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Über große Sommer in steilen Lagen

Über den Wein der Franzens zu erzählen, bedeutet, über Angelina und Kilian zu sprechen. Es bedeutet, über eine Familiengeschichte zu sprechen, die bewegt und zeigt, dass Winzer kein Beruf ist wie jeder andere. Sondern ein ganzes Leben. Manchmal sogar viele Leben.


Angelinas und Kilians unbeschwerte Studienzeit in Geisenheim wurde jäh unterbrochen als im Jahr 2010 Kilians Vater an einem tragischen Arbeitsunfall starb. Dinge, um die es im Alter von 20 Jahren für gewöhnlich geht, rückten in den Hintergrund und vor Angelina und Kilian tat sich ein Feld voller Fragen auf. Ein zehn Hektar großes, um genau zu sein. Und es geht nicht um irgendwelche zehn Hektar - sondern die steilsten Weinhänge Europas.

Kilian: Maschinenarbeit gibt es bei uns nicht, wir arbeiten zu einhundert Prozent von Hand. Die Maschinen muss man sich ja erst einmal ausmalen, die es solche Hänge hoch- aber auch wieder runter schaffen, immerhin sind es 65 Grad Steigung. Das ist in jeder Form extrem und fordert einen sehr besonderen Umgang mit den Trauben. Im Sommer fallen die Sonnenstrahlen ungeschützt durch jedweden Schatten auf die Reben ein, weshalb die Gefahr eines Sonnenbrands besteht. Andererseits hilft die Lage natürlich auch, die Trauben nach einem Regenguss schnell zu trocknen. Das verhindert Schimmel ganz natürlich und macht bestimmte Schutzmittel für uns unnötig. Und dann natürlich die Arbeit in den Bergen selbst! Einmal gab unsere Monorackbahn kurz vor der Lese den Geist auf - was für uns und unsere Helfer bedeutete, dass wir 3.000 Kilogramm Trauben den Berg hinunter schleppen mussten. Wir haben von Anfang an gewusst, dass die Arbeit mit diesem Hang extrem wird. Aber die Lebensphase war ja auch eine extreme.

Die Sonne blitzt durch die dunklen Wolken, die dramatisch über dem Hang liegen und auf die sattgrüne Landschaft weiche Schatten zeichnen. Es ist ein melancholisches Panorama, diese Moselschleife, und wie gemacht für das Weingut Franzen. Ulrich Franzen hatte den Bremmer Betrieb in den 80er Jahren von seinem Vater übernommen. Ihm war es vor allem wichtig, die Steillagen zu erhalten. Im Jahr 1999 begann er dann, eineinhalb Hektar im Bremmer Calmont zu rekultivieren - jene steilsten Weinlage Europas. Die Weine waren schon damals trocken und sie sind es auch heute noch. Jedoch wurde keineswegs alles einfach übernommen.

Kilian: Zunächst haben wir so gut wie alles von dem, was meine Eltern gemacht haben, über den Haufen geworfen. Um dann festzustellen, dass einiges davon gar nicht so schlecht war und wieder dorthin zurück zu kehren. Das ist eine wohl häufige Einsicht der jüngeren Generation: so schlecht war das ja alles nicht! Anfänglich schienen uns neue Methoden viel effizienter, bis wir bemerkt haben, dass die Qualität leidet. Das ist dann ja nun auch keine Lösung. Angelina: Uns ging es nie darum, Dinge der Änderung Willen zu ändern, sondern zu verbessern. Aber vieles, was andere im Studium gelernt haben, haben wir durch Erfahrung lernen müssen. Das war an vielen Stellen hart, hat aber auch einen sehr emotionalen Zugang zu unserem Beruf vertieft. Jeder Tag, jeder Gang am Hang entlang ist uns eine Lehre - und gleichzeitig sind all unsere Erfahrungen in der Arbeit mit den Trauben gespeichert. Und das macht unseren Wein aus: unsere Geschichte und die Schritte, die wir gehen. Jeden Tag und jedes Jahr.

