Berlin. Seit der Teilnahme am TV-Format "Sing meinen Song" ist Gentleman kein Szenekünstler für Reggae-Romantiker mehr, sondern im Mainstream angekommenes Allgemeingut. Das spiegelt auch das Publikum wider, das gut und gerne für einen Querschnitt der Gesellschaft stehen kann. "Diese Fernsehshow hat echt Türen geöffnet", sagt Gentleman auf der Bühne der Columbiahalle.
Die Band, bestehend aus 14 Musikern und drei Backgroundsängern, ist wie erwartet großartig. Mal sind es die Blechbläser, die mit ausgefeilten Soli überraschen, dann die Streicher, die sich pathetisch ihrem Solo hingeben, dann die Backgroundsänger, unter denen Gentlemans Frau Tamika ist.
Der erste Gast an diesem Sonntagabend ist Martin Jondo. Unter regenbogenfarbenen Lichtstrahlen performen Gentleman und er "Rainbow Warrior", battlen sich, wessen Seite lauter ist (eindeutig die Gentlemans), lassen Fotograf und Security-Mann sich gegenseitig übertrumpfen, um dann wieder vor Freude strotzend über die Bühne zu hüpfen. Wenn man dem gebürtigen Osnabrücker zuschaut, hat man den Eindruck, seine Welt wird regiert von Liebe, Freude, Gemeinschaft. Immer wieder umarmt Gentleman seine Gäste, seine Frau - auf eine außergewöhnlich liebevolle Art. Das kommt auch beim Publikum an, spätestens wenn er für einige Songs in den Fotografen-Graben tritt, Einzelnen die Hand reicht oder sich zu den Rollstuhlfahrern gesellt. Da verzeiht man ihm auch den einen oder anderen Texthänger. Daran sind wahrscheinlich auch die Joints, die vereinzelt auf der Bühne und im Publikum umhergereicht werden, nicht ganz unschuldig.
Gentleman, der mit bürgerlichem Namen Tilman Otto heißt, kann man mittlerweile als deutsches Reggae-Urgestein bezeichnen. Kein anderer Künstler macht schon so lange erfolgreich Musik mit einem Genre, das große Plattenfirmen meist vor Verträgen zurückschrecken lässt. Auch ist wohl kein anderer Europäer auf der Karibikinsel Jamaika, dem Geburtsland des wippenden Rhythmus', so respektiert. Und so wurde Gentleman als erstem Reggae-Künstler überhaupt die Ehre zuteil, ein MTV-Unplugged-Konzert zu spielen. Bis heute veröffentlichte er acht Studioalben, wurde dafür viermal mit Gold und einmal mit Platin ausgezeichnet.
Eine weitere Besonderheit an diesem Abend ist das Engagement des 42-Jährigen. In seinen Texten baut er Worte über "Viva con Agua" ein, eine Organisation, die Brunnen mit Trinkwasser in Afrika bauen, am Balkon und an den Ausgängen sind Banner für die Organisation "Gemeinsam für Afrika" montiert. Neben Jondo treten an diesem Abend noch Daddy Rings, Claye und Alborosie auf. Alborosie fasziniert neben seiner Musikalität mit seinen über die Bühne hüpfenden Dreadlocks, die bis zum Boden reichen.
Zur Zugabe kommen die beiden "Sing meinen Song"-Gastgeber Alec Völkel und Sascha Vollmer mit auf die Bühne und performen gemeinsam "Heart Of Rub-A-Dub". Als Gentleman zum Ende "Leave Us Alone" rappt, fällt ihm nach einer Strophe ein, dass er den Song lieber gemeinsam mit der Babysitterin seines Kindes singen würde und bittet darum, jemand solle auf sein Kind aufpassen, damit sie auf die Bühne kommen kann. Country-Rock-Cowboys und eine rappende Babysitterin bei einem Reggae-Konzert gab es zuvor wohl auch noch nicht so oft.
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