Ein weißes Dinner ist das Gegenteil einer Beerdigung, nicht nur farblich. Alle freuen sich über das Leben und seine Schätze, Austern zum Beispiel und Champagner – ein Dolce Vita im weißen Abendkleid. Seit etwa fünf Jahren hält das Phänomen in Deutschlands Großstädten Einzug, München und Berlin allen voran: Diner en blanc, White Dinner.
Die Regeln sind einfach: Alle ziehen sich weiß an. Weil aber kein Mensch so viele weiße Dinge besitzt, dass es zu einer vollständigen Montur reicht, muss man sie sich vorher leihen oder gar shoppen gehen.
Die Männer haben kaum Möglichkeiten außer dem Zuhälterlook oder dem Typen in weißer Leinenhose, der bei Rosamunde Pilcher das Herz derer erobert, die sich eigentlich nie wieder mit Männern einlassen und ihr Glück mit einer veganen Confiserie auf Sylt versuchen wollte.
Sekt, Spargel und Béchamelsauce
Die Dame trägt Dinge, die ansonsten Michelle Hunziker anzieht, und Hüte, die man nur aus Raffaello-Werbungen kennt. Zwischen Ernst und Verkleidung kann man schlecht unterscheiden, und erst das Essen beweist den Ernst der Lage. Oft wird nämlich auch weiß gegessen – und damit sind nicht Reis und Milch gemeint, sondern Sekt, Scholle auf Spargel und Béchamelsauce.
Alle fotografieren sich, alle fühlen sich wie die Braut bei der Hochzeit, vermutlich sogar die Männer. So wird eine eigentlich innovative Form des gemeinsamen Speisens dafür genutzt, sich in einer Horde weißen Wohlstands untergehen zu lassen. Im Grunde ein Berlin-Neukölln-Phänomen, wo man mit Batikleggings und ohne Rock, dafür mit Bustier und Cowboyhut in eine Bar gehen kann, ohne aufzufallen.
Ein „Diner en Blanc“ in Philadelphia (USA)
Quelle: Yong Kim-pa/AP Photo
Ein imposanter Anblick, der royale Ameisenhaufen mit Austernduft und Asti in der Luft. Da sitzen dann blonde Frauen, die jede „Gala“ bebildern könnten, neben Künstlern und denen, die es einmal werden wollen, unterhalten sich über ihre Projekte und darüber, dass man eigentlich einen Geflüchteten bei sich aufnehmen sollte, die Katze aber so sensibel sei. Was ja auch total schön ist, weil die immer fühlt, wenn’s mal nicht gut läuft, und sich dann mit ins Kaschmirwasserbett legt.
Wie wäre es denn mit der Farbe Rot?
Dabei kommt das weiße Dinner eigentlich aus Paris. Und weil Gott in Frankreich bekanntlich gerne isst, sieht er, dass die Erdbeeren unter der Champagnercreme doch rot sind. Dass man nicht nur keinen Geflüchteten aufgenommen hat, sondern eigentlich die Hausverwaltung darüber informiert hat, dass neuerdings arabisch aussehende Menschen den Müll im mit Art déco verzierten Innenhof durchwühlen.
Nein, man muss einem Essen nicht zwanghaft eine politische Aussage aufdrängen. Warum aber, um alles in der Welt, diese Sehnsucht nach Weißwaschung? Natürlich ist das schön, Gemeinschaft und Einheit und alles.
Könnte aber ja auch eine andere Farbe haben. Rot zum Beispiel. Da gäbe es immerhin blutige Steaks, Erdbeertorte und Rotwein, man dürfte kleckern und ein andersfarbiger Mensch, der seine Farbe nicht nur dem letzten Urlaub an der Côte d’Azur verdankt, würde nicht ganz so sehr auffallen.
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