Julian Dörr

Freier Journalist, Saarbrücken

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Artikel

Digitale Musik - Es hat sich ausgejazzt

Selbst Pop-Größen wie Daft Punk verdienen mit Spotify oft nur Peanuts, Jazz und Klassik werden von digitalem Musik-Streaming förmlich ausgesaugt. Winzige Honorare bedrohen nicht nur die Künstler in ihrer Existenz, sondern ganze Genres selbst.

Das Internet ist ein Vampir. Es saugt alles Leben aus den Kreativen dieser Welt. So sieht es zumindest David Byrne. Der ehemalige Talking Heads-Frontmann warnte im britischen Guardian vor den Folgen des digitalen Musik-Streamings für Künstler und Musiker. Die ausgezahlten Tantiemen seien gering, vor allem weniger bekannte Interpreten litten unter den Verträgen der Streaming-Anbieter mit den Plattenfirmen. Die New Yorker Band Grizzly Bear beschwerte sich via Twitter, dass sie für 10 000 Streams ihrer Songs nur etwa zehn Dollar erhalten hätte, und auch "Get Lucky", immerhin einer der erfolgreichsten Songs des vergangenen Jahres, brachte seinen Schöpfern, dem House-Duo Daft Punk, laut Byrne jeweils nur etwa 13 000 Dollar ein.

Besonders prekär scheint die Situation für amerikanische Jazz- und Klassik-Musiker zu sein. Das Online-Magazin Salon warnte kürzlich vor der existenziellen Bedrohung dieser Genres. Nischenkünstler verdienen durch Streaming-Angebote nur sehr wenig, die großen Stars dagegen umso mehr. Die amerikanische Cellistin Zoë Keating machte ihre Einnahmen aus dem Geschäft mit dem digitalen Musikanbieter Spotify öffentlich. Mit mehr als 400 000 Streams verdiente sie etwa 1750 Dollar, für die Downloads ihrer Musik aus dem iTunes-Store erhielt sie im Vergleich sechsmal mehr.

Als Antwort auf die lauter werdende Kritik hat der Weltmarktführer Spotify im vergangenen Dezember sein Geschäftsmodell teilweise offen gelegt. Auf einer Webseite für Künstler rechnet der Streaming-Anbieter vor, wer wie viel verdient - natürlich anonymisiert. 70 Prozent der Einnahmen von Spotify fließen an die Rechteinhaber, die Plattenfirmen. Pro Stream ergeben sich dennoch nur zwischen 0,6 und 0,84 Cent. Das ist lächerlich wenig. Vor allem wenn man bedenkt, dass Musik-Streaming im Netz die traditionellen Erlösmodelle der Industrie Stück für Stück ersetzen wird.

Die Frage ist, ob und wie jeder ein angemessen großes Stück vom Kuchen abbekommt

Im vergangenen Jahr wuchs der Streaming-Umsatz weltweit um mehr als 51 Prozent an, in Deutschland lag der Marktanteil aber nur bei etwa fünf Prozent. Noch erwirtschaftet die Musikindustrie hierzulande Dreiviertel ihres Gesamterlöses mit dem Verkauf von Tonträgern.

Dies gilt besonders für die Bereiche Klassik und Jazz. Marco Ostrowski vom Münchner Independent Jazz-Label ACT erklärt, der digitale Vertrieb, zu dem neben Streaming vor allem Downloads zählen, mache 14 bis 15 Prozent des Umsatzes aus. Beim meist älteren, jazzaffinen Publikum sei Musik-Streaming im Netz, anders als in den USA, noch nicht weit verbreitet. Physische Tonträger wie CDs und Vinyl-Schallplatten dominieren den Markt der audiophilen Jazz- und Klassik-Fans.

Auch in Deutschland mache sich ein grundlegendes Verteilungsproblem bemerkbar, so Ostrowski. "Es geht um die Frage, ob jeder ein angemessen großes Stück vom Kuchen abbekommt." Die großen Major-Labels, einige wohl sogar Teilhaber an den Streaming-Unternehmen, schließen spezielle Verträge ab. "Für ein Indie-Label kann die Situation gefährlich werden."

Das Jazz-Label ACT nutzt Streaming-Dienste als Promotion-Plattform, um mit den Songs für den Download oder den physischen Tonträger zu werben. Auch die Cellistin Keating sieht Spotify in erster Linie als Werbemöglichkeit. Ganz im Sinne des Unternehmens, das die Verantwortung an die Künstler zurückgibt. Diese müssen selbst dafür sorgen, dass sie häufiger gestreamt werden. Je mehr Abonennten ein Dienst wie Spotify hat, desto höher sollen die ausgezahlten Honorare werden. David Byrne sieht diese Entwicklung skeptisch: "In einer webbasierten Welt will man uns weißmachen, dass Monopole gut sind."

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