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Depression in sozialen Medien: Ein trauriger Song ist kein schlechtes Zeichen | BR.de

Wer einen traurigen Song auf seiner Facebook Seite teilt, hängt wahrscheinlich gerade durch, ärgert sich über etwas oder hat irgendwie Pech gehabt. Der ein oder andere Facebook-Freund schreibt dann ein paar aufmunternde Worte darunter. Jemand möchte offensichtlich mit seinem Unglück auf sich aufmerksam machen. Eher unwahrscheinlich, dass hier eine Depression im Spiel ist, sagt Tobi Katze, der für seinen offenen Umgang mit der Krankheit in Deutschland bekannt geworden und auch ein Buch darüber geschrieben hat. Als er erkrankte, hat er keine traurigen Lieder oder Bilder gepostet, sondern wollte gar nicht erst auffallen.

"Ich habe mir da bewusst nichts anmerken lassen und ich habe nicht geschrieben ‚oh es geht mir schlecht', sondern ich habe mich, wenn es mir schlecht ging, einfach rar gemacht."

Tobi Katze

Depressionen äußern sich unterschiedlich

Ulrich Hegerl, Vorsitzender der deutschen Depressionshilfe, erklärt, dass Depressionen sich in ganz unterschiedlicher Weise äußern. "Bei manchen steht die Hemmung im Vordergrund. Das heißt, ihnen fällt es schwer überhaupt zu kommunizieren. Bei anderen steht die Angst im Vordergrund, die sind dann eher unruhig und verzweifelt und suchen sich überall Hilfe."

In den sozialen Medien spiegelt sich eine Depression dementsprechend unterschiedlich wider. In der Regel bleibt so etwas bei den digitalen Freunden aber unbemerkt, denn häufiger ziehen sich Erkrankte zurück. Begegnet man ihnen im Alltag, kann man zum Beispiel beobachten, dass sie sich weniger bunt und auffällig kleiden und ungern laute Musik hören. Auf Facebook lassen sie das aber nicht erkennen.

Melancholie ist kein Anzeichen für eine Depression

Traurige Musik, melancholische Zitate oder düstere Bilder in der Timeline eines Freundes müssen kein Indiz für eine Depression sein. Die Gefühlsregung zeigt, dass jemand in einer melancholischen Stimmung ist, die er als Depressiver gar nicht empfinden könnte, erklärt Psychiater Ulrich Hegerl.

"Er kann kein Gefühl der Trauer erleben, er kann auch nicht dieses melancholische, vielleicht herbstliche Bild wahrnehmen. Sondern die Menschen fühlen sich innerlich wie versteinert, wie abgestorben."

Ulrich Hegerl

Tobi Katze hat mehr Erfahrungen mit der Krankheit gemacht, als ihm lieb war. Er erinnert sich, dass er in einer depressiven Episode sogar ein lustiges Bild mit einem Regenbogen in sein Twitter-Profil geladen hat. Wer sollte daran sehen können, dass Tobi depressiv ist? Wahrscheinlich nicht mal Freunde.

Und doch gibt es jetzt die Idee, dass eine künstliche Intelligenz anhand bestimmter Äußerungen in sozialen Netzwerken Depressive und Selbstmordgefährdete erkennen könnte. Tobi Katze findet das fragwürdig. "Ich halte lieber einmal nachfragen für nicht verkehrt, ich würde es vielleicht nicht öffentlich machen, ich würde eine Privatnachricht schreiben und sagen "Ey, mir ist aufgefallen, in letzter Zeit postest du ganz schön viel düsteres Zeug. Geht es dir gut?"

Hilfsangebote für Betroffene im Netz gibt es viele. Zum Beispiel die Plattform Fideo, die sich an Jugendliche und junge Erwachsene richtet. Wer länger als zwei Wochen in einem emotionalen Tief steckt, sollte von einem Arzt prüfen lassen, ob er eine Depression hat. Und wenn das der Fall ist, kann man die Krankheit in der Regel gut behandeln.

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