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Ein Leben für die Pferde

Trotz seiner Querschnittslähmung ist Christian Zschache ständig auf der Bahn und arbeitet erfolgreich mit seinen Vollblütern.


Berlin. Ein dunkelblaues Auto steht vor dem Stalleingang, Rauch tritt hervor. Gepard wird beschlagen. "Sein Galopp hat mir bei dem letzten Rennen nicht gefallen. Jetzt gibt es neue Eisen", erklärt der Besitzer und Trainer Christian Zschache. Denn mit diesem Pferd hofft er sein Traumziel zu erreichen: das 148. Deutsche Derby in Hamburg. Und dafür soll er im Juni beim Derby Trail in Hannover laufen. Der kürzlich erreichte vierte Platz in Hoppegarten reicht noch nicht fürs Derby.

Christian Zschache ist kein Mann vieler Worte, keiner, der im Vordergrund stehen will. Für ihn geht es nur um die Pferde. Schnell greift er nach dem Eimer Huffett, fährt mit seinem Rollstuhl von Huf zu Huf, pinselt, bis die vier Füße vor Fett glänzen. "Maria meint, das wäre besser so." Maria Kattanek ist nicht nur die Tierärztin seiner fünf Pferde, sondern trainiert seit fünf Jahren auch die Vollblüter für die Galopprennen. Denn seit seinem Unfall kann Zschache das nicht mehr. Als Jockey saß der Hoppegartener in einem Vierteljahrhundert auf 610 Siegern. Bis zum 12. Juli 1999. Auf dem Heimweg von der Bollensdorfer Trainingsbahn zum Rennstall in der Goetheallee scheute plötzlich sein Pferd Elezius, warf ihn ab.

Sturz vom Pferd lähmt ihn

Eigentlich relativ harmlos, selbst schwere Stürze in Hindernisrennen hatte Zschache schon weggesteckt. Doch diesmal war es anders. "Ich lag da und konnte meine Beine nicht mehr bewegen", erzählt Zschache. Seine Stimme wird leiser. Später, auf dem Weg zur Trainingsbahn, hält er an der Stelle an, wo der Unfall passiert ist. "Hier lag ich. Zum Glück haben die aus dem Stall direkt Hilfe geholt."

Mit dem Hubschrauber wurde er ins Unfallkrankenhaus geflogen. Die Diagnose: Bruch des ersten Lendenwirbelkörpers, ab dem zwölften Brustwirbel eingeschränktes Berührungs- und Schmerzempfinden und keine Reflexe mehr. Querschnittsgelähmt. Seitdem sitzt Christian Zschache im Rollstuhl. Ob das nicht gefährlich sei mit den Pferden? "Ach quatsch, die Pferde passen auf mich auf." Und da ist noch nie was passiert? "Naja, der eine hat mir das Knie zertrümmert", sagt der 60-Jährige ganz beiläufig.

Fünf Tiere gehören dem gebürtigen Dresdner

Nach seinem Unfall war da erst mal ein "dunkles Loch", wie Zschache es nennt. Doch die Menschen um ihn herum wollten helfen. Es gab eine Spendenaktion, die ihm den Umbau des Hauses und eine adäquate Therapie ermöglichte, die Berufsgenossenschaft kümmerte sich - und er bekam ein Vollblut geschenkt. Außerdem wurde er mit der Aufgabe betraut, an den Renntagen das Gewicht der Jockeys zu kontrollieren.

Erst in Berlin, später auch in Dresden, Magdeburg und Hamburg. Einige Jahre nach dem Unfall verließ ihn seine Frau Ella und zog mit Tochter Beatrix in das Haus am äußersten Stadtrand von Berlin. Doch auch da waren wieder Menschen da, die ihm halfen und bei der täglichen Arbeit mit den Pferden unterstützten. Fünf Tiere sind es mittlerweile: Gereon, Gepard, Diokletian, Domberg und Doinyo. "Wir sind voll", sagt Zschache - die Unterbringung müssen sich die Pferde selbst verdienen.

