Bielefeld. Dennis Turm (Name geändert) geht nicht ans Handy. Er mache im Ruhrgebiet eine Entzugstherapie, sagt seine Mutter. Der erste Schritt zurück ins Leben für Turm, der aus dem Kreis Paderborn kommt. Als Bundeswehrsoldat sah er schreckliche Szenen in Afghanistan, die traumatischen Erinnerungen bekämpfte er zu Hause mit Drogen. "Die Bundeswehr hat ihn im Stich gelassen", sagt seine Mutter.
Turms Absturz endete im vergangenen Herbst auf der Anklagebank im Paderborner Landgericht. Versuchter Raub. Auch der Staatsanwalt zeigte sich erschüttert, als der 26-Jährige sein Leben ausbreitete. 2008 war Turm mit der Bundeswehr in Afghanistan. Er erlebte im Einsatz, wie Kinder erschossen wurden. Wieder zu Hause, litt er unter Panikattacken, konnte nicht mehr schlafen. Die Kriegsbilder kamen unkontrolliert hoch. Turm ist sie nicht mehr losgeworden. Der Richter verurteilte ihn zu sieben Monaten auf Bewährung mit der Auflage eines Drogenentzugs. Das Opfer des Überfalls, ein Bielefelder, drückte Turm nach dem Prozess fest die Hand.
So wie Turm kehrten in den vergangenen Jahren viele Bundeswehrsoldaten traumatisiert von Einsätzen in Afghanistan oder dem Kosovo zurück. Häufige Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Die Versorgung der Betroffenen wird seit Jahren bemängelt. "Es gibt einen erheblichen Mangel an psychologisch ausgebildeten Medizinern in der Bundeswehr", sagte der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, auf Anfrage. Einen Fall wie Dennis Turm dürfe es nicht geben.Am Dienstag stellt Königshaus in Berlin seinen Jahresbericht vor. Der Versorgungsmangel dürfte wieder Schlagzeilen machen. Nach Recherchen dieser Zeitung betrifft das Problem auch OWL. In der Kaserne in Augustdorf, wo Dennis Turm damals stationiert war, soll es eigentlich eine Trauma-Ambulanz geben. Aber seit mittlerweile sechs Jahren ist der Posten des Facharztes für Psychiatrie nicht besetzt. Das sei "außerordentlich ärgerlich", sagt Rupert Sautter, Leiter des Fachsanitätszentrums. Man behilft sich mit externen Psychotherapeuten. Das klappe "in der Regel gut", sagt Sautter. Am Standort gebe es "zwei Dutzend Fälle" von traumatisierten Soldaten, "in allen Schweregraden".
17 Psychiaterstellen der Bundeswehr nicht besetzt Ob eine Therapie erfolgreich ist, hängt von vielen Faktoren ab: vom Willen des Betroffenen, aber auch davon, wie leicht er Hilfe findet bei einem Thema, das in der Männerwelt Militär nach wie vor mit Scham besetzt ist. Für Augustdorf hatte die lippische Bundestagsabgeordnete Gudrun Kopp (FDP) 2009 die Einrichtung einer Trauma-Ambulanz als Erfolg verkündet. Auf Nachfrage sagte sie, sie habe mehrfach beim Verteidigungsministerium nachgehakt. Aber derzeit seien 17 von 44 Psychiaterstellen der Bundeswehr nicht besetzt. Augustdorf ist kein Einzelfall. Das Ausmaß bestätigt eine Sprecherin des Ministeriums. Ursache sei ein Mangel an Kandidaten. Die Präsidentin der Psychotherapeutenkammer NRW, Monika Konitzer, kontert, es gebe "ausreichend approbierte Psychotherapeuten". Doch die Bundeswehr sucht studierte Mediziner. Von denen fänden viele die Stellen nicht attraktiv, sagt Karl-Heinz Biesold, ehemaliger Leiter der Psychiatrie im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg. Dort und in drei weiteren Militärkliniken wird die Akutversorgung bei PTBS geleistet. Dennis Turm wurde bis zum Ende seiner Dienstzeit 2010 mehrfach stationär im Bundeswehr-Krankenhaus in Koblenz behandelt. Als er entlassen wird, ist er nicht geheilt. Sein Antrag auf Wehrdienstbeschädigung wird abgelehnt. Turm müsste Widerspruch einlegen, aber da hat er schon die Kontrolle über sein Leben verloren."Für ehemalige Soldaten fühlt sich die Bundeswehr überhaupt nicht zuständig", kritisiert Andreas Timmermann-Levanas, Exsoldat und Sprecher des Bundes Deutscher Veteranen. Bei Versorgungsansprüchen stünden Exsoldaten vor "irrsinnigen bürokratischen Hürden". Unter den von der Bundeswehr beauftragten Gutachtern gebe es "Hardliner", so Mediziner Biesold, die ein Trauma für Spinnerei hielten.Weil das Verteidigungsministerium den Ärztemangel kurzfristig nicht beheben kann, soll verstärkt auf externe Psychologen gesetzt werden. Auch Therapeuten, die nicht von der Krankenkasse zugelassen sind, sollen traumatisierte Soldaten behandeln dürfen. Ein entsprechender Vertrag mit der Bundestherapeutenkammer werde im Frühjahr unterschrieben, bestätigt das Ministerium. Laut NRW-Kammer haben 62 Therapeuten in OWL ihre Bereitschaft ausgedrückt.
Mehr Fachleute ausbilden Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus fordert jedoch, die Bundeswehr müsse mehr Fachleute an ihren Hochschulen ausbilden. Auch Andreas Timmermann-Levanas sagt: "Der Fachmann muss eine Uniform tragen, es muss eine Vertrauensbasis bestehen." Die "Hemmschwelle" sei sonst viel größer. Dennis Turm will jetzt erst mal den Drogenentzug schaffen, berichtet seine Mutter. Danach wartet die nächste Aufgabe: Der junge Mann will endlich seine Vergangenheit bewältigen.Dokumenten Information Copyright © Neue Westfälische 2013 Dokument erstellt am 27.01.2013 um 15:23:27 Uhr Letzte Änderung am 28.01.2013 um 12:21:31 Uhr