Horst Saiger will gewinnen. Nicht gleich, sagt der Österreicher. Aber irgendwann: "Die Isle of Man, das ist nicht irgendein Straßenrennen. Das ist, als wenn du aus deiner Dorfkirche kommst und plötzlich im Kölner Dom singst." Dass während der Rennwochen der Tourist Trophy auf der autonomen Insel zwischen Großbritannien und Irland oft genug das Lied vom Tod gespielt wird, nimmt er dabei in Kauf.
Die Tourist Trophy (TT) ist eines der gefährlichsten Motorradrennen der Welt. Es gibt keine Schutzzonen, Kiesbetten oder Reifenstapel. Es gibt nur ganz normale, ruppige Straßen. Wer einen Fehler macht, landet in Gartenzäunen oder an Hauswänden oder fliegt Hunderte Meter felsiger Böschung hinunter. Seit im Jahr 1911 das Rennen zum ersten Mal auf dem jetzigen Kurs ausgetragen wurde, sind 240 Fahrer gestorben. Etliche Zuschauer ebenso.
Warum tut man sich das als Fahrer an? "Vor ein paar Jahren hab ich noch gesagt, bei der TT, das ist doch der pure Wahnsinn, da trittst du nie und nimmer an," erinnert sich Horst Saiger. Er ist 42 und fährt seit über 20 Jahren erfolgreich Rennmotorräder; vor drei Jahren wurde er in einem Schweizer Team Vize-Weltmeister in der Motorrad-Langstrecken-WM.
Spürst du die Kraft?
Er ist kein junger Hund, kein Hasardeur, er weiß sehr genau, worauf er sich einlässt. Er weiß um die Gräber und die Erinnerungsplaketten, die auf dem Friedhof von Douglas zu finden sind. Auch Saiger kennt die Zahlen: "Jeder kann sich an fünf Fingern abzählen, dass ihm bei der TT irgendwann ein schwerer Unfall oder eine schwere Verletzung blüht. Aber so denkt man nicht als Roadracer."
Straßenrennen, das ist inzwischen Saigers Leidenschaft. "Die Leute sind so nah bei dir, die spüren die Kraft, die Vibrationen, das Laute, die Hitze, deine Performance." 2004 und dann ab 2009 fährt er beim Straßenrennen in Macau. "Aber Macau ist ein Stadtkurs, quasi wie eine Rennstrecke ohne Auslauf. Aber eben auch künstlich wie eine Landebahn, nicht das pure Ding."
Das pure Ding, das sind für viele Fahrer nur die engen zweispurigen Landstraßen mit Kanaldeckeln und Randsteinen, gesäumt von Pfosten, Zäunen und massiven Steinmauern auf der Isle of Man. Es gibt tückische Sprunghügel, Brücken und rund 250 meist nicht einsehbare Kurven; in den Bergen ist es manchmal neblig. Dennoch steht die schnellste Rundenzeit bei 17,11 Minuten. Tempo 332 km/h war bislang die im Jahr 2006 per Datenrecorder gemessene Höchstgeschwindigkeit.
Kampf gegen die Gesetze der Natur
Bester Beleg für den Wahnsinn ist die Senke zwischen Bray Hill und Quarterbridge Road. An der Stelle ist an normalen Tagen Tempo 30 empfohlen. "Da habe ich 280 Stundenkilometer auf dem Tacho und werde in der Senke von der Fliehkraft so nach unten gedrückt, dass die Gabel kurz auf Block geht und die Ölwanne schleift," sagt Saiger. Selbst langjährige Motorradfahrer haben keine Ahnung, wie die TT-Piloten aus der Senke aufrecht herauskommen und ihre schlingernden PS-Monster auf Kurs halten.
Der rasende Wahnsinn, der Tanz auf einem Rad über Bodenwellen und Asphaltfurchen, geht 60 Kilometer weiter. Die Rundstrecke, die offiziell Snaefell Mountain Course heißt, führt von der Inselhauptstadt Douglas nach Nordwesten bis zum Örtchen St. John's, danach in nordöstlicher Richtung über Sulby nach Ramsey und schließlich durch die Berge nach Süden zurück nach Douglas.
Das Jahr 2005 war besonders tückisch, insgesamt neun Fahrer starben während der TT und dem Manx Grand Prix Ende September. Seitdem ist die medizinische Vorsorge noch einmal verbessert worden; die Notärzte fliegen jetzt innerhalb von Minuten per Helikopter an jedem Punkt der Strecke ein.
Beinahe-Überschlag an der Ballough Bridge
Dieses Jahr traf es dennoch bereits am ersten Trainingstag den Japaner Yoshinari Matsushita. Der Vater von drei Kindern war zum ersten Mal mit einer neuen Suzuki-Rennmaschine unterwegs; er kam kurz nach Kilometer 28 bei Ballacrye Corner bei voller Geschwindigkeit von der Strecke ab.
Vor wenigen Monaten haben Horst Saiger und seine langjährige Freundin Tamara geheiratet. Er sagt, dass dies seine Haltung zum Straßenrennsport nicht beeinflusst hat. Tamara und er wollen in ein paar Jahren Kinder haben und zusammen alt werden; sie als Lehrerin und Rektorin, er wie gehabt als Motorradmechaniker. Aber fahren will er noch mindestens drei, vier Jahre, sonst sei er nicht glücklich.
Doch das Glück hat seinen Preis: "Am Tag, nachdem Matsi-San tödlich verunglückt war, bin ich an der Ballough Bridge, nach gut zwei Fünftel der Strecke, gesprungen und so steil auf dem Vorderrad gelandet, dass ich geglaubt hab, jetzt überschlägt es mich nach vorne. Du hängst also in der Luft an der Ballough Bridge, und dieser Film vom verunglückten Matsu läuft in deinem Kopf ab. Da hatte ich plötzlich Schweißausbrüche und Tunnelblick beim Rausbeschleunigen auf Tempo 260. Soviel Angst habe ich zuvor noch nie in meinem Leben gehabt. Da wollt' ich direkt zur Fähre und heimfahren zu Tamara", sagt Saiger.
Manchmal macht Regen glücklich
Saiger hatte Glück. Kurz vor der Stelle, an der Yoshinari Matsushita gestorben war, fing es an zu regnen. Saiger konnte aus gutem Grund seine Maschine drosseln und zurück nach Douglas rollen. In der Nacht darauf hat er sehr schlecht geschlafen. Aber er ist nicht nach Hause gefahren.
Im nächsten Trainingslauf hat er sich mit seiner giftgrünen Kawasaki Ninja ZX10R für das TT-Rennen qualifiziert. Er hat eine Rundenzeit von 18,37 Minuten erreicht und damit den 18. Platz eingefahren; eine überragende Leistung für einen TT-Novizen. Er hat seine erste Isle-of-Man-Medaille gewonnen: die Bronze-Replika. An die Horrorrunde vor wenigen Tagen mag er jetzt nicht mehr denken: "Es ist halt so," sagt Saiger, "große Gefühle und große Schrecken liegen eng beieinander."
Dass die Angst in ihm aufkeimt, sieht Saiger allerdings nicht als Nachteil: "Die Angst hält dich am Leben, wenn du sie in Konzentration ummünzen kannst. Und wenn du bei einer Strecke wie der Isle Of Man keine Angst hättest, dann wärst doch wirklich irre, oder?"