Heide Sommer war Sekretärin von Rudolf Augstein, Helmut Schmidt und anderen einflussreichen Männern. Sie gibt private Einblicke und schildert, was sich verändert hat.
Von Jonas Voss
Macht Macht attraktiv, Frau Sommer?Heide Sommer: Ob Macht attraktiv macht, weiß ich nicht. Aber Einfluss, den finde ich attraktiv. Ich habe ja für einflussreiche, nicht für mächtige Männer gearbeitet.
Sie sind seit mehr als einem halben Jahrhundert Sekretärin und haben für den ehemaligen Zeit-Chefredakteur Theo Sommer, Carl Zuckmayer, Spiegel-Chefredakteur Günter Gaus, Rudolf Augstein, Joachim Fest, Helmut und Loki Schmidt sowie Fritz J. Raddatz gearbeitet. Die waren nicht mächtig?Sommer: Helmut Schmidt in seiner Zeit als Kanzler hatte so viel Macht wie Verantwortung, aber ich kam ja erst in seinen späten Jahren als Mitarbeiterin zu ihm. Macht bedeutet doch, jemandem gebieten zu können. Augstein war still und leise und hatte die Macht der spitzen Feder, Henri Nannen hingegen, Gründer, Herausgeber und langjähriger Chefredakteur des Stern, der war ein großer Zampano.
Wie begann Ihre Karriere denn?Sommer: Ich habe mit 22 bei der Zeit begonnen, das war 1963 und kam so: Ich wurde nach einer Podiumsdiskussion mit Theo Sommer Leserin der Zeit und wollte unbedingt dort arbeiten. Eine Blind-Bewerbung führte rasch zur Einstellung durch Marion Gräfin Dönhoff, damals stellvertretende Chefredakteurin. Ich ging einfach hin und bekam meine erste Stelle als Sekretärin in der Politikredaktion.
Über Frau Dönhoff schreiben Sie, dass Sie sie als weiblich empfunden haben, die Männer aber wohl nicht. Konnte man damals als Frau nur burschikos erscheinend Karriere machen?Sommer: Bei uns Sekretärinnen war „Weiblich-Sein" nicht das Wichtigste. Wir mussten unser Handwerk verstehen.
Sie hatten Abitur. Wollten Sie denn nicht studieren?Sommer: Ich hatte einfach Lust zu arbeiten und die Welt kennenzulernen. Meine Eltern haben mir vorgelebt, selbstbestimmt zu leben. Das habe ich nachgelebt.
In Ihrem Buch gewinnt man den Eindruck, dass Sie als Sekretärin durchaus auf Augenhöhe mit Männern wie Rudolf Augstein oder Fritz Raddatz agierten. Waren diese einflussreichen Männer abhängig von Ihnen?Sommer: Ich hatte immer ein persönliches Vertrauensverhältnis zu meinen Chefs, was übrigens auch für meine Kolleginnen gilt. Wir haben das Leben der Männer einfacher gemacht und waren ihre „Wunscherfüllerinnen". Seien es Opernkarten für bereits ausverkaufte Premieren oder inhaltliche Arbeiten bei Artikeln, die man redigiert oder durchspricht.
Mancher Mann hätte Sie wohl gerne auch über den Beruf hinaus als „Wunscherfüllerin" gehabt. Sie schildern ja auch ein paar Passagen in Ihrem Buch, die in der heutigen Arbeitswelt wohl mehr als unangebracht wären. Haben Sie sich dennoch emanzipiert gefühlt?Sommer: Ich war immer emanzipiert. Ich habe mal zu Theo gesagt, ich sei emanzipiert geboren worden. (lacht) Meine Eltern, beide Musiker, haben mir das auch so vorgelebt. Sie führten eine gleichberechtigte Ehe.
