Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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Artikel

Die Geschichte hinter dem Hotel Ruanda: Kein Platz für Helden

Hutu gegen Tutsi: Zwanzig Jahre nach dem Völkermord wird der Plot noch einmal neu aufgerollt. Für die einen ist Hotelmanager Paul Rusesabagina ein Held, für die anderen ein skrupelloser Geschäftsmann.

Der Kameramann schwenkt auf die Eingangstür des Hotels - auf der Suche nach einem Motiv, das es nicht gibt. Er filmt, wie ein weißes Taxi vor dem Hotel vorfährt, drei asiatische Gäste aussteigen und durch die Schiebetür im Inneren des "Hotel des Mille Collines" verschwinden, wo der dicke Teppichboden ihre Schritte verschluckt. Das deutsche Fernsehteam muss sich mit gewöhnlichen Hotelszenen begnügen, an diesem Ort in Ruanda, der eine so ungewöhnliche Geschichte erzählt.

Vor genau 20 Jahren flüchteten sich 1.268 Menschen in dieses Luxushotel, besser bekannt als Hotel Ruanda, Namensgeber für einen Film, der die Heldengeschichte des Hotelmanagers Paul Rusesabagina erzählt. Millionen Zuschauer bewegte es, wie der Mann während des Völkermordes in Ruanda den Menschen im Mille Collines das Leben rettete. Rund 800.000 Tutsi und moderate Hutu wurden damals innerhalb von etwa 100 Tagen umgebracht.

Heute hängt in der Lobby des Hotels nicht einmal ein Bild des Hotelmanagers, es gibt in der Stadt keine Statue, sein Namen ist nirgends in Stein gemeißelt.

Ein Held und seine Feinde

Paul Rusesbagina ist mittlerweile 59 Jahre alt und lebt im Exil. Seine Kritiker werfen ihm vor, sich während des Völkermordes bereichert zu haben. Rusesabagina vermutet hinter den Vorwürfen eine Schmutzkampagne. Und es stimmt, dass er mächtige Feinde hat. Insbesondere Paul Kagame, der Präsident Ruandas, den Rusesabagina öffentlich für seinen autoritären Führungsstil kritisiert.

Schon in den Wochen des Völkermordes hatte Rusesabagina Feinde - doch damals suchte er noch ihre Nähe. An der Poolbar des Mille Collines saß er mit den mächtigen Männern des Landes. Während draußen die Leichen auf der Straße lagen, scherzte er mit den Generälen, servierte teuren Scotch und verschenkte Wein. "In einigen Fällen sah ich die Blutflecken auf ihren Uniformen und ihrer Arbeitskleidung", schreibt Rusesabagina in seiner Autobiographie. Solange die Drinks flossen, waren die Menschen in seinem Hotel sicher - diese Nachricht transportiert auch der Film.

Nachdem Hotel Ruanda 2004 in die Kinos kam, wurde Rusesabagina zum Helden erklärt, zum "Oskar Schindler von Afrika". Amnesty International empfahl den Film für alle Schulen. Derweil ist die Geschichte vom Mille Collines in Ruanda noch nicht zu Ende geschrieben.

Ein Überlebender erhebt Vorwürfe

Erst vor wenigen Tagen erschien das Buch eines Überlebenden mit dem Titel: "Inside The Hotel Rwanda". Darin erhebt Edouard Kayihura den Vorwurf, dass Rusesabagina die Flüchtlinge habe hungern lassen: "Wenn sie es sich nicht leisten konnten, haben sie nicht einmal gekochten Mais und Bohnen bekommen." Obwohl das Hotel die Lebensmittel vom Roten Kreuz umsonst bekam. Ferner vermutet der Autor, dass der Hotelmanager die Telefonleitungen gekappt habe, um die Kommunikation der Flüchtlinge zur Außenwelt zu kontrollieren. Der Hotelchef sei einen Profiteur des Völkermordes gewesen, ein Angehöriger des radikalen Flügel der Hutu-Partei.

Paul Rusesgabina hat ohne Zweifel Profit aus seiner Geschichte geschlagen. Er verdient am Verkauf seines Buchs. Auch die Hollywoodverfilmung brachte ihm nicht nur Ruhm in Europa und den USA, sondern auch regelmäßige Auftritte auf Konferenzen.

In seinem geräumigen Arbeitszimmer sitzt er in einem Ledersessel an einem massiven Holztisch. Auszeichnungen, die ihm sein Engagement eingebracht haben, zieren die Wände und Regale. Darunter die "Presidential Medal of Freedom" der Vereinigten Staaten. Bezahlt habe er dafür mit seiner Freiheit, erklärt er. Er hat zwei Wohnungen: jene in San Antonio in Texas und eine andere in Brüssel.

Aber nach Ruanda traut er sich nicht mehr.

"Das ist eine Kampagne gegen mich"

So ergeht es sonst vor allem den damaligen Mördern, die ihren Prozess fürchten. Oder den Kritikern, die vor dem Regime Kagames geflohen sind. Und oft verwischen diese Grenzen.

"Das ist eine Kampagne gegen mich", sagt Paul Rusesabagina. So viel älter sieht er gar nicht aus als Don Cheadle, der die Rolle des damals 39-jährigen Retters in dem Film gespielt hat. Rusesabagina ist stämmiger, sein Gesicht runder und er hat sich einen Oberlippenbart stehen lassen. Seine Position verteidigt er energisch. Nicht nur dann, wenn er die heutigen Menschenrechtsverletzungen in Ruanda anprangert, sondern auch, wenn er seine Version der Geschichte im Milles Collines aufrecht erhalten will.

