Juli Katz

Journalistin, Lektorin, MV

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Artikel

„You can't take it seriously"

Tourismus, der [Substantiv]: „1. Der Vorgang, dass (relativ viele) Menschen in fremde Länder oder im eigenen Land in bestimmte Gegenden fahren, um dort Urlaub zu machen und/oder Sehenswürdigkeiten anzusehen."


Tourist/in, der/die [Substantiv]: „jemand, der als Urlauber ein Land besucht".


Du weißt schon, diese Leute, die den Fahrradweg blockieren, wenn du's eilig hast, oder ihren Koffer im Bus an deine Wade quetschen, wenn's grad mal besonders warm ist. Oder die in deiner Facebook-Timeline im explizit schönen Strohhut und Hemd vorm Kolosseum in Rom in die Kamera grinsen. Oder dir mit ihrem Selfie-Stick den Weg blockieren, um vor allem ihre Zähne ins Kameralicht zu halten. Und dann stöhnst du kurz auf und sagst: Man, immer diese Touristen!


Touristen, sagt Marco d'Eramo, das seien immer die anderen. Sein Buch „Die Welt im Selfie" (Originaltitel: „Il selfie del mondo"), das gerade bei Suhrkamp in deutscher Übersetzung erschien, sei aus einem eher dummen Grund entstanden: Faulheit. Weil er, geboren 1947 in Rom, schon zahlreiche Essays über verschiedene Städte geschrieben hatte, wollte er damit arbeiten und die Frage stellen: Wieso sind denn so viele von uns „tourists"? Und wie soll man sie denn erst nehmen, diese Menschengruppe mit ihren witzigen Hüten, Mountainboots und kurzen Hosen, die jemandem hinterherrennen, der einen Regenschirm in die Luft hält? Das sei der Trick am Tourismus: „You can't take it seriously."


Trotzdem gibt es Städte, die nur mehr darauf ausgerichtet sind, sich einzig vom Tourismus zu nähren. Und deswegen aussterben können, wenn sie von der Unesco vollständig bewahrt werden sollen, weil ihnen das genommen wird, was sie eigentlich ausmacht.

Anders als Paris, Berlin oder New York fehle ihnen bei einer Transformation zur „dead zone" schnell eine soziale Realität, mit Ankommen und Weggehen und Einwohnerinnen und Einwohnern, die hassen und lieben und Sachen verändern, statt ein einziges Abbild, eine Idee von sich beständig zu verkörpern. Für einzelne Monumente geht das vielleicht, aber eine einzige Funktion reiche einer Stadt nicht zum Überleben. Wie aber den Tourismus abschaffen? Das geht nicht, also musst du ihn irgendwie managen, meint d'Eramo.


Du überlegst dir ja nicht vorher, ob du deinem Bruder oder Großtante Inga jetzt diese kleine Anhängerkette mit einer Miniaturabbildung des Schiefen Turms von Pisa oder des VW-Werks mitbringst; du kaufst ihn halt und berichtest zu Hause über all diese persönlichen Erfahrungen, die du ganz individuell gemacht hast. Vorher rollst du schwitzend deinen Koffer über den Fahrradweg bis zur Haustür. Und postest von deinem Urlaub ein paar Pics auf Facebook, die mal zeigen, wie gut du dich erholen konntest. Was war noch mal der Unterschied zwischen „traveller" und „tourist"? Marco d'Eramo weiß es: „The traveller is the tourist in self-denial."

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