Josephine Andreoli

Journalistin, Redakteurin, Hamburg

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Artikel

Lobbyerfolg bei CO2-Grenzwerten: Bayerische Landesregierung und MAN schwächten EU-Strafzahlungen ab

Der Lkw-Hersteller MAN macht Druck bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, hohe Strafzahlungen der EU bei Überschreitung der CO2-Grenzwerte abzumildern. Interne Unterlagen zeigen, dass der Konzern dabei Schützenhilfe von der bayerischen Staatsregierung erhielt: Der Wirtschaftsminister persönlich setzte sich in Berlin für die Interessen von MAN ein – mit Erfolg. 

Von Josephine Andreoli

Dass zwei Lobbyschreiben am selben Tag in einem Ministerium eingehen, ist nicht außergewöhnlich. Dass sich beide Schreiben um die gleiche Thematik drehen, aber nur eines von einem Unternehmen stammt und das andere von einem Staatsminister, ist dann doch eher ungewöhnlich. 


Es ist der 1. November 2018, als zwei Briefe in das von Andreas Scheuer (CSU) geführte Bundesverkehrsministerium eingehen. Ein Brief stammt von der in München sitzenden MAN Truck & Bus AG, der andere vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Energie und Technologie. Beide Schreiben sind datiert auf den 30. Oktober 2018. Und beide Schreiben werben bei Verkehrsminister Scheuer darum, sich in Brüssel für eine Abschwächung der geplanten CO2-Regulierung und insbesondere der Strafzahlungen einzusetzen. Das geht aus internen Unterlagen hervor, die abgeordnetenwatch.de über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) angefordert hat und erstmals veröffentlicht.


Alles nur Zufall?

Schenkt man MAN und dem Bayerischen Wirtschaftsministerium Glauben, war es Zufall, dass beide Briefe am selben Tag im Ministerium eingingen. Das erklärte eine Unternehmenssprecherin gegenüber abgeordnetenwatch.de. Das Bayerische Wirtschaftsministerium äußerte sich zu einer Schriftlichen Anfrage der Landtagsabgeordneten Barbara Fuchs (Grüne) ähnlich. Demnach habe Staatsminister Franz Josef Pschierer (CSU) die Position der Bayerischen Staatsregierung bekräftigt und „sich auf allen Ebenen für eine angemessene und für die Nutzfahrzeugindustrie realistische Regulierung“ eingesetzt. Dass nur acht Tage vor Eingang der beiden Lobbyschreiben, am 22. Oktober 2018, ein Treffen zwischen dem MAN-Betriebsrat und Pschierer zu ausgerechnet dieser Thematik stattfand, lässt an der Zufälligkeit zweifeln.


Die Verordnung soll CO2-Emissionen von Lkw und schweren Nutzfahrzeugen drosseln

Die Europäische Kommission plant, die CO2-Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge und Lkw mithilfe einer CO2-Regulierung zu senken: Ab 2025 um 15 Prozent, ab 2030 um mindestens 30 Prozent. Bei Überschreitung der Grenzwerte drohen Lkw-Herstellern Strafzahlungen in Höhe von 6.800 Euro. In der Industrie sorgte dieser Vorschlag für Verärgerung. Die Strafe sei „70 mal höher als bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen, was völlig disproportional zu den vergleichbaren technologischen Vermeidungskosten ist“, argumentieren der Gesamtbetriebsratsvorsitzende und Vorstandsvorsitzende von MAN in ihrem Schreiben an die Minister:innen. Stattdessen schlagen sie eine Strafzahlung von 570 Euro vor.


Um ihre Position gegenüber der Bundesregierung deutlich zu machen, schrieben MAN und Staatsminister Pschierer auch an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Ein ähnlich lautendes Schreiben ging auch von dem Lkw-Hersteller Daimler bei den Ministerien ein. Einem Beamten aus dem Bundesumweltministerium (BMU) war die ähnliche Argumentation in den Briefen aufgefallen: „Die Schreiben an das BMU von Daimler und MAN sind inhaltsgleich und in weiten Teilen sogar wortgleich. Das Schreiben des Bayerischen Staatsministers geht inhaltlich in eine sehr ähnliche Richtung, ist aber weniger detailliert“ als jenes von MAN, schreibt er in einer Mail an die Fachreferate aller an der CO2-Regulierung beteiligten Ministerien. Wie mit den Lobbyschreiben umzugehen sei, sorgt intern für eine wochenlange Kontroverse. Auch dies belegen die internen Unterlagen. 


Einwände von MAN finden Anklang beim Wirtschafts- und Verkehrsministerium

Deutlich wird das in den Vorbereitungen auf den EU-Umweltministerrat am 20. Dezember 2018 in Brüssel, in welcher die Bundesregierung ihre Position gegenüber den anderen Mitgliedsländern vortragen muss. Allerdings ist man von Geschlossenheit weit entfernt: Umweltministerin Schulze und Verkehrsminister Scheuer halten Strafzahlungen in Höhe von 5.000 Euro für akzeptabel, das Wirtschaftsministerium will der Industrie noch weiter entgegenkommen und schlägt eine Minderung der Sanktionen auf 3.500 Euro vor. Als möglichen Kompromiss und Position der Bundesregierung stellt das BMU 4.500 Euro zur Diskussion.


