Von Julia Graven
Straffe Systeme zur Leistungsmessung sind in US-Unternehmen wie Yahoo oder IBM so verbreitet wie verhasst. Auch Firmen in Deutschland fahnden nach "Minderleistern", feuern sie - und spalten so die Belegschaft. Denn was sind Teams ohne Teamwork wert?Bei Unilever stecken die Mitarbeiter in der Box. Natürlich nicht physisch, aber die Angestellten werden nach Leistung intern nach einem Farbsystem kategorisiert. Da ist eine Box grün, weiß, gelb oder orange. Wenn es ganz schlecht läuft, ist die Box rot. Und wer länger in der roten Box steckt, hat ein Problem. "Das sind Mitarbeiter, von denen wir uns gern trennen", sagte Unilever-Personalchef Ulf Werkmeister in einem Interview mit dem Fachmagazin "Human Resources Manager": "Wir sind ein leistungsorientiertes Unternehmen und keine soziale Einrichtung."
Seit Anfang des Jahres sortiert Unilever in die bunten Boxen nicht nur das Management, sondern auch die Tarifmitarbeiter in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Versprechen lautet: Wer es aus dem Tarifbereich in die grüne Box schafft, kann auch ohne Studium ins Management kommen. Die Kehrseite: Wer es ins Management schafft, lebt fortan - wie die Mitarbeiter bei Yahoo oder bis dato bei Microsoft - mit einer festen Quotenregelung.
Das heißt: Neben vielen guten und einigen sehr guten Leuten muss es zwangsläufig jemanden geben, der als "Minderleister" gilt. Forced Distribution nennen das die Fachleute. Bei Unilever allerdings, so Sprecher Merlin Koene, gebe es keine Verpflichtung, Mitarbeiter in die rote Box zu stecken. Trotzdem sagt Unilever-Betriebsrat Hermann Soggeberg, diese Methode sei "im Management ein Instrument, um den Druck zu erhöhen, vor allem auf ältere Mitarbeiter. Die landen auf Rot und verstehen die Welt nicht mehr."
Wie soll man Mitarbeiter beurteilen? Ein Firmenchef mit einer Handvoll Angestellten tut sich da leicht. Aber wenn die Belegschaft in die Hunderte oder Tausende geht, auf mehrere Standorte verteilt oder international im Einsatz ist, dann müssen meist andere Instrumente her als Augenmaß und Menschenkenntnis. Performance Management sagen Betriebswirte, wenn sie Erfolg und Leistung von Mitarbeitern beurteilen. Sie wollen messen, ob jemand gut oder schlecht arbeitet, mit möglichst objektiven Kriterien.
Harriet Sebald ist Vergütungsexpertin beim Beratungsunternehmen Hostettler, Kramarsch & Partner. Das Hauptproblem sieht sie darin, dass Vorgesetzte ihren Mitarbeitern meist zu viele gute und sehr gute Beurteilungen geben, nur wenige schlechte Noten. Das sei menschlich, aber nicht hilfreich.
Die Leistung in einem Team, so Experten wie Sebald, verteile sich gemäß der Gauß'schen Kurve. Das heißt: 15 Prozent der Bewerteten sind im oberen, 15 Prozent im unteren Bereich. Die restlichen 70 Prozent landen in der Mitte. Laut Lehrmeinung gelte das bei Gruppen ab 30 Personen, Sebald hält in der Praxis eher eine Mindestanzahl von 50 oder 100 Mitarbeitern für nötig.
Reputationsrisiko: Die Firma als Haifischbecken
Für die Personalexpertin ist Forced Distribution, die Vorgesetzte zur Sortierung nach festen Quoten zwingt - die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen - nur als Notbremse sinnvoll, "wenn die Guten die Firma verlassen, weil bei der Leistung zu wenig differenziert wird". Sebald schätzt, dass etwa 15 Prozent der größeren Unternehmen in Deutschland mit diesem System arbeiten. "Viele verstehen das aber eher als Empfehlung", beschwichtigt sie.