Einer der Besten der DDR

Immer sind es die Pferde, die sein Leben bestimmen. Schon als Kind einer Arztfamilie zieht es ihn zur Rennbahn. Bereits mit 14 Jahren feiert er seine ersten Erfolge als Jockey - dank einer Sondererlaubnis, denn eigentlich ist er zu jung und zu groß. 1976 geht Zschache als 18-Jähriger nach Hoppegarten zur Ausbildung. "Die größte Herausforderung war es, das Gewicht niedrig genug zu halten", erzählt er. Als ihn der Besitzer des Galoppers Abasko nach einem erfolgreichen Rennen fragt, ob er das Derby reiten will, kann Zschache sein Glück kaum glauben und beginnt eine strenge Diät: "Beim Derby durften es nur 58kg sein", sagt der gebürtige Dresdner. Das Gewicht passt, 1986 gewinnt er das Derby der DDR mit Abasko, 1987 mit Lomber. Vier Jahre lang ist er außerdem Hindernis-Champion.

Er gehört zu den erfolgreichsten Jockeys in der DDR. "Einige meinen, ich sei ein etwas rauer Reiter. Das sehe ich anders. Ich will gewinnen und bin nicht zimperlich", beschreibt er damals seinen Reitstil in dem Buch "Jockeys auf deutschen Bahnen". Nach seinen Träumen gefragt, antwortet er: "Einen Wunsch? - Nie mehr Trabi! Wir sind eine glückliche Familie und können nicht klagen. Die Arbeit macht Spaß, wir sind gesund und haben unser Auskommen. Wovon sollte ich denn noch träumen?" Dass dieses Leben ein so abruptes Ende haben könnte, hätte er wohl nie gedacht. Doch wenn man Christian Zschache heute zuschaut, dann scheint er zufrieden zu sein. Wenngleich er seine Augen auch immer überall hat.

Penibel beim Üben

"Hast du genug nachgegurtet?", fragt er noch mal nach, als es mit den Pferden zur Trainingsbahn geht. Neben Maria reiten noch zwei weitere Reiter seine Pferde. "Aber nur mit Schutzweste und Helm", sagt Zschache. Die Sicherheit steht für den 60-Jährigen an erster Stelle. Kein Pferd wird allein trainiert, Zschache ist immer dabei. Von Rennbahn-Eigner Gerhard Schöningh hat er die Erlaubnis, mit dem Auto auf das Trainingsgelände zu fahren. Nach einer kurzen Strecke durch den Wald parkt er auf einer Wiese, die von der Trainingsbahn umringt wird. Mit dem Auto als Stütze stellt er sich hin und verfolgt seine Reiter mit dem Fernglas. Keinen Augenblick lässt er sie aus den Augen.

Heute werden Gereon, Domberg und Diokletian trainiert. Der mittlerweile neunjährige Gereon ist das bisher erfolgreichste Pferd von Zschache. Millionen wurden für den Sieger vom Darley Oettingen- und Herzog von Ratibor-Rennen geboten. Doch ein Verkauf kam nie infrage. "Gereon war mein Traum, den verkaufe ich nicht. Niemals", sagt er. Immer habe er ein Pferd im ganz großen Rennen gewollt. Das hat Gereon ihm ermöglicht. Zwar hat er das Derby nicht gewonnen, aber er war dabei. "Soll ich ihn da weggeben?", fragt er fast schon spöttisch.

Nach dem Training gibt's Menthol-Bonbons

Nach zwei Kilometern im Galopp kommt das Dreiergespann im entspannten Schritt auf den Trainer zugeritten. "Die wollen immer gelobt werden", sagt Zschache und muss unwillkürlich schmunzeln. Als er beginnt, in seiner Hosentasche zu kramen, spitzen die Pferde die Ohren. Nacheinander streicht er jedem Pferd über den Kopf, jedes bekommt ein Menthol-Bonbon von ihm zugesteckt. "Das ist hier Tradition", sagt Zschache und steigt zurück in sein Auto. Auf dem Hof warten noch zwei Pferde und fünf Boxen. "Die Pferde sind mein Leben. Bei ihnen geht's mir gut", sagt Christian Zschache und fährt los. Hinter seinen drei Pferden her.

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