Auch wenn sich die Positionen der Ministerien stark voneinander unterscheiden – in einem Punkt ist man sich einig: Der Vorschlag des Europäischen Parlaments, die CO2-Grenzwerte weiter zu verschärfen, geht ihnen zu weit. Deutschland ist der Auffassung, „dass nicht über die Ziele [der Europäischen Kommission] hinausgegangen werden sollte“ . So steht es in einem sogenannten Vorbericht auf den EU-Umweltministerrat. 


Deutschland bleibt bei Forderungen zu CO2-Einsparungen hinter allen anderen EU-Mitgliedsländern zurück

Als die EU-Umweltminister eine allgemeine Ausrichtung zur CO2-Verordnung für schwere Nutzfahrzeuge und Lkw verabschieden, ist Deutschland das einzige Land, das den Text nicht stützt. „Ich hätte dem letzten Kompromissvorschlag der österreichischen Ratspräsidentschaft gern zugestimmt“, sagte Umweltministerin Svenja Schulze im Nachgang an den Umweltrat laut einer internen Vorlage. „Aber ich konnte mich mit dem Bundeskanzleramt nicht darüber verständigen. Sich in einer so wichtigen umweltpolitischen Frage zu isolieren, ist mehr als peinlich.“ 


Die sogenannten Trilogverhandlungen zwischen den drei gesetzgebenden Institutionen der EU – Kommission, Rat und Parlament – können trotzdem aufgenommen werden. Deutschlands Ziel: „Andere MS [Mitgliedstaaten] und MdEP [Mitglieder des Europäischen Parlaments] dazu bewegen, technische Punkte, die der Industrie entgegenkommen, zu unterstützen“. Den wichtigsten Punkt stellen dabei die Zielwerte für 2025 und 2030 dar: „Leider haben wir hier absolut keine Flexibilität, um dem EP [Europäischen Parlament] entgegenzukommen. Denn die Industrie sieht über diese Werte hinaus keinerlei weitere Effizienzpotentiale“. Gemeint ist eine Erhöhung der CO2-Grenzwerte. So steht es in einer vom BMU erstellten und mit dem Kanzleramt, dem Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzministerium abgestimmten Weisung für die dritte Trilogverhandlung. 


Deutschland dämpft Erwartungen der Staaten an ambitioniertes Verhandlungsergebnis

Der Ansatz der Bundesregierung – „Erwartungen dämpfen“, dem Europäischen Parlament aber in „einigen Punkten so weit entgegenkommen, dass eine Einigung im Trilog möglich wird, und dabei auch Anliegen der Industrie Rechnung tragen“ – scheint zu funktionieren. Statt der schon stark dezimierten Strafzahlungen in Höhe von 4.500 Euro, die das BMU zunächst als Kompromiss ins Spiel gebracht hatte, fordert die Regierung nun vorerst eine Senkung auf 4.000 Euro. Bei einer „Gesamteinigung“ könnte Deutschland dem Europäischen Parlament aber „in begrenztem Umfang entgegenkommen“.


Rumänien, das seit Anfang 2019 die Ratspräsidentschaft innehatte, habe im Sinne Deutschlands verhandelt und „ein beachtliches Verhandlungsergebnis erzielt", schreibt ein Beamter des BMU nach einer Einigung im Trilog und bittet die beteiligten Ministerien um Mitzeichnung der angehängten Weisung. "Alles andere als eine klare Zustimmung zum Kompromiss wäre somit auch aus diplomatischer Sicht äußerst fragwürdig." Auch andere Staaten wie Frankreich, Schweden, die Niederlande und Italien, in denen Lkw-Hersteller beheimatet sind, hätten ihre Zustimmung angekündigt. Und sogar der Lkw-Hersteller Daimler, der ganz ähnliche Interessen wie MAN verfolgt, habe eine Zustimmung angeregt. 


Das Ergebnis nach den Trilogverhandlungen: Klarer Sieg der Lkw-Lobby

Ein verbindliches Ziel von 30 Prozent CO2-Einsparung ab 2030 wurde – wie von der Bundesregierung gefordert – festgelegt, was eine „größere Planbarkeit und Rechtssicherheit für die Hersteller“ bedeutet. Die Strafzahlungen bei Überschreitung der CO2-Grenzwerte wurden gesenkt – von 6.800 Euro auf 4.250 Euro, zumindest im Zeitraum von 2025 bis 2029. Erst ab 2030 sollen die Strafzahlungen auf maximal 6.800 Euro angehoben werden. „Die nun erfolgte Senkung der Strafen war ein Kernanliegen der Industrie“, erkennt der Beamte in seiner Mail an die Fachreferate der Ministerien an. Das Ergebnis sei insbesondere auch aus industriepolitischer Sicht „akzeptabel“. 


Wenngleich weder MAN und Daimler, noch der damalige Staatsminister Pschierer eine Antwort der Bundesregierung auf ihre Schreiben erhalten haben – ihr Hauptziel, die Strafzahlungen zu senken, haben sie erreicht. Selbst das Verkehrsministerium befürwortet die Zustimmung Deutschlands in einer Mail: "Wenn es denn der Kompromissfindung dient, soll es so sein."