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Das einfache Leben

Ich schreibe dies in der friedlichen Abgeschiedenheit meines Urlaubsortes im Schwarzwald. Nur in einer solchen Atmosphäre kann man sich Gedanken über die ewigen Fragen des menschlichen Daseins machen und sich wahrhaft loslösen von der mechanischen Raserei es Stadtlebens.

Heute morgen zum Beispiel wurde ich bei Tagesanbruch geweckt – der Mann aus der Gärtnerei kam, um ein wenig Laub zu saugen. Schon mal früh um Viertel sechs einen Laubsauger unter dem Fenster gehört? arbeiter-arbeitnehmer-burgersteig-162564Eine Stunde später - ich hatte mir die Ohren mit Watte zugestopft – wurde ich abermals wach, diesmal durch Hämmern im Hotelflur, wo zwei stämmige Schreiner mit so schrillen Elektrobohrern, dass sie einen an den Rand des Wahnsinns brachten, neue Fensterrahmen einsetzten.

Im Laufe des Vormittages verließen uns Gärtner und Schreiner – aber kurz darauf kam das Auto der Müllabfuhr, dann der Mann, der das Butangas auffüllt, darauf ein Elektriker vom Fernmeldeamt und schließlich drei Hunde, die mit dem Dalmatiner des Hotelbesitzers ein Heulquartett anstimmten.

bau-hammer-handwerker-8092Die Kinder waren natürlich schon aus dem Haus, ohne sich abzumelden. So musste ich mein Mittagsmahl nur durch neun Telefonanrufe unterbrechen, weil meinem Nachwuchs aufgefallen war, diese Meldungen nachträglich vorzunehmen. Schließlich sagte ich mir, es sei nun an der Zeit, endlich den heute morgen versäumten Schlaf nachzuholen. Ich begab mich also hinauf in das, was der Hotelbesitzer scherzend Studio zu nennen pflegt: Ein muffiges Zimmer im Dachboden, dass ich mir mit zwei Spinnen teile. Aber heute sollte es nicht sein.

Der Wasserhahn des Zimmerwaschbeckens hatte plötzlich sein dichtes Innenleben aufgegeben und tropfte unaufhörlich. Ausserdem ließen sich zwei Jalousien nicht hochziehen, der Korbballreifen meines Ältesten baumelte bedrohlich über die Balkonbrüstung und die Hotelzimmertür hatte auf einmal Schliessungsschwierigkeiten.
Der größte Teil des Nachtmittages verging also mit Verhandlungen beim Hotelportier, der mit mir zusammen beim Installateur, beim Jalousiengeschäft, beim Schlosser sowie mit einer Anzahl von Expeditionen zum Einkauf von Schrauben, Dichtungsringen, Bolzen und Jalousierollen anrief.

ausgestopftes-tier-baume-bewegung-191034.jpgDann rief der Hausmeister an, um mir zu sagen, dass ein Unwetter im Anzug sei und ich schleunigst kommen und das Dach meines Cabrios zu machen solle. Dabei fahre ich kein Cabrio. Zwischendurch musste ein Kind aus dem Reitstall abgeholt und das Zweite zu einer Kegelbahn gefahren werden, während das Dritte wer weiß wohin in den Wald spazieren war und das Nesthäkchen sich durchaus nicht zu einem Mittagsschlaf bequemen wollte.

Wie ich schon sagte: Nur in einer solchen ländlichen Atmosphäre kann man sich wirklich in Gedanken über die ewigen Fragen des menschlichen Daseins versenken und zu der tiefen philosophischen Erkenntnis gelangen, dass der berühmte Thoreau sich deshalb in seine Waldeinsamkeit so wohl fühlte, nicht weil er ein großer Denker, sondern weil er Junggeselle war.

Vielleicht bleibe ich beim nächsten Urlaub allein zu Haus.

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