Wer auf der Motorradmesse Eicma auf der Suche nach großen Überraschungen war, wurde vor allem bei Yamaha fündig. In den vergangenen Jahren verbreitete der japanische Hersteller mit seinen Modellen Langeweile in Mailand, doch dieses Mal trumpfte er auf.
Zum Beispiel mit der MT-07, die im Frühjahr 2014 auf den Markt kommen soll. Einen Preis nannte Yamaha noch nicht. Das schicke Zweizylinder-Naked-Bike hat 75 PS bei nur 179 Kilogramm Gewicht - das klingt erfolgversprechend. Und neben dem Dreiradroller Tricity, verfügbar für unter 4000 Euro ebenfalls ab Frühjahr, sowie der MT-09 mit großem Dreizylinder, stand in Mailand auch ein Fahrzeug, das den Yamaha-Fans die Freudentränen in die Augen trieb: die SR400. Das Kult-Bike, mit dem Scharen deutscher Motorradfahrer erwachsen wurden, wird mit 400 Kubik wieder nach Europa importiert und weiterhin klassisch nur mit Kickstarter ausgeliefert.
Zwei andere große japanische Hersteller zündeten ebenfalls ein Modellfeuerwerk. Am Honda-Stand war ein Dutzend Modell-Updates: Am augenfälligsten sicher die neue Custom Tourer-Linie mit der kleinen CTX700 und dem Reiseflaggschiff CTX1300 mit 84 PS. Aufgewertet und mit 50 Kubik mehr Hubraum versehen wurden auch die in den beiden vergangenen Jahren so erfolgreichen NC-Modelle. Die NC750S und NC750X haben nun jeweils 55 PS.
Kawasaki-Design zitiert Kämpfer aus japanischen Comics
Kawasaki erhofft sich wichtige Marktanteile vom ersten Hausroller J300 und vor allem von der neuen X1000 (12.195 Euro). Diese kommt im Design von Comic-Kämpfern daher, die es so nur in japanischen Mangas gibt. Doch als das Fahrzeug mit der extrem kontrovers diskutierten Frontpartie vor zwei Jahren dem Reißbrett entsprang, hat man in Japan wohl nicht mit der massiven Modelloffensive von BMW gerechnet. Die Münchner enthüllten in Mailand pünktlich zum 90. Geburtstag der Motorradsparte eine kleine Armada neuer Modelle und sinnvoller Updates wie zum Beispiel den Roadster R NineT, der jetzt wassergekühlten R 1200 RT und der R 1200 GS Adventure.
Richtig geschockt allerdings haben die Münchner die japanische und italienische Konkurrenz mit der brandneuen S 1000 R. Der bayerische Modellaufschlag unter den hart umkämpften Naked Bikes hat auf dem Papier sehr positive Werte: 160 PS, jede Menge Drehmoment und vor allem ein Kampfpreis von 12.800 Euro auf japanischem Niveau.
Dass der Kampf um die kleiner werdenden Märkte vor allem über den Geldbeutel ausgetragen werden wird, illustriert auch MV Agusta: Vor wenigen Jahren rief die Edelschmiede noch Phantasiesummen auf. Die Preise der avisierten Tourismo Veloce und der Rivale 800 (12.865 Euro) liegen inzwischen in Reichweite der Konkurrenzmodelle etwa von Ducati.
Ducati enttäuscht mit wenig Fortschritt
Deren Entwickler in Bologna begreifen 2014 offensichtlich als Jahr der Konsolidierung: Auf der Eicma wurden zwar eine extrem leichtgewichtige 1199 Panigale Superleggera und eine neue Monster 1200 in zwei Versionen gezeigt, aber echter Fortschritt und zündende Ideen sehen definitiv anders aus. Ähnliches gilt für KTM, von wo es neben den verkleideten RC-Einzylinder-Flitzern immerhin die 1290er Super Duke R zu vermelden gibt. Die spielt mit Leistung, Design und der sportlichen Philosophie "Ready to race" immerhin in einer ganz eigenen Liga. Bei den Engländern von Triumph wurde auch fleißig Modellpflege betrieben, aber zwei für den amerikanischen Markt optimierte Thunderbirds reichen für Begeisterungsstürme nun wirklich nicht aus. Weder die Ducati Scrambler (von der es schon Erlkönigfotos gibt) noch die avisierte 250er Triumph waren in Mailand. Der kleine Triumph-Einzylinder für den globalen Weltmarkt soll jetzt 2015 zu sehen sein. Wenn das mal nicht zu spät ist.
Denn dass man sich auf altgediente Modellpaletten in Zukunft nicht mehr ausruhen kann, hat inzwischen auch Harley-Davidson verstanden. Über ein Jahrzehnt nach der letzten nennenswerten Innovation, dem zusammen mit Porsche entwickelten V-Rod-Motor, stellten die Amerikaner in Italien die neue Modellreihe Street vor. Für die leichteren Einsteigerfahrzeuge für ein jüngeres Zielpublikum hat man in Milwaukee einen neuen wassergekühlten V-Zweizylinder-Motor mit 60 Grad Zylinderwinkel und wahlweise 500 oder 750 Kubik entwickelt.
Die aggressive Konkurrenz kommt nämlich in Harleys Fall aus Minnesota, USA: Dort sitzt Polaris Industries, einer der weltweit erfolgreichsten Quad- und Schneemobilhersteller. Polaris hat vor zwei Jahren die amerikanische Traditionsmarke Indian gekauft und innerhalb kürzester Zeit die Modellpalette auf Vordermann gebracht. Auf der Eicma wurden die neuen Indian Chief und die Indian Chieftain gezeigt - und begeistert aufgenommen.
Viel Applaus haben sich in Mailand auch die wagemutigen Nischenhersteller verdient. Sie versuchen dem Marktgesetz zu trotzen, dass nur Masse Profit macht, oder sie sind so exklusiv, dass der Preis für das Produkt so egal ist, dass er nicht einmal kommuniziert werden muss.
Beispiel Brough Superior: Mark Upham hält die Namensrechte an der britischen Kultmarke aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Er stellte in Mailand die völlig neu gedachte SS100 vor: ein 88 Grad-V-Zweizylinder, entwickelt in Frankreich von einer Motorenschmiede, die ansonsten Aggregate für die Superbike-WM liefert. Eingebaut ist das Kraftpaket in ein modernstes Fahrzeug, das dem Klassiker optisch frappierend ähnelt. Die Bestellungen häufen sich - vor allem von den betuchten Sammlern, die schon ein Original wie ihren Augapfel hüten.
Einen anderen Weg geht Caterham, bekannt durch den konzerneigenen Formel-1-Rennstall und den Leichtsportwagen Caterham Seven. Die malaysischen Besitzer wollen zusammen mit britischen Technikern und italienischen Designern den Zweiradeinsatz im Stadtverkehr neu definieren. Geplant für 2014 sind ein massives Motorrad, das sowohl auf der Straße als auch im Gelände fahren kann ("Motorrad-SUV") und zwei schicke Elektrofahrzeuge. Handlicher und vor allem erschwinglich sollen die Stromer sein und damit auch die Antwort auf den bisherigen BMW-Beitrag zur "Urban Mobility" sein: Der gepriesene C evolution Scooter wiegt schlappe 265 Kilogramm und kostet, das wurde in Mailand verkündet, über 15.000 Euro.