Der junge Mann im schwarzen Pulli steht vorm Bahnhof Sternschanze und ruft in ein Megafönchen. Nee, keine Parolen! Vielmehr beschreibt er einem Rudel Ortsunkundiger das Schanzenviertel. "... Rote Flora ... Gefahrengebiet ..." Fältchenumkränzte Augen blicken sensationslüstern über randlose Brillen. "Orrr, Schanzentouristen", denke ich und versuche, mich mit Einkaufsjutebeuteln durch den Funktionsjackenwald zu kämpfen.
Seit 2012 nimmt ihr Aufkommen dramatsich zu. Wer Pech hat, wird beim Frühstück von Schulklassen beäugt, bis besorgte Lehrkörper sie weitertreiben. Könnte ja gefährlich sein, der Kontakt zu anarchischen Einheimischen.
Nachts verstopfen Vorort-Gockel mit blondzopfigen Begleiterinnen - von uns unter "Pinneberger" zusammengefasst - die Bars. Mit Steppjacken und Seidenschals sind sie hässlicher Hemmschuh einst unbeschwerter Feierei. Schlimmstenfalls bleiben sie zum Frühstück, lassen sich auf dem Galão-Strich teure Vollei-Omeletts andrehen, grinsen mit fettigen Lippen und grübeln, ob sie nicht eine der neuen Luxuswohnungen kaufen sollen.
Was finden die hier alle nur so schick? Die Matratzen vor der Roten Flora? Die schließenden kleinen Läden? Die bommelmützigen Modelhipsterfreelancer? Die Fernsehteams mit Puschelmikrofonen? Gentrifizierung live?
Nun, nirgendwo ist so viel Hamburg wie zwischen St. Pauli und Altona, die Schanze liegt in der Mitte. Darum bin ich vor sechs Jahren hergezogen - weil man überall zu Fuß hin kann, weil das Leben auf der Straße passiert, weil man unter Menschen wohnt, denen es egal ist, ob ihre Gardinen einen gleichmäßigen Faltenwurf aufweisen. Weil ich hier einfach sein kann. Aber wo es bunt und lebendig ist, da wollen eben viele hin.
Nerviger als die Trekkingschuhträger sind übrigens nur deren pulkweise einfallende Sprösslinge, die ihrem Verdruss über Politik und Pubertäts-Probleme Ausdruck verleihen, indem sie Scheiben zertrümmern und Kleinwagen abfackeln. Kinder, ehrlich: Lasst das! Dann dürft ihr mir auch gern beim Frühstück Erdnüsse zuwerfen.