Theo Sommer, den Sie nach einer jahrelangen Affäre schließlich heirateten, hätte das gerne anders gehabt. Als Sie die Chance hatten, mit Augstein auf Wahlkampf zu gehen, fragte Sommer nur irritiert: „Wer brät mir dann mein Steak?!"Sommer: So ist es. Für Theo war so eine Situation völlig neu, bis dahin war immer er derjenige, der auf Reisen ging. Viele Männer waren es gewohnt, von ihren Frauen versorgt zu werden. Theos jetzige Frau Sabine - wir sind übrigens gut befreundet - arbeitet auch nicht. Sie hat genug damit zu tun, Theo zu versorgen. (lacht)
Dass Sie nicht studiert haben, haben Sie nie bereut? Immerhin hat Sie Ihre Karriere zu vielen Großen der bundesrepublikanischen Geschichte geführt.Sommer: Es war natürlich ein Glücksfall, dass ich so tolle Menschen kennenlernen durfte. Heute sprechen alle von meiner Karriere, das wäre mir früher nie eingefallen. Erst durch mein Buch wird mir bewusst, dass ich wohl tatsächlich eine Karriere hatte und heute, im Alter, die Früchte ernten darf.
Wie haben Sie denn das früher gesehen?Sommer: Ich habe einfach meine Arbeit geliebt und saß gerne auch bis Mitternacht in den Redaktionen. Ich habe immer mein eigenes Geld verdient - zusätzlich zum Ehegattenunterhalt. Jetzt bin ich fast 80 und völlig frei.
Und arbeiten immer noch, für den SPD-Politiker Karl von Dohnanyi. Heute würde man Sie wohl als Workaholic bezeichnen.Sommer: Mich erfüllt meine Arbeit eben, ohne Arbeit hätte ich mir mein Leben nicht vorstellen können. Meine Kinder sind meine größte Erfüllung, knapp dahinter kommt die Arbeit.
Hätten Sie sich nicht mehr als nur finanzielle Unterstützung durch Theo Sommer nach Ihrer Trennung gewünscht? Schließlich hatten sie zwei Kinder miteinander.Sommer: Theo war in den ersten Jahren unserer Ehe Chefredakteur und hatte unglaublich viel zu tun, kam immer sehr spät nach Haus. Aber in den Ferien war er ein wunderbarer Papa, hat alles für die Kinder getan. Von ihm haben sie Skifahren und Windsurfen gelernt.
Sie bekamen die beiden Kinder, ohne verheiratet zu sein. War das ein Problem zu der Zeit?Sommer: Nein, niemals. Zumindest nicht für uns. Aber das Jugendamt kontrollierte doch, ob ich als ledige Mutter die Kinder gut behandelte.
Nachdem Sie für Theo Sommer gearbeitet hatten, kamen Sie über Umwege zu Carl Zuckmayer in die Schweiz. Er kommt in Ihrem Buch als Eigenbrötler herüber, was für fast alle Ihre ehemaligen Chefs gilt. Ist das vielleicht ein Wesenszug von so klugen Männern?Sommer: Abgesehen von Theo waren alle Chefs ein wenig eigen, das stimmt, aber vielleicht müssen bedeutende Männer so sein. Woran das liegt, kann ich nicht sagen. Augstein zum Beispiel wirkte introvertiert, manchmal zerrissen.
Zuckmayer war damals ja knapp 70, als Sie zu ihm in die Schweiz zogen. Sie Mitte zwanzig. In Ihrem Buch berichten Sie von Annäherungen seinerseits.Sommer: Er mochte mir gern Geschichtchen erzählen. Wenn er mir auf der Wendeltreppe im Haus wohl mal zu nahekam, dann habe ich deutlich Nein gesagt und das wurde respektiert.
Heide Sommer lebt mittlerweile in Wacken und hat das Festival auch mal besucht.
Wie war Rudolf Augstein als Mensch?Sommer: Im Grunde suchte Rudolf keine Sekretärin, sondern eine Lebenshilfekraft, die ihm eine warme Suppe kocht. Er hat sich nicht entblödet, an einem Samstagnachmittag bei mir zu Hause anzurufen und einleitungslos zu fragen: „Hai-däh, willst du mit mir leben?" Da war ich nicht die Erste oder Einzige. Ich wusste sofort, dass es ihm sehr schlecht gehen musste. Er tat mir leid, vor allem, weil ich auch noch Nein sagen musste.
Er war einsam?Sommer: Augstein brauchte alles - Lebenshilfe, Ehefrau, Geliebte. Er war es nicht gewohnt, auf sich allein gestellt zu sein. Er war oft in sich gekehrt.
