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Studieren mit Stipendium - Ein Arbeiterkind will das System verändern

Ein Einserabitur kann helfen, aber oft zählen noch andere Qualitäten: Wer ein Stipendium anstrebt, sollte sich die Profile der unterschiedlichen Förderwerke genau ansehen. In dieser Serie stellen wir Stipendiaten verschiedener Stiftungen vor.

Sharujan Premkumar ist ein fröhlicher und zugleich ernster Mensch. Der Fünfundzwanzigjährige lacht gern über sich selbst. Bei Dingen, die ihm besonders am Herzen liegen, wählt er seine Worte mit Bedacht, wirkt ruhig und nachdenklich. Alltagsrassismus ist so ein Thema, auch Chancengleichheit und Mitbestimmung beschäftigen ihn. Aufgewachsen ist Premkumar im Westerwald. Von 2017 bis 2021 hat er seinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Mainz gemacht. Vor vier Jahren ist er Stipendiat der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geworden, die in Deutschland etwa 2800 Studenten fördert.

Wer sich dort bewerben möchte, kann das zu zwei Terminen im Jahr tun. Voraussetzung ist ein Bafög-Anspruch. Zuerst müssen ein Onlineformular ausgefüllt und ein Referenzschreiben eingereicht werden, danach folgen Gespräche mit Stipendiaten und einem Vertrauensdozenten und zum Schluss eines mit Vertretern der Geschäftsführung, einer Gewerkschaft und der Stipendiatenschaft. Die Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft ist keine Voraussetzung, aber gern gesehen. Um Ungerechtigkeiten des Bildungssystems auszugleichen, werde außerdem die soziale Situation des Bewerbers miteinbezogen, sagt Eike Hebecker aus der Abteilung Studienförderung.

„Das war völliges Neuland für mich"

Premkumar ist vor einem Jahr bei Verdi eingetreten. „Ich hatte damals gar keinen Bezug zu Gewerkschaften, das war völliges Neuland für mich", sagt er. Mit den Werten der Stiftung, mit dem Kampf für eine gerechtere Gesellschaft habe er sich aber schon damals identifizieren können. Er bewarb sich mit einem guten, aber nicht überdurchschnittlichen Abiturzeugnis. Premkumars Eltern stammen aus Sri Lanka und gehören zur Volksgruppe der Tamilen.

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In seiner Familie ist er der Erste, der ein Studium begonnen hat. „Ich bin ein typisches Arbeiterkind", sagt er. Finanziell sei es bisweilen eng geworden. Als Jugendlicher auf einer Schule mit meist wohlhabenden Schülern, in der Regel ohne Migrationshintergrund, habe er sich manchmal allein gefühlt, erinnert sich Premkumar.

Alltagsrassismus, zum Beispiel versteckt hinter unangebrachten Bemerkungen, sei ihm erst mit den Jahren richtig bewusst geworden. Begegnet ist Premkumar solchen Vorurteilen auch außerhalb der Schule. Er habe sie hingenommen, bis ihm irgendwann klar geworden sei, dass und warum sie ihn störten. In diesen Fällen habe er immer das Gespräch gesucht - mit fast ausschließlich positivem Feedback.

Als Klassen- und später als Schülersprecher habe für ihn auch deswegen der Abbau von Barrieren und Vorurteilen Priorität gehabt. „Ich wollte, dass sich da etwas löst an meiner Schule." Nebenbei unterrichtete Premkumar in einer tamilischen Schule die Sprache und Geschichte der Tamilen. Das Herkunftsland seiner Eltern besuchte er nach dem Abitur zum ersten Mal. Für mehrere Monate reiste Premkumar nach Sri Lanka, wo er Verwandte kennenlernte und mehr über die Geschichte seiner Eltern erfuhr.

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Zurück in Deutschland jobbte er und sparte fürs Studium. Für sein Fach habe er sich entschieden, um in Zukunft aus der Position eines Arbeiterkinds heraus in Unternehmen für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, sagt Premkumar. „Ich möchte das System ändern. Es kann nicht sein, dass die Leute, die die härteste Arbeit machen, diejenigen sind, die am Ende am wenigsten verdienen."

Sein Drang, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern und für Gerechtigkeit zu kämpfen, begleitet ihn bis heute. In seiner Schulzeit war es das Start-Stipendium, das ihm dafür neue Perspektiven eröffnete. Die gleichnamige Stiftung fördert seit 2002 finanziell und ideell Schüler mit Einwanderungsgeschichte. Premkumar wurde angenommen und besuchte mit viel Elan bis zu zehn Veranstaltungen im Jahr.

Vermittler zwischen Stiftung und Stipendiaten

„Ich konnte dort so viel mitnehmen. Wie es ist, wenn man mit verschiedenen Kulturen Zeit verbringt, was da für ein Austausch stattfindet, was das mit einem macht - das sind Sachen, die man in seiner kleinen Welt im Westerwald nicht unbedingt kennenlernt." Von der manchmal beengenden Idylle des Dorflebens distanziert sich Premkumar immer wieder.

Es scheint, dass er sich dort nie richtig wohlgefühlt hat. Das Gespräch wird kurz unterbrochen, sein jüngerer Bruder hat eine Frage zu den Hausaufgaben. Nach dem Tod seines Vaters vor einigen Jahren ist Premkumar wieder in den Westerwald gezogen. Seitdem kümmert er sich um seine pflegebedürftige Mutter und die Geschwister.

„Ich hatte damals auf einmal viel mehr Verantwortung. Das war eine harte Zeit. Wäre die Stiftung nicht gewesen, hätte ich mein Studium wohl nicht durchgezogen", sagt er nachdenklich. Ihm sei viel Verständnis für seine Lage entgegengebracht worden, auch dann, wenn seine Noten einmal nicht so gut gewesen seien. Sein Amt als Regionalgruppensprecher, der eine Art Mittlerrolle zwischen Stiftung und Stipendiaten einnimmt, behielt Premkumar bis zum Bachelorabschluss.

„Ich bin froh, dass ich das weiter gemacht habe", sagt er. „Dadurch habe ich den Anschluss nicht verloren." Mit dem bestandenen Examen ist nun etwas mehr Ruhe in Premkumars Leben eingekehrt. Demnächst ist ein Umzug mit der Familie geplant. Außerdem will er Berufserfahrung sammeln. Nach dem Gespräch schreibt Premkumar weiter an seinen Bewerbungen. Er will schließlich nicht für immer im Westerwald bleiben. (Mehr auf der Webseite)

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