Julian Weber

Freier Journalist, Heidelberg

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Viel Rummel, nichts zu sehen – Mordattacke von Kandel vor Gericht

Monatelang wurde diskutiert, demonstriert, polemisiert. Der Tod der 15-jährigen Mia aus Kandel hat ganz Deutschland bewegt. Seit Montag steht Mias mutmaßlicher Mörder Abdul D. vor Gericht.

Von Christian Schultz und Julian Weber, dpa

Landau (dpa) – Absperrgitter, Polizeiwagen, wartende Kamerateams vor der historischen Fassade des Landauer Landgerichts. Im ersten Stock über dem Haupteingang verdecken Rollos die Fenster, kein Blick soll von außen in den Gerichtssaal dringen. Dort beginnt am Montag unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Mordprozess gegen Abdul D.. Der angeklagte vermutlich aus Afghanistan stammende Flüchtling soll am 27. Dezember 2017 im pfälzischen Kandel die 15-jährige Mia erstochen haben.

Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen, fachte die Debatte um die Altersfeststellung bei jungen Asylbewerbern an und zog im beschaulichen 9000-Einwohner-Ort Kandel zahlreiche Demonstrationen nach sich. Der Prozessauftakt wurde deshalb von hohen Sicherheitsmaßnahmen begleitet. 

Rund einen Kilometer vom Landgericht entfernt wird wegen des erwarteten Medienandrangs für den ersten Prozesstag extra ein Raum für eine Pressekonferenz gemietet – in einem Kulturzentrum, in dem sonst Musik- oder Theateraufführungen zu sehen sind, ein Plakat wirbt für Ukulele-Kurse für Kinder. In dem Zentrum berichtet Gerichtssprecher Robert Schelp von dem Verfahren, um Sachlichkeit bemüht. «Es ist ein Prozess wie jeder andere – und das muss auch so sein», sagt der Jurist. Jeder sei vor dem Gesetz gleich, und Mordprozesse habe es in Landau schon häufiger gegeben. «Die politische Dimension, die hier reininterpretiert wird, die kommt von außen», betont Schelp.

Der Gerichtssprecher meint damit die Aufregung nach der Tat in sozialen Medien und der öffentlichen Debatte, vergleichbar mit den Reaktionen nach dem Tod der 14-Jährigen Susanna vor kurzem in Wiesbaden. Mias Tod hat Kandel unruhige Wochen beschert, bis zuletzt kam es immer wieder zu Kundgebungen rechtsgerichteter Initiativen und zu Gegenkundgebungen.

Was war geschehen? Nach Darstellung der Anklage sticht Abdul D. am 27. Dezember vergangenen Jahres in einem Drogeriemarkt in Kandel auf Mia ein und tötet sie. Einige Wochen zuvor hat sich das Mädchen von dem Flüchtling getrennt. Die Anklage sieht Eifersucht und Rache als Tatmotive, wirft dem mutmaßlichen Täter Mord aus niedrigen Beweggründen und Heimtücke vor. 

Schon am ersten Tag wird deutlich, dass der Fall nun im Gerichtsalltag mit all seinen Unwägbarkeiten angekommen ist. Ein Dolmetscher kommt zu spät, übersetzt dann nach Auffassung der Verteidigung nicht ausreichend. Er wird ausgetauscht. Das allein füllt die ersten Stunden an diesem sonnigen Montag in Landau. Mit Einlassungen des Angeklagten, einer Anhörung eines Sachverständigen und der Vernehmung erster Zeugen geht es bis etwa 18.00 Uhr weiter. 

Eine zentrale Rolle wird in dem Verfahren die Frage des Alters des Angeklagten zur Tatzeit spielen. Er selbst hatte es mal mit 15 angegeben, Gutachten kamen zu dem Schluss, dass er mindestens 17 Jahre und sechs Monate, wahrscheinlich aber schon 20 Jahre alt ist. Gerichtssprecher Schelp berichtet, dass unter anderem Röntgenaufnahmen von Schlüsselbein und Handgelenk gemacht und die Weisheitszähne untersucht worden seien. Weil sich das Alter nicht zweifelsfrei klären ließ, wird – gemäß dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» – nach Jugendstrafrecht nicht-öffentlich verhandelt. 

Im Gerichtssaal sitzen zum Auftakt auch Mias Eltern, sie treten als Nebenkläger auf. Der Verteidiger des Angeklagten, Maximilian Endler, erzählt, sein Mandant habe den Eltern nicht in die Augen geschaut. Der Anwalt hält das Altersbestimmungsgutachten in weiten Teilen für nicht nachvollziehbar. «Zumindest für mich hat sich das heute nicht verändert», sagt er am Montagabend nach der Anhörung des für das Gutachten zuständigen Sachverständigen. 

Sein Mandant habe sich ausführlich zur Person und kurz zur Sache eingelassen. Abdul D. sei bedrückt, in schlechter Verfassung, habe Morddrohungen bekommen, sei im Gefängnis von Mithäftlingen angegangen und daraufhin isoliert worden und wisse um die drohenden Höchststrafen. Das sind zehn Jahre Haft nach Jugendstrafrecht oder lebenslänglich, sollte er doch nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. 

Rund um das Gericht bleibt es am Montag ruhig. Ein Fahrradfahrer, der seinen Drahtesel durch Absperrgitter schieben muss, fragt: «Was ist denn hier los?» Mit der Antwort «Kandel-Prozess» kann er nichts anfangen. «Sagt mir nichts», ruft er und radelt weiter. Die Zahl der Polizisten im Einsatz liegt laut dem Sprecher des Polizeipräsidiums Rheinpfalz im hohen zweistelligen Bereich. 

Vereinzelt kommen Menschen mit Plakaten vor das Gericht. Ein Mann hat sich den Mund zugeklebt und Ohrenschützer auf. Auf einem Schild steht: «Ausschluss der Öffentlichkeit, damit Staatsversagen vertuscht werden kann.» Zwei Frauen halten weitere Plakate in die Höhe. Darauf ist zu lesen: «SEK-Schutz für Mias Mörder. Wer schützt unsere Kinder?» Eine von ihnen ist Ingrid Albrecht. Sie sagt, die Bundesregierung tue zu wenig für die Sicherheit im Land. «Ich bin nur ein besorgter Bürger. Mir tut das alles leid. Das ist alles schlimm, was hier passiert.»

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