Johanna Treblin

Reporterin | Journalistin, Berlin

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Eine wunderbare Katastrophe

Ganz ehrlich? Es war die reine Katastrophe", sagt der eine. "Wunderbar!" sagt der andere. Die Frage, auf die beide Paketzusteller antworten, ist die gleiche: "Wie ist das Weihnachtsgeschäft gelaufen?" Beide haben die gleiche Erfahrung gemacht, interpretieren sie nur unterschiedlich: Im Dezember wurden laut DHL täglich rund 20 Prozent mehr Pakete ausgeliefert als in den Jahren zuvor. Einzelne Paketzusteller berichten von weit größeren Zuwächsen. Ahmed A. zum Beispiel - er will anonym bleiben - trägt an normalen Tagen 120 bis 130 Pakete aus. In den Wochen vor Weihnachten waren es 170 bis 200, erzählt er. Zwei Überstunden hat er pro Tag gemacht, genauso wie sein Kollege Firad F., auch er will seinen richtigen Namen nicht nennen. Beide sind angestellt bei Subunternehmen von DHL, beide können ihre Überstunden ausgleichen. A. ist zufrieden, wie es gelaufen ist. F. ist froh, dass es jetzt wieder entspannter wird.

Die Vorweihnachtszeit ist immer die beste Zeit für den Onlinehandel. Die Corona-Pandemie und vor allem der Teil-Lockdown kurz vor Weihnachten haben den Versandhändlern und Lieferdiensten zusätzliche Aufträge beschert. "Seit März", sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Detlef Conrad, zuständig für die Bereiche Speditionen und Logistik, "war praktisch durchgängig Starkverkehr."

Am 11. März nennt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Coronakrise eine Pandemie. Elf Tage später einigen sich Bund und Länder in Deutschland auf strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Die meisten Geschäfte müssen schließen, ausgenommen ist etwa der Lebensmittelhandel. Die Bestellungen im Internet ziehen an. DHL stellt rund 4000 neue befristete Beschäftigte in der Zustellung und Sortierung ein. Für den Weihnachtshandel werden noch einmal deutschlandweit 10 000 Menschen eingestellt, das war allerdings 2019 auch so.

Insgesamt arbeiten bei DHL rund 160 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Zustellung und Sortierung. Zum Jahresende gab es also 20 Prozent mehr Pakete, aber nur 2,5 Prozent mehr Personal. Ohne Überstunden ist das kaum zu machen. Dass diese durch Freizeit ausgeglichen werden können und auch Mitarbeitende von Subunternehmen öfter sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist ein Verdienst der SPD. Im November 2019 wurde per Gesetz die Nachunternehmerhaftung eingeführt. Firmen, die andere Firmen für sich arbeiten lassen, sind künftig verpflichtet, Sozialabgaben für säumige Subunternehmer selbst zu zahlen. Das sollte dazu führen, dass DHL, Hermes und Co. lieber wieder selbst einstellen. Hat das geklappt?

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