Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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Ex-Rebellenchef vor Gericht

Die Beweislast wiegt schwer - im wahrsten Sinne des Wortes. Auf mehr als 3000 Seiten haben Anwälte mehr als 250 Zeugenberichte zusammengetragen, um Gräueltaten im Ostkongo zu belegen, für die der ehemalige Rebellenführer Ntabo Ntaberi Sheka verantwortlich sein soll. In der Akte verbergen sich Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen, Plünderungen, Mord und Folter sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten. Außerdem wird Sheka die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen.


Bis ins Jahr 2010 reichen die dokumentierten Fälle zurück, für die er nun vor einem Militärgericht in Goma, der Provinzhauptstadt Nord-Kivus, zur Rechenschaft gezogen wird.  "Dieser Prozess hat eine große Bedeutung", sagt Alain Lushule, Sprecher der Opferanwälte. "Für die Opfer ist es eine große Erleichterung, weil wir einen Ausgleich erwarten für all die Taten, die Sheka begangen hat."


Sheka ist nicht der erste Rebellenführer, dem in der Demokratischen Republik Kongo der Prozess gemacht wird. Selten wurden einer Miliz jedoch so viele Verbrechen zur Last gelegt wie der von ihm befehligten Nduma Defense of Congo (NDC). Das UN-Menschenrechtsbüro hat mehr als 387 Fälle von Vergewaltigung aus dem Jahr 2010 dokumentiert, als die NDC 13 Dörfer in der Region Walikale attackierte. Unter den Angreifern waren auch Rebellen der so genannten Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR). Mitangeklagt ist neben Shekas Vertrautem Ndoole Batechi und seinem ehemaligen Mitstreiter Jean-Claude Lukambo deshalb auch Nzitonda Séraphin von der FDLR.


Vor Gericht hebt sich der Ex-Rebellenchef Sheka durch feinere Kleidung von seinen M

Bereits im Juli 2017 hatte sich Sheka in Goma der UN gestellt, die ihn mit einem internationalen Haftbefehl suchte. Nach fast eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft präsentierte er sich den Richtern bei Prozessauftakt am 26. November in schickem Anzug und wohlgenährt. Einen Anwalt könne er sich nicht leisten, beteuerte er. Daher wurde die Verhandlung auf den 6. Dezember vertagt. Der zuständige Militärsprecher Guillaume Ndjike glaubt an die abschreckende Wirkung des Prozesses: "Das ist tatsächlich ein sehr, sehr starkes Signal an alle, die immer noch im Urwald sind und unserer Bevölkerung Schlimmes antun möchten. Sie wissen nun, dass Sie sich morgen oder übermorgen an Shekas Stelle wiederfinden werden."


Das Sicherheitsproblem im Osten der Demokratischen Republik Kongo wird der Prozess nicht lösen. Das Projekt Kivu Security Tracker zählte jüngst mehr als 120 bewaffnete Gruppen. Sheka sitzt zwar hinter Gittern. Doch die Bevölkerung leidet unter seinen einstigen Mitkämpfern, die sich als NDC-R unter dem Anführer Shimiray Mwissa Guidon neu organisiert haben.


Der 31-jährige Umweltschützer Aristote Mbula hat den mühsamen Weg von Walikale nach Goma auf sich genommen, um als Jugendvertreter der Zivilgesellschaft den Prozess zu verfolgen: "Das Tribunal allein wird nicht ausreichen, um die bewaffneten Gruppen einzudämmen oder gar auszulöschen", sagt er. Denn viele andere Bewaffnete könnten die Region weiter unsicher machen.


Die sporadischen Einsätze der kongolesischen Armee seien nicht genug, sagt Mbula, dessen Familie Opfer von Shekas Miliz wurde. Es bräuchte mehr als militärische Gewalt, beispielsweise Programme zur Demobilisierung und bessere Zukunftschancen für die Jugend. Unbedeutend sei der Prozess dennoch nicht, sagt er. "Es würde schon etwas im Urwald verändern, wenn die Justiz einmal wirklich gerecht wäre und Sheka schuldig erklärt wird für das, was ihm angelastet wird." Umgekehrt könnten ein mildes Urteil oder ein Freispruch die bewaffneten Gruppen allerdings sogar bestärken, meint Mbula.

Sorge um den Zeugenschutz


Die nach wie vor unsichere Lage vor Ort erschwere auch die Arbeit der Opferanwälte, sagt deren Sprecher Alain Lushule, denn die Zeugen fühlten sich nicht sicher: "Es gibt einige, die sagen, dass Sheka immer noch Einfluss in bestimmten Gebieten Walikales besitzt." Die Milizen und ihre Unterstützer könnten sich an den Zeugen rächen, so die Sorge. Auch für Menschenrechtsaktivisten, die helfen, die Verbrechen aufzuklären, sind in Gefahr. Nach Drohungen mussten allein innerhalb des vergangenen Jahres vier von ihnen die Region verlassen, berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.


Jugendvertreter Mbula ärgert sich, dass der Prozess in Goma stattfindet. Die Fahrt durch die unsichere Gegend von Walikale bis in die Provinzhauptstadt dauert zwei Tage. Den Prozess, der ein ganzes Jahr dauern könnte, können die Opfer daher nur schwer verfolgen. Das schaffe nicht gerade Vertrauen in die Justiz, sagt Mbula: "Walikale wäre der bessere Ort gewesen."


In der Nachbarprovinz Süd-Kivu wurden mobile Gerichte eingesetzt, die direkt zu den Tatorten reisten und den Angeklagten innerhalb weniger Wochen den Prozess machten. Die mangelnde Sicherheit ließe das im Fall von Sheka leider nicht zu, sagen jedoch auch die Opferanwälte. Und an diesem Problem wird wahrscheinlich auch dieser Prozess so schnell nichts ändern.

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