Populär gemacht hat diese Beurteilungsform Jack Welch, mehr als zwanzig Jahre lang Vorstandschef bei General Electric (GE). In den achtziger Jahren führte er die Methode ein, mit besonders harten Bandagen: Bei GE ging es um den Arbeitsplatz, nicht nur um die Höhe der Boni. Jedes Jahr wurden jene zehn Prozent der GE-Mitarbeiter entlassen, die nach dem vorab festgelegten Schlüssel als Minderleister galten. Für sie wurden neue Leute eingestellt. Jack Welch glaubte, sein System könne so die Leistung kontinuierlich steigern könne, weil nur die Besten übrig bleiben.
Dass die Außenwirkung einer solchen Auslese fatal sein kann, hat sich bei Yahoo gezeigt. "Das Reputationsrisiko ist hoch", räumt auch Beraterin Harriet Sebald ein. Schließlich ist Fairness im Recruiting viel wert: Neue Mitarbeiter zu überzeugen ist schwer, wenn die Firma als Haifischbecken gilt.
Außerdem ist unumstritten, dass Forced Distribution aus Kollegen Konkurrenten macht. Ein Experiment des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit mit Studenten zeigt, dass sie sich in dann mehr anstrengen; sie wollen besser als die anderen im Team dastehen. Allerdings wählen die Probanden auch den einfachsten Weg, um an die Spitze zu kommen: Sie sabotieren ihre Teamkollegen. So sinkt die Produktivität der Gruppe insgesamt. "Forced Distribution führt zu mehr Gegeneinander", sagt Harriet Sebald.
Fester Prozentsatz "fauler Äpfel"
Die Erkenntnis, dass Teams ohne Teamwork nicht viel wert sind, hat wohl auch Microsoft dazu bewogen, sein Bewertungssystem zu kippen. Beim Software-Riesen solle der Schwerpunkt künftig auf Zusammenarbeit im Team liegen, schrieb Personalchefin Lisa Brummer in einem Memorandum an alle Mitarbeiter. Ratings und Gauß'sche Kurven sind abgeschafft.
Die Mitarbeiter können aufatmen. "Für mich ist das im Nachhinein eine echte Genugtuung", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der jahrelang unter dem Bewertungssystem gelitten hat. Und selbst wohlmeinende Microsoft-Kenner Paul Meier, ehemalige Leiter der Kölner Niederlassung und als früherer Olympia-Zehnkämpfer bekannt, sagen: "Ich finde es gut, dass das Forced Ranking jetzt abgeschafft ist."
Firmen-Versuche zur Einführung des Systems kämen "immer mal wieder in Wellen", sagt Expertin Sebald. Meist scheitern die Chefs an öffentlichem Protest. So hatte der Infineon-Vorstand unter Ulrich Schumacher 2003 ohne Vereinbarung mit dem Betriebsrat ein Forced Ranking an den Start gebracht, bei dem die Führungskräfte auch "Zero Performer" identifizieren und - laut Betriebsrat - "entfernen" sollten. Nachdem Gewerkschafter mit Klagen drohten, wurde die Idee schnell wieder begraben. Auch die Schweizer Großbank UBS hat das fixe System der Leistungsbeurteilung wieder gekippt, sagt die deutsche Sprecherin Susanne Grupp. 2010 hatte die UBS eine Regelung eingeführt, nach der Vorgesetzte etwa zehn Prozent ihrer Mitarbeiter mit "Ungenügend" bewerten mussten. Das gebe es jetzt nicht mehr.
Anderswo ist das Bewertungssystem nach wie vor im Einsatz. So hält IBM Deutschland an der Forced Distribution fest. Hier muss jede Führungskraft einen gewissen Prozentsatz "faule Äpfel" angeben, selbst wenn sie nach eigener Einschätzung nur Top-Performer hat. "Das ist natürlich ein ziemlicher Schwachsinn", sagt ein Mitarbeiter.
Auch die Bundeswehr und mehrere Landespolizeien arbeiten nach diesem System. Doch hier haben es die so genannten Underperformer in einem Punkt besser: Entlassen werden können sie wegen schlechter Bewertungen nicht.
KarriereSPIEGEL-Autorin Julia Graven (Jahrgang 1972) ist freie Wirtschaftsjournalistin in München.