinge sowieso - Vor- und Nachteile haben. French Press geht schnell, ist günstig, allerdings werden viele Bitterstoffe freigesetzt. Filterkaffee ist besser als sein Ruf, es kommt aber auf die Qualität des Filters und die des Kaffees an. Der Espressokocher ist erschwinglich, gurgelt gemütlich und macht alles richtig - wenn man ihn denn auch richtig bedient. Warmes Wasser eingießt, zum Beispiel. Den Kaffee selbst mahlt. Den Herd nicht zu heißt stellt. Und den Kocher am Ende unter kaltes Wasser hält: Das stoppt die Extraktion. Extraktion - dabei denke ich an Rosenessenz oder ans Zähneziehen. Immerhin wird uns hier der Zahn der unziemlichen Zubereitung von Kaffee gezogen. Formschön und traditionell sind die Bayreuther sowie die Karlsbader Kanne, diese kosten dann aber ein wenig mehr.

Am nächsten Morgen trinke ich Tee.

Die Berliner Kaffeerösterei ist ein Ort, für den man sich Zeit nehmen sollte. Mehr als nur die zwei Verkostungsstunden. Denn dazu kommt noch eine halbe Stunde Zeit für eine Waldbeertarte bei Weißwein sowie eine Stunde Zeit für den Feinkosthandel, der an die Kaffeerösterei angeschlossen ist. Da gibt es hauseigene Schokolade, und - Überraschung! - ziemlich viel Kaffee. Der Verkaufsklassiker der Rösterei ist die Rote Linie, besonders die aus Kolumbien und Ruanda. Direkt nach Röstung in eine Sektflasche abgefüllt, stehen die Flaschen ziemlich unter Druck - weshalb es sie vorsichtig zu öffnen gilt. Gereift unter Bananenstauden, soll die kolumbianische Variante nach Karamell, Grapefruit und Kakao schmecken. In jedem Falle passt sie gut zu der hauseigenen Bruchschokolade mit getrockneten Erdbeeren und gerösteten Kaffeebohnen.

Meine wenige Schlafzeit in der darauf folgenden Nacht ist bebildert von einem Irrweg durch Kaffeeplantagen, die von einer Schokoladenflut überschwemmt wird, in der viele Haselnüsse schwimmen, die dann wie Heuschrecken über die Plantage herfallen. Eine Mischung aus Bibel und Bohnen; handgemahlen und in Herzfrequenz flattern die Heuschrecken bis hinter den Horizont. Am nächsten Morgen trinke ich Tee.

Berliner Kaffeerösterei | Uhlandstraße 172, 10719 Berlin-Charlottenburg | Montag - Samstag: 9-20 Uhr, Sonntag: 10-19 Uhr | mehr Info

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