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Interview

Vom Verlorenen Sohn: eine Weingeschichte

Andreas Schlagkamp sitzt in seinem Pavillon und lässt den Blick über die Senheimer Schiefer-Steillagen schweifen. In der elften Generation der Familie Schlagkamp-Desoye und als staatlich geprüfter Weinbautechniker ist er Geschäftsführer im Hause Schlagkamp, kümmert sich um den Verkauf und seine Erlebnisweinproben.Das klingt nach einem sehr anstrengenden, vor allem aber abwechslungsreichen Alltag.


Andreas: Nun, mein Montagmorgen fängt im Grunde an wie der eines jeden. Nachbereitung des Wochenendes, Aufräumen, Mails checken und die Woche vorbereiten. Da wir auf die Kellerei und die Vermarktung spezialisiert sind, ist das alles recht entspannt. Mit zum Teil mehr als 60 Prozent Steigung muss man sich allerdings auch eine gewisse Entspannung bewahren – die Arbeit ist hart und man muss sich jeden Tropfen verdienen.


Diese Arbeit tragen Andreas Weine sogar im Namen. Seine Schieferlagen sind die Senheimer Lay und der Senheimer Bienengarten. „Binnen“ stammt dabei aus dem Moselfränkischen und bedeutet „harte Arbeit“. Wenn man in der zweistelligen Generation einer Winzerfamilie aufwächst, ist man von dieser Arbeit nicht überrascht. Trotzdem sind alle elf Generationen diesem (Schiefer-)steinigen Weg gefolgt.


Andreas: Für mich war das alles andere als klar, im Gegenteil! Ich habe das immer gehasst. So gehasst! Mit elf, zwölf Jahren habe ich lautstark verkündet, dass ich bei dieser Veranstaltung nicht mitmachen und etwas Vernünftiges lernen möchte. Und mir wäre wirklich alles andere vernünftiger vorgekommen. Mein Vater war sehr traurig, als ich nach der Bundeswehr entschied, nach Köln zu ziehen um dort Industriekaufmann zu werden. Sechs Jahre hat es gedauert bis ich meine Zelte abbrach und heimgekehrt bin.


Das klingt ähnlich dramatisch wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn. Vor allem seine Rückkehr!


Andreas: Das war es auch! Ich wollte meinem Vater die Nachricht zu seinem Geburtstag überbringen, verriet vorher keinem etwas und dachte, alle würden sich schrecklich freuen. Nachdem ich dann, höchst feierlich, die frohe Botschaft überbracht hatte, regte sich keiner und es war einfach furchtbar. Mein Vater ging in den Keller und ich verstand überhaupt nichts mehr. Er kam mit einer kleinen Flasche Eiswein von 1973, meinem Geburtsjahr, schenkte ein und erzählte, er habe davon nur drei Flaschen versteckt, und zwar nur für den Tag, an dem ich ihm sagen würde:„Ich will Weinbau studieren“.


Noch im selben Monat seines Abschlusses, nämlich August 2003, wurde der Betrieb auf Andreas überschrieben. Nun ist es aber die eine Sache, ein Studium zu beginnen und sich neue Lehrinhalte anzueignen und die andere, ein Weinhaus zu übernehmen, das seit mehr als 400 Jahren Expertise gesammelt hat. Wer bloß einmal die Eltern zuhause besucht und eine zweifelnde Bemerkung zum zuletzt vor dreißig Jahren ausgetauschten Fenstersims-Dekor äußert, weiß das. Und das ist vermutlich ein Witz gegen elf Generationen Gewohnheit.


Andreas: Ja, anfangs war es sehr anstrengend, weil vieles veraltet war – die Kellertechnik, auch die Pflege der Weinberge, das war sehr aufwändig. Mein Vater hat mich da insofern unterstützt, als dass er mir die Arbeit mit den Kunden abgenommen hat, so dass ich mich voll auf den Betrieb konzentrieren konnte. Die Betreuung der Kunden ist bei uns besonders wichtig, weil wir keine elitäre Sommelier-Gemeinde ansprechen, sondern weil die Leute zu uns kommen, weil sie die Familie kennen, Tradition schätzen oder die Landschaft mögen. Unsere Weine sindprämierte Qualitätsweine. Das sind gute Weine, die aber nicht herausstechen. Und zwar auf positive und bescheidene Weise.


Das hört man Winzer selten sagen. Überhaupt Menschen, die etwas verkaufen wollen. Umgekehrt, in jeder Werbung erhalten gewöhnliche Produkte aberwitzige Superlative. Etwas, das nicht heraussticht, wird nicht wahrgenommen, so könnte man meinen. Denkt man allerdings an Musik, die läuft, während man isst, kann subtile Wahrnehmung ja nun etwas sehr schönes sein.


Andreas: Und so ähnlich empfinde ich das auch beim Wein. Jene Weine, von denen eine Jury beim ersten Schluck beeindruckt ist, stechen heraus. Sie laufen allerdings Gefahr, mit dem zweiten Schluck, spätestens aber beim zweiten Glas anstrengend zu werden. Meine Weine sind in erster Linie fruchtig und haben einen moderaten Alkoholgehalt. Sie besitzen eine leichte Säure und sollen auch noch beim dritten Glas Spaß machen – und genau diese Gefälligkeit im Geschmack zeichnet sie aus. Es sind Weine, an die ich mich erinnere, weil ich mit ihnen einen tollen Abend hatte. Und nicht, weil der erste Schluck unvergesslich war.


Erinnerung entsteht ja nun vor allem beim Erleben – einem für Andreas wichtigen Element im Weingeschäft. Nicht umsonst bietet AndreasWeinerlebnisproben und Rebstockpatenschaften an. Wein, das ist für ihn kein Konglomerat von Auszeichnungen, nicht in Verkostungsnotizen zusammen gefasste Geschmacksanweisungen oder ein toller Ruf in renommierten Fachblättern.


Andreas: Man muss den Wein selbst kosten. Nur dann kann man sehen, ob einem das schmeckt. Daran führt kein Weg vorbei, keine Jury und auch kein Etikett. Abgesehen davon, nehmen all diese groß postulierten Urteile auch das eigene Befinden vorweg. Wenn ich schon –zig Mal gehört habe, ein Wein sei der absolute Hit, dann muss ich den doch gut finden, wenn ich kein totaler Laie sein will. Und wenn der dann „nur“ 15 Euro kostet, hat es der Verkäufer geschafft.

Dabei wäre ein ganz anderer, vielleicht sogar günstiger Wein für deren Stand und deren Stil viel geeigneter gewesen.


Es geht also einmal wieder ums Schmecken. Darum, sich etwas zu trauen, als Kunde gleichwohl als Winzer. Andreas traut sich, auf eine Art über seinen Wein zu sprechen, die neu ist. In bescheidener Bewunderung für gute Qualität, die Menschen seit 400 Jahren dazu bringt, die Schlagkamps aufzusuchen, ohne dass sie die Freude am Geschmack und dabei zu viel Geld verlieren.

Andreas ist strategischer Berater von 3Weine, weil er Dinge aus der Weinwelt weiß, die wir von ihm nur allzu gerne lernen. Nicht umsonst suchen wir nach Winzern, die elf Generationen langes Weinwissen in Geist und Gaumen tragen.


Text: Juliane E. Reichert