Kritische Fragen gehen ihm auch 20 Jahre später noch nahe. "Wie soll man sich das vorstellen?", entgegnet er den Vorwürfen, die Tutsi in seinem Hotel um ihr Geld gebracht zu haben. "Die sind doch nicht mit Taschen voller Bargeld durch die Straßen Kigalis geirrt." Dass kleinere Summen geflossen seien, streitet er allerdings nicht ab. Aber wie hätte er sich daran im großen Stil bereichert haben sollen? Nur ein einziges Mal sei das Rote Kreuz mit Essen vorbeigekommen. Die Telefonleitung wurde zwar gekappt - allerdings soll das die mörderische Regierung veranlasst haben, nachdem ein Journalist aus seinem Hotelzimmer über die Gräueltaten berichtet hatte.

"Die Regierung manipuliert alles"

Der damalige Hotelmanager ist Hutu und umgab sich mit Parteimitgliedern. "Sei deinen Freunden nah, doch deinen Feinden noch näher", so rechtfertigt er sich. Ohne das Netzwerk hätte das Hotel nie so lange als rettende Bastion herhalten können. Aber Teil des radikalen Flügels, der die Ausrottung der Tutsi vorantrieb, sei er nie gewesen. "Warum hätte ich dann so viele Menschen vor dem Tod bewahren sollen?", antwortet er mit gekränktem Tonfall.

Nicht zum ersten Mal beschuldigen ihn seine Kritiker. In einem Buch sollte die angeblich wahre Geschichte aus dem Hotel aufgedeckt werden - geschrieben vom Pressesprecher des Präsidenten Kagame. "Dahinter steht für mich die Regierung, die im Hintergrund alles manipuliert", sagt Rusesabagina. "Seidem ich mich offen äußere, bin ich ein Feind der Regierung."

Schon wenige Monate nach dem Völkermord erhob Rusesabagina seine Stimme. Damals hatte Kagames Rebellenarmee dem Genozid in Ruanda ein Ende bereitet. Doch Hunderttausende Hutu flohen in den Osten des benachbarten Kongos, darunter viele der Mörder. Seitdem schwelt dort ein bewaffneter Konflikt um Macht und Ressourcen.

Rusesabagina sieht sich in Gefahr

Rusesabagina selbst zog zwei Jahre später nach Brüssel, wo er immer wieder öffentlich die Gräueltaten des Kriegs anprangerte. Einem Krieg, dem allein zwischen 1998 und 2008 mehr als fünf Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. In die kriegerischen Auseinandersatzungen sind auch Rebellengruppen verstrickt, die Kinder rekrutieren und Vergewaltigungen von Frauen als Waffe einsetzen.

Eine davon, die berüchtigte M23, wurde von Ruanda unterstützt. Das haben die Vereinten Nationen vor zwei Jahren ausführlich belegt. Auch Human Rights Watch geht mit Kagames Regime hart ins Gericht: Eine ehemalige Oppositionsführerin kam für 15 Jahre hinter Gitter und ein Anti-Korruptionsbeauftragter wurde unter ungeklärten Umständen erschossen. Anfang des Jahres wurde der ehemalige Geheimdienstchef stranguliert in einem Hotelzimmer in Johannesburg aufgefunden. Er hatte sich mit Kagame überworfen.

Auch der ehemalige Hotelmanager sieht sich in Gefahr. Susan Thompson, Ruanda-Beauftragte von Amnesty International, bestätigt seine heikle Rolle als Dissident: "Rusesabagina wird als Staatsfeind betrachtet, weil sein Buch und der Film direkt die moralische Autorität der Regierungspartei herausfordert." Für sie gebe es nur eine Version der Versöhnung. Kagame spricht nur noch von den beiden Ethnien, wenn er klar machen will, wer Opfer und Täter sind. Die Versöhnung ist zu einem Mantra geworden, das das Land zusammenhalten soll - und dies bislang auch geschafft hat. Doch wer die Konflikte thematisiert, die nach wie vor herrschen, den stellt Kagame schnell in die Ecke der einstigen Mörder.

Hollywood hat einen Helden geschaffen

"Lange hatte Kagame nicht realisiert, dass der Film Hotel Ruanda einen Helden geschaffen hat", sagt Rusesabagina. Kagame sehe ihn als Konkurrenten: "Er lässt nicht zu, dass jemand neben ihm auf die Bühne treten kann." Und so ist Rusesabagina für ihn nicht nur ein unbequemer, sondern auch ein gefährlicher Held - für seine unangefochtene Macht und den fragilen Versöhnungsprozess in seinem Land.

Zum Jahrestag schaut die Welt wieder auf Ruanda. An der Poolbar des Luxushotels sitzt ein weiterer Journalist, der einen Bericht zum Gedenken einspricht. Auf dem Flur hetzt der junge Marketing-Manager Sacha Haguma von einem Interview zum nächsten. "Ich kann das Interesse verstehen", sagt er mit einem Lächeln. Doch als Werbemittel will man die Geschichte von Rusesabagina nicht verstanden wissen. "Das ganze Team war verantwortlich für die Rettung", sagt Haguma diplomatisch, Hollywood produziere halt Helden.

Er vermeidet es, den Namen des ehemaligen Hotelmanagers auszusprechen, Haguma nennt ihn nur "diesen Gentleman". Hier in Kigali - zwischen Cocktails und Biergläsern - will sich keiner an diesem politischen Stück die Finger verbrennen.

"Dieser Beitrag ist im Rahmen des Rechercheprojekts "Beyond Your World" der DW Akademie entstanden" Zum Original