Josephine von der Haar

Freie Journalistin, Frankfurt am Main

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Kritik an Niedersachsens Sozialpolitik: „Vertafelung der Gesellschaft"

Niedersachsen möchte Tafeln stärker unterstützen. Die Landesarmutskonferenz kritisiert, dass das Land damit seine sozialen Aufgaben auslagere.

HAMBURG taz | Eine aktive Unterstützung in Notsituationen, ohne den Staat aus seiner Verantwortung zu entlassen - so lautet der Anspruch der Tafeln in Deutschland. Doch immer mehr Menschen sind auf ihre Hilfe dauerhaft angewiesen. Die niedersächsische Landesregierung möchte die Tafeln deswegen zukünftig stärker finanziell und infrastrukturell unterstützen. Auch eine Werbekampagne ist im Gespräch, um ehrenamtliche Mit­ar­bei­te­r*in­nen zu gewinnen.

„Insgesamt wird das Hilfsprogramm der Landesregierung dazu beitragen, die Situation armutsbetroffener Menschen in Niedersachsen wenigstens etwas zu entspannen", sagt Uwe Lampe, Vorsitzender des Landesverbandees der Tafeln in Niedersachsen und Bremen. Der Verband war an der Erarbeitung der Pläne beteiligt. Zentral ist laut Lampe insbesondere die Absicht, Logistikzentren für die Tafeln einzurichten. Diese sollen die Verteilung von Lebensmitteln erleichtern. Wo genau sie gebaut werden, ist derzeit noch in Planung. Anbieten würden sich laut Lampe Standorte in Bremen, der Region Hannover und in Nordwestniedersachsen.

Den Plänen vorausgegangen war eine Initiative des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD). Unter Führung der Ministerien waren Wirtschaftsverbände, Kirchen, Gewerkschaften, Energieversorger und Sozialverbände sowie die Kommunen aufgefordert, Vorschläge für den Umgang mit den kommenden sozialen Herausforderungen zu erarbeiten.

Während der Landesverband der Tafeln auf eine Ausweitung und Verstetigung der finanziellen Unterstützung hinarbeitet, warnt die Landesarmutskonferenz Niedersachsen vor einer „Vertafelung der Gesellschaft". Zwar sei die finanzielle Unterstützung der Tafeln in Krisenzeiten notwendig, sagt Klaus-Dieter Gleitze, Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz, doch „eine Tafel muss in einer der reichsten Gesellschaften der Welt eine Ausnahme sein und darf nicht zum flächendeckenden Angebot der Daseinsfürsorge werden".

Der Staat ziehe sich zunehmend aus seiner Fürsorgepflicht für Menschen mit wenig Geld zurück, kritisiert Gleitze. Anstatt auf ehrenamtliche Angebote zu setzen, sollte der Staat gerechte Teilhabe ermöglichen. Konkret fordert die Landesarmutskonferenz von der Landesregierung beispielsweise eine Bundesratsinitiative zur Erhöhung des Regelsatzes für Hartz-IV und Grundsicherung.

„Natürlich wären wir dankbar, wenn wir nicht systemrelevant wären", sagt Lampe. Doch das sei aktuell nicht absehbar. Über 100 Tafeln mit insgesamt 250 Ausgabestellen gibt es in Niedersachsen und Bremen. Aktuell arbeiten rund 7.000 Ehrenamtliche für die Tafeln. Doch das reiche nicht aus, „um dem Ansturm gerecht zu werden", sagt Lampe. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „dramatischen Entwicklung". Für politische Diskussionen habe man aktuell keine Zeit. „Wir sind diejenigen, die die Ärmel hochkrempeln und in der sozialen Notsituation anpacken."

Wie hoch die zusätzliche finanzielle Unterstützung der Tafeln ausfallen soll, prüft das niedersächsische Sozialministerium noch. Sie wird auf mehrere Jahre angelegt. Eine eventuelle Werbekampagne wäre hingegen als einmalige Unterstützung gedacht.

Darüber hinaus kündigt das Land Niedersachsen einen Nachtragshaushalt in Höhe von 100 Millionen Euro an, um die Kosten der sozialen Krise abzufedern. Daraus sollen auch die geplanten Logistikzentren finanziert werden. Wie das Geld verteilt wird, ist derzeit noch Gegenstand von Verhandlungen. Der Landesverband der Tafeln hat einen Vorschlag vorgelegt, laut dem für die Einrichtung der Logistikzentren 1,5 Millionen Euro benötigt würden. Das Geld soll den Tafeln Ende des Jahres zur Verfügung stehen.

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