Von draußen fällt grelles Licht in den abgedunkelten Laden. Ein schwarzer Oberklasse-Van rast auf den Hof. Die Lichtkegel der Scheinwerfer wippen, als der Wagen über die Bodenwelle vor den Tanksäulen fährt und dann stark bremst. Durch die Scheibe des Tankstellen-Shops ist nur schwer zu erkennen, was da gerade vor sich geht. Die Beleuchtung der Getränkekühlschränke spiegelt sich im Glas.
Dennis Ober wirft nur einen flüchtigen Blick nach draußen. „Das ist ein Taxifahrer", sagt er seelenruhig. „Die kommen öfter." Der 26-Jährige hält an der Tankstelle in Blankenfelde-Mahlow in dieser Nacht die Stellung. Er ist schmal gebaut, hat kurze braune Haare. Die Vorgänge an der Tankstelle lassen ihn unbeeindruckt. Der gelernte Fachmann für Lagerlogistik hat vor drei Jahren begonnen, an der Tankstelle seines Vaters zu arbeiten.
Gelegentlich übernimmt er auch die wenig beliebten Nachtschichten. Er arbeitet jetzt eine ganze Woche lang in der Nacht. Das ist ihm lieber so, er kann sich dann an den Rhythmus gewöhnen. Die Nachtschicht hat auch ihre Vorteile: Kein Kassieren im Akkord, sondern abwechslungsreiche Aufgaben. Langeweile kommt in den acht Stunden zwischen 22.30 und 6.30 Uhr nicht auf - obwohl Kundschaft selten ist.
So zügig wie er vorgefahren war, marschiert der Mann aus dem schwarzen Van nun zum Nachtschalter. Er kauft ein stilles Wasser und einen Schokoriegel mit Haselnüssen. Dennis Ober hat ihn inzwischen erkannt. Ein Stammkunde. Es dauert keine Minute, da ist er auch schon wieder weg.
Wenig später klopft es an der Scheibe. Ein junger Mann steht da. Das kann einen ziemlich erschrecken, weiß Dennis Ober aus eigener Erfahrung. Das ist der Grund, weshalb er das Mikrofon am Nachtschalter ständig eingeschaltet hat. Dann hört er die Kunden eigentlich, bevor sie klopfen. Diesmal leider nicht. Der Mann im Blaumann ist mit seinem Transporter gekommen. Er fragt nach einem Energydrink und ob es noch was zu essen gäbe. Dennis Ober schaut in die Vitrine. Es sind noch Donuts und zwei Baguettes da, eins mit Käse und eins mit Schinken. „Ich kann dir ein Schinken-Baguette anbieten", sagt er. Der Kunde stimmt zu. Den Männern brauche er mit einem Käsebaguette oder den Donuts gar nicht zu kommen, sagt Ober hinterher.
Wenn es still wird auf dem Hof, dann bewaffnet sich Dennis Ober mit Glasreiniger und Papiertüchern. Erst wird die Theke gereinigt, dann die Kühlschränke und die Vitrine für die belegten Brötchen. Er sprüht großzügig Reiniger auf und wischt mit den Tüchern hinterher, bis alles glänzt. Im Hintergrund brummt die Gefriertruhe, darin ist genügend Eis, um eine Großfamilie durch den Sommer zu bringen. Zum Schluss wird der Boden gewischt. Bei der Kundenfrequenz sei das jede Nacht nötig, sagt Ober. Zwar ist das Putzen nicht seine Lieblingsbeschäftigung, aber das sei allemal besser, als einfach hinter der Kasse zu warten, dass irgendetwas passiere, sagt er.
Und dort nachts alleine zu sein - darüber macht sich höchstens Obers Mutter Gedanken. Er selbst fühlt sich sicher. „Ungewöhnliches Verhalten hat man hier öfter, das stört mich nicht mehr", sagt er. Dennoch: 2015 wurden bundesweit 630 Tankstellen überfallen, auch wenn die Zahl seit Jahren rückläufig ist.
Dennis Ober und seine Kollegen sind davon verschont geblieben. Nicht umsonst wird dort das Geld mehrmals täglich zur Bank gebracht, in kleinen Portionen. Weder ein Überfall der Tankstelle noch des Geldtransports wäre für Räuber sonderlich lukrativ. Umliegende Tankstellen und Lebensmitteldiscounter sind in der Vergangenheit bereits Ziel gewesen. Von 22 bis 6 Uhr ist die Tankstelle für Kunden daher nicht zugänglich. Bezahlt wird dann am Nachtschalter. Die Kommunikation läuft per Mikrofon, die Ware kommt per Schiebekasten.
