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„Die verdammten Blagen hielten mir den Spiegel vor" | impulse

Wie weit kann man für seine Firma gehen? Karl Ludwig Schweisfurth war Chef des Herta-Konzerns. Während seine Kinder zuhause eine enge und glückliche Beziehung zu ihren Tieren pflegten, wurden in seiner Firma jede Woche 30.000 namenlose Rinder und Schweine zu Wurst verarbeitet. Das hielt er irgendwann nicht mehr aus.

Unternehmer zu sein, bestimmt das ganze Leben. Die Firma kann glücklich machen - und Menschen zerreißen: Wann ist die Grenze überschritten? impulse hat mit Firmenchefs gesprochen, zum Beispiel mit Karl Ludwig Schweisfurth. Der heute 83-Jährige war Chef des Wurstherstellers Herta und wurde zum Pionier der ökologischen Landwirtschaft. Weitere Gesprächsprotokolle finden Sie in der November-Ausgabe von impulse (im Shop als ePaper erhältlich) „Vater, ich werde Bauer." Das hat mein Sohn mir eröffnet, als er gerade sein Abitur gemacht hatte. Ich hab was anderes vor mit meinem Leben als du, hat er gesagt. „Du sitzt dreimal in der Woche im Flugzeug irgendwohin, in diese oder jene Fabrik. Und dann kommst du, wenn wir Glück haben, am Wochenende erschöpft wieder nach Hause."

Es gab in dieser Zeit sehr heftige Diskussionen in der Familie und sehr kritische Fragen von meinen drei Kindern: immer noch schneller, immer noch größer, immer noch mehr ... Was soll denn das eigentlich? Und da kam bei mir der Punkt, wo ich mir sagte: Diese verdammten Blagen, die halten dir ja im Grunde nur den Spiegel vor.

Revoltieren war undenkbar

Als ich im gleichen Alter war, unmittelbar nach dem Krieg, sagte der Vater: „Junge, da ist dein Lehrvertrag, da unterschreibst du, und morgen bist du um sechs Uhr früh in der Firma." Das war einfach so. Ich wäre doch nie auf den Gedanken gekommen, dagegen zu revoltieren, wie meine Söhne das später gemacht haben.

Als ich 25 war, hatte ich gerade angefangen zu studieren. Betriebswirtschaft, dummes Studium. Da schickte mein Vater mich nach Amerika mit dem Auftrag: „Junge, guck dir das mal an." Ich habe kleine und große Fabriken besichtigt und war begeistert. Vor allem von den großen Schlachthöfen in Chicago, den Stock Yards. Allein diese Größe, das war unvorstellbar! Bei uns zu Hause war das noch alles Handarbeit. Ich hatte nie in meinem Leben ein Fließband gesehen. Ich habe in Amerika auch die ersten Verpackungsstraßen entdeckt und war natürlich fasziniert. So sehr, dass ich die negativen Dinge, heute würde ich sagen, den vollkommenen Verlust der Würde von Mensch und Tier, nicht realisiert habe.

Schon auf der Rückfahrt hatte ich die Pläne fertig für den Umbau unserer Produktion nach US-Vorbild und hab dann meinen Vater bekniet: „Vater, das müssen wir auch so machen." Und da mein Vater ein neugieriger Mensch war, ließ er sich schnell überzeugen. Er sagte: „Junge, das kannst du allein, streng dich an, und wenn nötig, helfe ich dir." Dieses Vertrauen hat mich geprägt und mir das notwendige Selbstbewusstsein gegeben.

Ich war ein Kind meiner Zeit

Mein Vater ist dann früh gestorben und ich war mit 34 Jahren Chef eines damals schon großen Unternehmens. Unser Stammhaus in Herten war die modernste Fleischwarenfabrik in Europa. Und darum ging es in dieser Zeit: Effizienz, Rationalisierung, Automatisierung. Ich war neugierig, Technik begeisterte mich. Alles, was es an Neuheiten gab, war immer zuerst bei Herta: Verpackungstechnik, Datenverarbeitung, modernes Marketing. Ich war ein Kind meiner Zeit. Ich war stolz darauf, modern, fortschrittlich zu sein. Und na klar, das Geldverdienen war auch faszi­nierend. Alles, was wir machten, funktionierte. Es lief wie geschmiert.

