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Nicht jedes Graffito hat einen tieferen Sinn

Man könne ein Graffiti auch einfach schön finden und müsse nicht jeden Code entschlüsseln, sagt Patrick Klein. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

An mehreren Orten in Stuttgart wurden rätselhafte Aufschriften wie „Quasi" oder „180" hingesprüht. Auf der Suche nach einer Erklärung wird klar: Nicht alle Sprayer wollen eine Botschaft verbreiten. Bei illegalen Werken geht das oft auch gar nicht.

Stuttgart - Ein Polizeicode? Eine Anspielung auf die Hamburger Sprayergruppe Crew 180? Oder etwas ganz Banales - wie ein rückwärts geschriebenes Geburtsdatum? An etlichen Plätzen in Stuttgart prangt derzeit die Aufschrift „180", oft kombiniert mit dem Begriff „Quasi". Was das bedeuten soll, kann sich ein Laie kaum erklären. Also: Anruf bei Patrick Klein, der so etwas wie der Graffiti-Beauftragte Stuttgarts ist.


Zwölf Jahre lang hat Patrick Klein den Laden Thirdrail in der Innenstadt geführt und dort Sprühdosen und Skizzenbücher verkauft. Außerdem bietet er Seminare an, besprüht mit Kindern und Jugendlichen legal Flächen und führt Auftragsarbeiten aus, etwa indem er Stromhäuschen bunt gestaltet oder Biene Maja in ein Kinderzimmer malt.

Nicht immer werden Sprühdosen verwendet

Der Graffiti-Experte stimmt einem Treffen unter der König-Karls-Brücke in Bad Cannstatt zu. Dort wird quasi durchgängig gesprüht – und es gibt etliche Aufschriften und Codes, über die man rätseln kann. Vor Ort fängt Patrick Klein, 40 Jahre alt, Hornbrille, kariertes Flanellhemd, direkt mit der Aufklärungsarbeit an: „Viele nennen diesen Ort hier Hall of Fame.“ Dies sei aber kein sehr präziser Begriff: „Jeder Platz und jede Wandfläche, an der legal gemalt werden darf, heißt so.“


Es fällt auf, dass Patrick Klein öfter „malen“ als „sprühen“ sagt. „Wir verwenden immer das Utensil, das am besten funktioniert“, erklärt er. Nicht immer sei das eine Sprühdose, manchmal auch Wandfarbe oder Lack. Während er das erzählt, führt er zu einem seiner Werke. Die meisten Graffiti unter der König-Karls-Brücke überleben nur kurz, mitunter wird eine Fläche dreimal pro Wochenende neu besprüht. Die rote S-Bahn, die er auf eine Mauer gemalt hat, ist an diesem Morgen aber immer noch da. Darauf steht „Mister Nok“. An diesem Beispiel versucht er zu erklären, dass nicht jedes Graffito interpretationswürdig sei: „’Mister’ ist mein Künstlername. Und ‚Nok’ sind die Initialen meines achtjährigen Sohns.“


Weit verbreitet ist die Abkürzung „ACAB“

Für die Zahl „180“, die zurzeit an mehreren Flächen prangt, hat er keine rechte Erklärung, es könnte eine Anspielung auf die bekannte Hamburger Sprayergruppe Crew 180 sein. Bei der Aufschrift „Quasi“ vermutet er, dass dies ein Künstlername sei. In dem Moment entdeckt er allerdings eine andere Aufschrift: „Quasi Gang“. Er zuckt die Schultern, vielleicht bedeutet „Quasi“ auch etwas völlig Anderes.


Es gibt allerdings einige Graffiti-Abkürzungen, die immer wieder auftauchen und deren Bedeutung recht klar ist. Die wohl bekannteste ist „ACAB“: „All cops are bastards“, was so viel heißt wie „Alle Polizisten sind Schweine“. Teilweise wird die Parole auch als „1312“ codiert dargestellt, entsprechend der Buchstabenposition im Alphabet. Mitunter wird ACAB auch anders interpretiert, zum Beispiel mit „All colours are beautiful“ (dt.: Alle (Haut-)Farben sind schön). Polizisten lesen es gerne als „All cops are beautiful“, also „Alle Polizisten sind schön“.


„420“ als Anspielung auf Cannabiskonsum

Ebenfalls bekannt ist die Zahlenkombination 187. Dies ist die Nummer des Paragrafen im kalifornischen Strafgesetzbuch, in dem Mord behandelt wird. Auch im Funkverkehr der amerikanischen Polizei steht „One Eight Seven“ für Mord. Mittlerweile wird die Zahlenkombination aber auch von vielen Menschen verwendet, die gerne Hip-Hop-Musik hören – als Anspielung auf die Hamburger Rapgruppe 187 Straßenbande.


Die Zahl 420 (ausgesprochen „four twenty“) ist unterdessen eine Anspielung auf den Konsum von Cannabis. Im kalifornischen San Rafael traf sich im Jahr 1971 regelmäßig um 16.20 Uhr eine Gruppe junger Menschen zum Suchen einer angeblich in der Nähe befindlichen Cannabisplantage. „420“ entwickelte sich zu einem Code fürs Kiffen.


Schmierereien möglichst schnell entfernen

Ermittlungstechnisch habe die Entschlüsselung solcher Codes aber nur wenig Wert, sagt der Experte Patrick Klein. Denn wer illegal sprühe, schreibe nicht immer denselben Schriftzug unter seine Werke: „Die Künstler sind ja nicht blöd – und können auch ganz bewusst in die Irre führen.“ Sowieso hält er es auch für nicht wichtig, jedes Werk zu entschlüsseln: „Auch wir Deutschen sollten probieren, nicht in alles etwas reininterpretieren zu wollen.“ Stattdessen empfiehlt er, „den Kopf mal auszuschalten, sich ein Graffito anzuschauen und nur zu überlegen, ob es einem gefällt.“


Bei illegal hingeschmierten Aufschriften wie „180“ oder „Quasi“ müssen da die meisten wohl nicht lange überlegen. Für solche wenig kreativen Werke hat Patrick Klein einen Tipp: schnell entfernen, damit nicht noch mehr Schmierereien dazu kommen. Und wenn immer wieder aufs Neue eine Wand beschmiert werde? Dann sei es irgendwann sinnvoll, die Fläche für eine Auftragsarbeit freizugeben, die einem persönlich gefalle, meint Klein. Manchmal könne Graffiti ja auch schöner sein als eine graue Wand.

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