Die unterschiedlichste Klientel taucht auf, sowohl tags als auch nachts. Vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Porsche-Fahrer ist alles dabei. Und oft hätten die kleinen Leute das Herz eher am rechten Fleck.
Es ist 23.15 Uhr, als zwei Männer auftauchen. Sie bestellen zwei Kaffee. Beide sind kräftig gebaut, haben Warnwesten an, einer rot, einer gelb. In einen Kaffee rührt Dennis Ober Milch und Zucker ein, der andere bleibt schwarz, wie gewünscht. Getankt wird jetzt, um diese Zeit - außer Kaffee - wenig. Der Benzinpreis ist vor wenigen Minuten um elf Cent erhöht worden.
Es sind wenige Autofahrer unterwegs, die Erhöhung ist daher unauffällig. Im Verlauf des Tages falle der Preis wieder in kleinen Schritten, erläutert Burkhard Reuss, Pressesprecher von Total Deutschland. Der Konzern steuert die Preise zentral. In der Feierabendwelle zwischen 16 und 18 Uhr sei die Kundenfrequenz am höchsten, die Preise am niedrigsten - um die Kunden an die eigene Tankstelle zu ziehen. Es ist ein Kampf, den schon ein, zwei Cent entscheiden.
Während über die Lautsprecher am Nachtschalter hin und wieder ein lautes Lachen von den beiden Kaffeetrinkern bis in den Laden dringt, backt Dennis Ober Brötchen. Bis der Tag anbricht, sollen rund 20 belegte Brötchen in der Vitrine liegen. Etwa zwei Stunden plant der 26-Jährige dafür ein: Für das Backen, Aufschneiden, Belegen und Drapieren. Schließlich soll alles ansprechend aussehen.
Es hängt erheblich vom Backshop-Umsatz ab, wie viel Geld Tankstellen-Pächter heutzutage verdienen. Dass die großen Mineralölkonzerne meist nur einen Cent Provision pro Liter Kraftstoff oder weniger an die Pächter zahlen, ist kein Geheimnis. Für eine Tankfüllung von 50 Litern geben Aral, Shell und Co. durchschnittlich 50 Cent Provision weiter.
Das Kerngeschäft für die Pächter liegt daher schon lange nicht mehr im Spritverkauf, sondern im Absatz von Schokoriegeln, Getränken und Backwaren. Nur für Tankstellen, die besonders gut „litern" - so bezeichnet man in der Branche guten Absatz -, etwa solchen im Billigsegment, kann der Benzinverkauf alleine rentabel sein. Im Durchschnitt resultierten jedoch lediglich rund 15 Prozent des Bruttoverdienstes einer Tankstelle aus dem Verkauf von Kraftstoffen, sagt Jürgen Ziegner, Geschäftsführer des Zentralverbands des Tankstellengewerbes.
Die beiden Männer in Signalfarben melden sich wieder. Sie stehen immer noch an dem kleinen Tisch neben dem Nachtschalter, seit einer guten Stunde. Ihr Kaffee ist leer getrunken, es werden zwei neue gewünscht. „3,58 Euro macht das." Wieder rührt Dennis Ober in einen von zwei Bechern Milch und Zucker ein, der andere bleibt schwarz. Was für ein Service: Die Kundschaft ist glücklich. Und es wird noch eine weitere Stunde dauern, bis draußen - wo es sieben Grad kalt ist - alles gesagt und die zweite Runde Kaffee getrunken ist.
Nur wenige Minuten nachdem sie abgezogen sind, kommt einer von beiden wieder. Jetzt ist er allein, tankt ein paar Liter Benzin, fragt nach einer Cola ohne Zucker und: „Ich brauch ein bisschen Öl. Habt ihr 10W-40?" Selbstverständlich. Motoröl hat Ober griffbereit im Regal. Genau wie einen Plüschteddy, ein paar Dosen Hundefutter, Riesling aus der Pfalz und gekühlte Butter für den Sonntag. Nicht jeder Kunde ist bereits mit einem Wasser und einem Schokoriegel zufrieden, wie es der flotte Taxifahrer war.
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