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In 1000 Jahren verfällt das Olympiastadion

Der Videokünstler David Claerbout zeigt im Kindl-Zentrum den Verfall des Olympiastadions. Eine entschleunigende Ausstellung.


Auf einer imposanten Leinwand schweben wir am Olympiastadion vorbei. Immer im gleichen Rhythmus, alle vier Sekunden, hängt das Bild. Daneben werden Fotografien gezeigt, Detailaufnahmen des Stadions - auf einer gut neun Meter hohen Leinwand im Hochformat. Mal sind es die Staffelläufer des Bildhauers Karl Albiker, dann die Treppenstufen, die in das Stadion führen und schließlich sich im Winde wiegendes Gras. Das Stadion wirkt monumental, fast schon heroisch, nicht zuletzt durch die besondere Lokalität des denkmalgeschützten Kindl-Zentrums in Neukölln, in der die Installation stattfindet. Die imposante Deckenhöhe von 20 Metern lässt den Blick nach oben schweifen, man fühlt sich ganz klein, den Gebäuden untergeben.

Videoarbeiten von suggestiver Langsamkeit sind charakteristisch für David Claerbout. 1969 in Kortrijk, Belgien, geboren, studierte er Malerei am Nationaal Hoger Instituut voor Schone Kunsten in Antwerpen von 1992 bis 1995. Zunehmend wurde die Zeit zu seinem künstlerischen Thema, oftmals auch das Warten. Und es gelingt ihm: Auf körperliche Weise wird die verrinnende Zeit spürbar. 20 Sitzsäcke laden zum gemütlichen Niederlassen ein, Stille in dem abgedunkelten Raum. Noch näher ist man dem Boden, noch größer wirken die Bilder. Nach gut einer halben Stunde ist das Berliner Olympiastadion umrundet. Eine gefühlte Ewigkeit. Blauer Himmel, wehendes Laub, Stein auf Stein. Die Komposition verändert sich kaum.

Die Echtzeit-Projektion ist auf 1000 Jahre angelegt, was sich dem Zeitgefühl des Betrachters gänzlich entzieht, aktuelle Wetterdaten werden miteinbezogen. 1936 Austragungsort der Olympischen Spiele, hat Claerbout das Gebäude digital nachgebaut und lässt es in den nächsten 1000 Jahren allmählich verfallen - ein Bezug zu dem Architekten Albert Speer, mit dem Hitler mit gigantomanischen Bauten sein "Tausendjähriges Reich" in Stein verewigen wollte.

Um die Einflüsse des Wetters, des Lichts und des Verfalls erlebbar zu machen, wird die Ausstellung neun Monate lang im Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst in Neukölln zu sehen sein. Damit setzt es die Ausstellungsreihe fort, die mit Roman Signers Installation "Kitfox Experimental" begann. Einmal im Jahr lädt das Kindl einen Künstler ein, der im 20 Meter hohen Kesselhaus eine Arbeit realisiert. In Zukunft soll es dafür noch mehr Platz geben: Am 22. Oktober 2016 wird das gesamte ehemalige Brauereigebäude eröffnet. Damit stehen dann neben dem Kesselhaus auch das Sudhaus, das ehemalige Maschinenhaus und der "Palast Berliner Bierkultur" zur Verfügung.

Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3, Neukölln, Mi-So 12 bis 18 Uhr. Bis 28.5.

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