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Radikale Muslime auf Instagram: Wenn der Schein trügt

Sie präsentieren sich als Aktivisten und Aufklärer. Dabei steckt hinter zwei reichweitenstarken Instagram-Accounts eine islamistische Gruppe. Der Verfassungsschutz beobachtet sie.


Radikale Muslime auf Instagram: Wenn der Schein trügt

von Johanna Sagmeister

Datum: 22.11.2020 16:51 Uhr

 

Sie sind "gegen Islamfeindlichkeit" und "für die Bewahrung der islamischen Identität" - so beschreiben sich "Realität Islam" und "Generation Islam" auf Instagram. Die Profile erscheinen im Nachrichten-Look, mit Schlagzeilen oder Zitaten auf Fotos und Videos. Thematisiert werden aktuelle Debatten: Ein Kopftuchverbot an Schulen, das richtige Fasten, Geschlechterrollen.


Doch dieser objektive Schein trügt. Beim genauen Hinsehen zeigt sich, dass die Gruppen ein klares Freund-Feind-Schema zeichnen. Muslime werden als Opfer einer staatlich gesteuerten Islamfeindlichkeit dargestellt.


Muslime in der Opferrolle


Der Verfassungsschutz beobachtet die Accounts, ordnet sie der islamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir (HuT) zu und attestiert ihnen "eine ablehnende Haltung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung".


Mit ihrer Propaganda versuchen die Betreiber der Seiten systematisch, das Vertrauen junger Muslime in die Gesellschaft sowie das politische und rechtliche System der Bundesrepublik zu zerstören.


Da sie Themen ansprechen, die "weit über islamistische Kreise hinaus anschlussfähig" sind, konnten sie teilweise eine breite Massenwirkung erzeugen und ihren Bekanntheitsgrad steigern, so die Behörde gegenüber ZDFheute.


Dieses Subtile und Unterschwellige sei Teil der Strategie, sagt der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch, der Jugend- und Bildungsarbeit in diesem Bereich macht. "Das macht es den Jugendlichen schwer, die Accounts als problematisch zu erkennen." Ähnliche Social-Media-Strategien verfolgen auch rechtsextremistische Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung.

Meine These ist, dass Jugendliche in Deutschland nicht aufwachsen, ohne auf radikale Angebote wie diese zu stoßen.


Einfluss durch Reichweite


Wie groß das Mobilisierungspotenzial dieser Accounts ist, hat Saba-Nur Cheema zuletzt zu spüren bekommen. "Realität Islam" zitiert die pädagogische Leiterin der Begegnungsstätte Anne Frank mit einer kritischen Aussage über satirische Darstellungen des Propheten Mohammeds. Nur wird ihre Aussage aus dem Kontext gerissen, im Beschreibungstext wird sie als "ein weiteres Instrument in der Assimilationsagenda" diffamiert.


Tagelang erhält Saba-Nur Cheema Morddrohungen und Hassbotschaften, spürt die Wucht der Reichweite dieser Accounts. Um die 62.500 beziehungsweise 14.500 Abonnenten zählen "Generation Islam" und "Realität Islam" auf Instagram. Auch auf Facebook und Youtube gibt es Kanäle.


"Diese Mordfantasien machen mir Angst", sagt sie im Gespräch mit ZDFheute.

Wie schnell solche Hetze in Gewalt endet, haben wir ja erst in Frankreich gesehen.


Auch wenn "Realität Islam" selbst nicht zu Gewalt gegen sie aufruft, ist sie sicher: "Sie wollen mich für ihre Botschaft instrumentalisieren."


Radikale Accounts: Vielfältiger Islam unerwünscht


Anders als "Generation Islam" setzt sich Cheema für einen vielfältigen Islam ein. Sie steht für Kontroverse und Debatte, berät die Bundesregierung zu antimuslimischem Rassismus. "Für die Profil-Betreiber gibt es dagegen nur 'den einen' Islam", sagt sie. Auch der Verfassungsschutz stellt fest: "Es gibt keine Dialog- und Kompromissbereitschaft."


Es sind nicht allein die niedrigschwelligen Themen, die die Accounts für junge Muslime attraktiv machen. "In den Sozialen Medien fehlt es auch an Alternativen", sagt der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch. Angebote wie das funk-Format "Datteltäter", das mit Satire-Videos kulturelle Vorurteile aufs Korn nehmen will, gibt es in der deutschen Medienlandschaft noch zu selten, findet er.


Löschen der Accounts löst nicht das Problem


Gegenangebote wären Nordbruch zufolge ein guter Weg, um Propaganda wie dieser entgegenzutreten. "Das Löschen der Accounts löscht ja nicht das Gedankengut", sagt er. Und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz teilt auf ZDF-Anfrage mit, dass die Sperrung von Accounts nicht in seine Zuständigkeit falle.


"Hizb ut-Tahrir" (HuT)

Die HuT ist weltweit mit circa einer Million Mitgliedern und Anhängern präsent. Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet ihr in Deutschland derzeit rund 430 Mitglieder und Anhänger zu. Das Ziel ist laut Verfassungsschutz "die 'Befreiung' aller Muslime von der 'Unterdrückung' und ihre Vereinigung in einem weltweiten Kalifat". Seit 2003 ist die HuT in Deutschland verboten.


Ideologische Überschneidungen


Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilt ZDFheute mit, die beiden Accounts "transportieren ihre Vorstellungen vom Islam im Sinne der HuT-Ideologie als allumfassende politische, soziale und ökonomische Ordnung, welche die Anwendung von göttlichen Gesetzen als bindend vorsieht. 'Generation Islam' propagiert offen ein islamisches Staatssystem (Kalifat) als Lösung für die angeblichen Probleme der Muslime weltweit".


Die Behörde stellt aber auch fest: Die von den Kanal-Betreibern besetzten Themen spielen "im Rekrutierungsprozess der HuT eine wesentliche Rolle und bereiten einen Nährboden für die Radikalisierung junger Muslime." Sie werden die Social-Media-Aktivitäten weiter beobachten.


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