Ein schlechtes Gewissen habe ich heute nicht, für mich war das eine tolle Zeit. Ich habe auch viele soziale Innovationen ins Laufen gebracht, für meine Metzger, meine Gesellen, meine Meister. Meine Leute waren mir immer wichtig. Ich habe damals zum Beispiel viel Kunst in die Fabrik gebracht, raus aus dem Chefbüro, rein in die Zerlegeabteilung. Aber der Wettbewerb wurde immer härter. Die Einkäufer der großen Handelsunternehmen haben mir gesagt: Den Firlefanz mit euren ganzen Sozialmaßnahmen, der Altersversorgung und der Kunst in der Fabrik, das sind wir nicht bereit zu bezahlen. Runter mit den Preisen!

Da konnte ich nur schwer dagegenhalten. Ich habe mir gedacht: Nein, es gibt gewisse Sachen, die mache ich nicht als Unternehmer. Ich lasse mich nicht vergewaltigen und tue Dinge, die ich eigentlich nicht tun möchte. Aber natürlich hab ich mich dann doch vergewaltigen lassen: noch ein Rabatt und noch ein Rabatt. Die Gewinne wurden kleiner.

Einen Betrieb werde ich nie im Leben vergessen

Am Ende waren da 5500 Mitarbeiter mit zehn Fabriken und Niederlassungen überall in Europa, in Brasilien und selbst in Äthiopien. Und ich flitzte immer von einem Ort zum anderen. Ich hatte das Gefühl: Die Größe halte ich nicht aus. Es war nur ein Gefühl. Aber ich bin sehr vom Bauch geprägt. Von dem, was man spürt, aber noch nicht definieren und realisieren kann. Man spürt, da läuft was falsch.

Um 1980 gab es dann ein Schlüsselerlebnis. Wir hatten im Oldenburger Land gerade ein neues Schlachthaus eröffnet, mit modernster Technologie. Aber ich stellte fest: Irgendwas stimmt mit den Tieren nicht. Die sind gestresst, liefern wässriges Fleisch. Ich habe unserem Einkäufer gesagt: Jetzt zeig mir mal die Bauernhöfe, wo unsere Tiere herkommen. Und da gab es einen Betrieb, den werde ich nie in meinem Leben vergessen. Wir wurden empfangen von einem Bauern, der gar kein Bauer mehr war. Der hatte einen schicken Bungalow und erzählte begeistert vom Tennisturnier, das er am Tag zuvor gespielt hatte.

Dann hat er uns seine Ställe gezeigt. Als er die Tür aufmacht, flüstert er: „Kein lautes Wort, kein Türenknallen, sonst kriegen die Schweine 'nen Herzinfarkt und fallen tot um." Ich sah diese Tiere auf den Spaltenböden. Es war eng. Es roch intensiv nach Ammoniak. Und obwohl es recht dunkel war, sah ich die traurigen Blicke dieser Schweine, die an den Stahlgittern kauten und sich teils die Schwänze abgebissen hatten. Da hab ich gewusst: Das kann nicht gut sein.

Ein Neuanfang

Als dann der älteste Sohn sagte: Ich hab was anderes vor mit meinem Leben, ich werde Bauer, da war ich innerlich reif. Kurze Zeit später habe ich zu meiner Frau gesagt: „Dorothee, wir ändern unser Leben und fangen noch mal ganz neu an."

Neun Monate später war die Entscheidung umgesetzt, Herta war an Nestlé verkauft und ich habe die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gegründet. Ich bin dankbar, dass ich damals diese Wende geschafft habe. Wenn ich das alles hätte machen müssen, was die Fleischindustrie heute macht, im Umgang mit den Tieren und im Umgang mit den Menschen, dann wäre ich schon gar nicht mehr da.

Das Schönste für mich aber ist, dass meine Kinder und ich wieder zueinander gefunden haben. Mit meinem Sohn Karl, der Bauer geworden ist, war zehn Jahre fast kein Dia­log möglich. Aber er ist wieder da, wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn in der Bibel. Meine drei Kinder, deren Partner und selbst die größeren Enkelkinder sind alle infiziert von dieser ganz bestimmten geistigen Grundhaltung, zu leben und zu arbeiten. Wir alle sind Handwerker und Unternehmer, bestimmt vom Leben und Arbeiten im Einklang mit der Natur. Wir sind ein richtiger Clan. Der Beitrag stammt aus dem impulse-Magazin 11/2013.

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