Dieser Geschichte zu Ehren haben Angelina und Kilian einen eigenen Cuvée kreiert. In Andenken an das Jahr 2010 starteten sie im Folgejahr das " Sommer-Projekt". Passenderweise heißt der Riesling "Der Sommer war sehr groß". Das war er und das schmeckt man auch. Fruchtig und klar, ist er ein Wein, von dem selten etwas übrig bleibt: ein Wein, der für große Sommer sorgt und mit dem sich großen Sommern nachsinnen lässt.

Kilian: Wir wollten unserem Sortiment einen Wein hinzufügen, ohne neu anzukaufen - mit gerade einmal drei Mitarbeitern halten sich die Möglichkeiten da in Grenzen. Wir wollten einen Wein kreieren, der einen Querschnitt all unserer Rebflächen bildet, ohne dass man sich zwischen Calmont und Frauenberg entscheiden muss. Darin enthalten sind die sehr besonderen Aromen unserer Lagenweine, die Fruchtigkeit des Neefer Frauenbergs und die Mineralität des Bremmer Calmonts. Hier geht es um einen Wein, der nach unseren Hängen, nach unserer Geschichte schmeckt. Mein Vater hat viel um den Erhalt dieser Kulturlandschaft getan. Das macht uns einerseits sehr stolz, andererseits treibt es auch an, daran anzuknüpfen und weiterzumachen.

"Dieser Riesling ist unser Baby," sagen die Franzens und haben damit mehr Recht, als zunächst gemeint. Für ihren Gutswein aus dem Jahr 2015 steht auf ihrem Etikett ein dritter Name: Emilia. Der Schriftzug des Etiketts ändert sich jedes Jahr. So wie eben auch das Leben. Aber auch die Weinwelt verändert sich, die Anfragen der Kunden und das ökologische Bewusstsein.

Angelina: In letzter Zeit wollen zunehmend häufig Leute wissen, ob unser Wein vegan ist. Das ist schon seltsam, da Wein schließlich ein Naturprodukt ist. Und in der Natur leben Lebewesen. Obwohl in der Produktion unserer Weine also an keiner Stelle tierische Substanzen eingesetzt werden, können wir nicht garantieren, dass unserem Wein nicht auch mal ein Marienkäfer zum Opfer gefallen ist. Ein Vegan-Siegel streben wir daher nicht an, darum geht es in unseren Augen aber auch nicht. Für uns geht es beim Weinanbau viel mehr um eine Philosophie mit der Natur, aber auch mit dem Leben umzugehen - nämlich mit Respekt, vor der Vergangenheit, aber auch vor der Zukunft. Nicht umsonst sprechen wir über unseren Sommerwein als einen, der "gelesen" werden muss.

„Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß/ Leg deine Schatten auf die Sonnenuhren/ und auf den Fluren lass die Winde los," heißt es in der ersten Strophe Rainer Maria Rilkes „Herbsttag". Für Angelina und Kilian ist es auch an der Zeit - durch den bald senkrecht einfallenden Sonnenstrahl und den heißen Sommer haben die Trauben der Franzens ihre Reife erhalten und warten, bis Angelina und Kilian in den Fluren der Reben die Winde loslassen. „Letzte Süße in den schweren Wein" zu treiben, haben sie nicht nötig. Der Winter kommt, mit ihm die Arbeit und zum „unruhig wandern, wenn die Blätter treiben" bleibt glücklicherweise keine Zeit. Wer beim Lesen Rilkes „Herbsttag" jemals traurig wurde, sollte ihn sich noch einmal am Fuße des steilsten Weinberg Europas vorlesen. An dem Ort, an dem der Herbst Hoffnung macht auf all das, was zu schaffen ist, wenn man die Ärmel hochkrempelt. Und je mehr Ärmel, desto besser.

Text: Juliane E. Reichert
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