„Bewusst verletzend“ nannte Kanzlerin Merkel Jan Böhmermanns Schmähgedicht. Das ist in der Sache richtig und strategisch zunächst geschickt: Das Wort „bewusst“ schafft eine bequeme Distanz zu Böhmermann. Es bewegt den Sachverhalt weg vom sakrosankt Satirischen – hin zum individuell Justiziablen. Letzteres hat Merkel aber wohl nicht genug durchdacht. Indem sie Böhmermann öffentlich verurteilte, hat sie quasi abgesegnet, was die Türkei jetzt offiziell verlangt: Die Verfolgung eines Strafverfahrens gegen Böhmermann.
Die Bundesregierung ist nun in der unbequemen Position, eine politische Entscheidung zu einem juristischen Verfahren treffen zu müssen. Die Frage der Verfolgungsermächtigung führt in ein fieses Dilemma: Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie erscheint wie eine Anmaßung der Politik, über einen juristischen Sachverhalt zu urteilen. Das ist in Deutschland eigentlich lange vorbei. In der Türkei erlebt diese Haltung unter Erdoğan gerade ein unglückliches Revival.
Indem sie dessen Verständnis von Satire bedient und sich in der Folge der Ausübung eines völlig veralteten Gesetzes widmen muss, begibt sich die Bundesregierung auch hierzulande auf Erdoğans Niveau. Der wird ja gern mäßig elegant als „Kalif“ bezeichnet, um zu unterstreichen, dass er, nett gesagt, eine antiquierte Vorstellung von Moral und Demokratie hat. Dass ausgerechnet Deutschland einen Paragrafen hat, der seinem Verständnis von der Gottgleichheit eines Staatsoberhaupts derart entgegenkommt, dürfte Erdoğan freuen. Zumal die Bundesregierung mangels Praxis merklich Probleme hat, zu erklären, wie da denn überhaupt vorgegangen wird.
Für Merkel, die am Montag kratzfüßig eine zügige Prüfung des Anliegens ankündigen ließ, ist der Umgang mit der Causa Böhmermann der Gipfel der Peinlichkeit. Wäre die Meinungsfreiheit für die Kanzlerin tatsächlich „allerhöchstes Gut“, wie ihr Sprecher unermüdlich sagte, hätte sie sich besser gleich hinter Böhmermann gestellt – komme, was wolle.
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