Iwan Krawzow sah, wie die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa ihre Abschiebung in die Ukraine verhinderte. Er sagt: Die Proteste im Land werden nicht aufhören.
Iwan Krawzow ist in seinem neuen Exil Ukraine, als er ans Telefon geht. Dorthin wurde er genötigt, als er vergangene Woche mit zwei anderen Oppositionellen, Anton Rodnenkow und Maria Kolesnikowa, außer Landes verschleppt werden sollte. Krawzow sah, wie Kolesnikowa ihren Pass zerriss, um ihre Verschleppung zu verhindern. Sie sitzt seither in Haft in Belarus, er arbeitet von Kiew aus. Krawzow gehört zum Präsidium des oppositionellen Koordinationsrats, der den Dialog mitLukaschenko sucht.
ZEIT ONLINE: Herr Krawzow, am Montag hat sich Alexander Lukaschenko mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi getroffen. Putin versprach einen Kredit von 1,5 Milliarden US-Dollar. Hilft das Lukaschenko, an der Macht zu bleiben?
Iwan Krawzow: Die Details ihrer Verhandlungen sind nicht bekannt, darüber können wir nur spekulieren. Es ist nicht klar, wann genau der Kredit gewährt werden soll. In Sotschi wurde auch gesagt, dass Russland die Idee einer Verfassungsreform in begrüße. Wir sehen, dass die russische Seite die Lage in Belarus versteht - und sie versteht auch, wie schwach Lukaschenko ist.
ZEIT ONLINE: Werden Sie in jetzt der bleiben?
Krawzow: Anton Rodnenkow und ich planen, zwischen Warschau und Vilnius zu pendeln. Dort werden wir andere Mitglieder des Präsidiums treffen, und auch Swetlana Tichanowskaja und ihr Team. Wir müssen jetzt einen gemeinsamen Plan entwickeln. Mit den Mitgliedern des Koordinationsrates, die in geblieben sind, stehen wir auch in Verbindung.
ZEIT ONLINE: Was ist am Tag Ihrer Entführung genau passiert?
Krawzow: Anton und ich waren zusammen in Minsk, als wir die Nachricht erhielten, Maria Kolesnikowa werde von Unbekannten entführt. Wir riefen unseren Anwalt an und fuhren zu ihr nach Hause, um zu schauen, ob ihre Wohnung durchsucht würde. Als wir den Hof verlassen wollten, wurden wir von Männern im Zivil festgenommen. Man brachte uns in die Verwaltung zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption. Ich verbrachte dort zwei Stunden in Handschellen, mit dem Gesicht zur Wand.
Danach fuhr man mich in die Abteilung für Finanzkriminalität. Dort hatte ich von etwa 14.30 Uhr bis 22 Uhr abends ein Gespräch mit Männern in Zivil, die sich mir nicht vorstellten. Sie zeigten auf einen Stapel von Dokumenten, die ich nicht lesen durfte, und sagten, ich würde für fünf bis zwölf Jahre im Knast landen. Du hast die Wahl, sagten sie mir - entweder sperren wir dich ins Gefängnis, oder wir reden jetzt und sagen dir, was als Nächstes passieren soll.
ZEIT ONLINE: Wie haben Sie reagiert?
Krawzow: Ich bin ein neugieriger Mensch und dachte mir: Mal schauen, was sie mir anbieten. Die Drohung, im Gefängnis zu landen, war ja auf dem Tisch. Mir wurde gesagt, dass es sehr wichtig sei, Maria ins Ausland zu begleiten. Heute weiß ich, dass Maria zur gleichen Zeit beim Geheimdienst KGB war. Am Abend sagte man mir, Maria schwanke noch und wolle nicht ausreisen, sie sei psychisch instabil. Ich habe mir große Sorgen um sie gemacht, weil ich eine Vorstellung davon hatte, wie sie unter Druck gesetzt wurde. Dann hieß es, dass man uns drei an die Grenze zur Ukraine bringen würde.
ZEIT ONLINE: Was geschah an der Grenze?
Krawzow: Vor dem Grenzübergang wurde ich ans Steuer gesetzt. Neben mir saßen zwei Geheimdienstler mit den Pässen von Anton und Maria, die sie bei der Ausreise aus Belarus zeigten. Zwischen den Grenzkontrollpunkten stiegen sie aus. Danach brachten sie Anton und setzten ihn zu mir ins Auto. Dann habe ich Maria gesehen. Ich hatte befürchtet, dass man ihr irgendwelche chemischen Substanzen gegeben haben könnte, aber sie schien okay zu sein. Sie schrie, alle diese Sicherheitsleute seien Verbrecher und würden bestraft. Sie selbst werde Belarus nicht verlassen. Die Männer steckten sie zu uns ins Auto und verriegelten die Türen. Maria sagte uns, sie habe zwölf Stunden lang mit diesen Menschen gesprochen und sie besiegt. Dann fragte sie, wo ihr Pass sei, zerriss ihn, öffnete das Fenster und warf die Schnipsel weg.
Um uns herum standen etwa zehn Menschen, sie wurden augenblicklich blass. Wir sind etwa 30 Meter weitergefahren, dann hörte ich, wie ein Fenster aufging. Maria sagte: Tschüss, und verließ das Auto durchs Rückfenster. Wir sahen, wie sie im Licht der Scheinwerfer zurück zur belarussischen Grenze lief. Dort wurde sie von Männern in Tarnuniform festgenommen und wieder in einen Kleinbus gesteckt. Wir warteten noch eine halbe Stunde ab. Irgendwann wurde uns klar, dass sie jetzt auch uns festnehmen wollen. Dann gab ich Gas und wir fuhren in die Ukraine.
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