Wie war denn das Arbeiten mit ihm?Sommer: Persönliche Sekretärin für Augstein zu sein, war eine Luxusposition. Das fing mit der wunderschönen Ausstattung des Büros an und gilt auch für das Persönliche zwischen uns. Augstein hat sich bescheidene Freuden gegönnt, er war kein Protzer.
Sie pflegen ein sehr positives Augstein-Bild. Andere berichteten von sexuellen Annäherungen und cholerischen Ausbrüchen.Sommer: Das war ja wesentlich später, meine Zeit beim Spiegel ist 45 Jahre her. Da war Rudolf Augstein noch anders und die Zeiten waren nicht so brutal wie heute. Was heute übergriffig wäre, habe ich damals als charmant und als Zeichen von Sympathie empfunden.
Hat zu diesen Flirtereien auch der Alkohol beigetragen? Früher soll in den Redaktionen ja tüchtig getrunken worden sein.Sommer: Ab und zu wurde sicherlich ein bisschen gebechert. Exzesse gab es aber nicht, zumindest nicht beim Alkohol. Kettenraucher waren dagegen viele. Ich weiß bei der Zeit eigentlich nur von einem früheren Feuilleton-Chef, der den Whiskey in seinem Schrank mit Orangensaft gestreckt hat.
Augstein soll ein Trinker gewesen sein.Sommer: Der Alkohol wurde im Alter wohl sein Problem. Anfang der Siebziger kroch er nach einem Mittagessen volltrunken auf allen Vieren über die Ost-West-Straße in Hamburg, direkt vor dem Spiegel-Haus. Alle konnten es mitansehen.
Von 2006 bis 2009 waren Sie bei Helmut Schmidt angestellt. Wie kam es dazu?Sommer: Ich habe die Schmidts kennengelernt, als Theo 1969 für das Verteidigungsministerium arbeitete. Wir hielten über die Jahrzehnte Kontakt. Als das Bundeskanzleramt 2006 fragte, ob ich in Schmidts Stab eintreten wolle, bestand ich darauf zu klären, ob man bei der damals noch hohen Arbeitslosigkeit eine Rentnerin einstellen dürfe. Aber da hieß es nur: „Was Schmidt sagt, wird gemacht!" Ich war Jahrzehnte nicht mehr im Langenhoorner Reihenhaus - als ich es betrat, musste ich feststellen: nichts hatte sich verändert. Dieselben Möbel, dieselben Bilder, derselbe Flügel.
Wie war der Altbundeskanzler damals so?Sommer: Alt. (lacht) Nein, für ihn hat sich alles gut gefügt. Durch seine Tätigkeit als Mitherausgeber der Zeit war er Teil des öffentlichen Diskurses. Er hatte zu tun, war gefragt und sicherlich sehr zufrieden.
Sommer: Ihr ging es oft gesundheitlich nicht mehr gut, Helmut war oft abwesend. Sie hat sich ständig um ihn gesorgt, obwohl sie es nicht immer leicht mit ihm hatte. Vielleicht war sie ein wenig einsam.
Nach Ihrem Buch über mehr als 50 Jahre im Herzen des deutschen Medien-, Politik- und Kulturbetriebs gewinnt man den Eindruck, dass all diese Geistesgrößen fast eine Art Clique bilden.Sommer: Sie kannten sich alle, waren eine Mischpoke - im positiven Sinne. Dazu gehörten auch Günter Grass oder Peter Rühmkorf. Der hat mir schön gedichtete Liebesbriefe geschrieben, die ich aber nicht Ernst genommen habe. (lacht) Unter diesen sehr besonderen Männern gab es auch Animositäten, etwa zwischen Raddatz und Grass.
Und Sie waren ein Teil davon.Sommer: Na, sagen wir: Zuschauerin mit bestem Logenplatz. Ich bin sehr zufrieden und dankbar für mein Leben. Wer kann das schon von sich behaupten?
Zur Person: Heide Sommer ist Jahrgang 1940, arbeitet seit 1963 als Sekretärin. Sie begann Ihrer Karriere in der Zeit-Redaktion als Sekretärin von Theo Sommer, den sie später heiratete. Auf ihr Leben als Sekretärin prominenter Männer blickt Sommer nun in einem Buch zurück: „Lassen Sie mich mal machen. Fünf Jahrzehnte als Sekretärin berühmter Männer" ist im Ullstein-Verlag erschienen und kostet 22 Euro.
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