Was, wenn jeder Staat sein eigenes Internet schafft?
Das Projekt Goldener Schild ist auch als die Die Große Firewall von China bekannt geworden. Eine technische Grenze, die das Internet in China zu einer Art riesigem Intranet macht. Das Gegenteil, was ein großer Teil der westlichen Welt, als die Kernidee des Internets versteht, eine freie und dezentrale Struktur, verteilt über Ländergrenzen hinweg. China ist natürlich nicht das einzige Land, das seinem Internet eigene Regeln auferlegt hat, durch Zensur oder Überwachung von Inhalten. Was aber passiert, wenn sich die Regierung in einem Teil der der Welt verändert – und damit auch die Regeln des Internets? Wie auf der Krim zum Beispiel, nachdem sie 2014 von Russland annektiert wurde. Jenny Genzmer hat eine Wissenschaftlerin getroffen, die sich diesen Übergang auf technischer Ebene angesehen.
Xenia ist eigentlich Soziologin. In den letzten Jahren hat sie sich mit den weichen Wissenschaften allein immer weniger zufrieden gegeben. Sie interessiert sich für Infrastrukturen, für Kabel, Datenverkehr. Und für die Frage – Was mit all dem passiert, wenn eine neue Regierung an die Macht kommt. Genauer – für die Zeit des Übergangs.
Die große Forschungsfrage drehte sich um die ganzen Abkommen. Welche vertraglichen Änderungen hat es zwischen Internetdienstanbietern gegeben, wie wurde der Datenverkehr neu geregelt oder der Datenaustausch zwischen Internet-Knotenpunkten. Das heißt, woher kommt der Datenverkehr, wie breitet er sich aus, wem gehört die ganze Infrastruktur und wem gehören die Kabel? Passiert da etwas mit dem Datenverkehr, wird er irgendwo angezapft, zensiert oder gefiltert? Und wie verändert sich all das in einer bestimmten Zeit - in einer bestimmten Region?
Während
ihrer Forschungen am Citizen Lab in Toronto hat sie eine Zeit
zwischen 2014 und 2018 ausgemacht, die “routing interregnum”
nennt – also eine Art Zwischenregierung, in der nicht klar war, wer
auf der Krim über den Datenfluss im Internet entscheidet. Der
politische Druck auf die Internetservice-Anbieter, die über
Unterseekabel noch mit der Ukraine verbunden waren wuchs. Vor allem
als Russland auf Anweisung von Ministerpräsident Medwedew 2014 ein
46 Kilometer langes Kabel bauen ließ – und das Internet auf der
Krim auch an Russland anschloss. Wenige Wochen später drang dann ein
Tochterunternehmen des staatseigenen Telekommunikationsunternehmens
Rostelecom auf den Markt. Miranda Media – der mit Abstand größte,
und nahezu einzige russische Internetanbieter auf der Krim. Wer
bürokratische und rechtliche Probleme verhindert wollte – regelte
seinen Datenverkehr nicht mehr mit ukrainischen Internetanbietern -
sondern immer häufiger mit Miranda Media, erzählt Xenia.
Die
Konsequenz für die Internetdienst-Anbieter war – dass sie jetzt
von Russland abhängig waren. Also von russischem Recht. Das
bedeutet, dass sie Filterungs- und Zensursoftware installieren
mussten. Diese Ausstattung, ist sehr teuer. Sogenannte „middleboxes”
kosten umgerechnet Beträge im dreistelligen Tausender-Bereich. Das
können sich kleinere Internetdienstanbieter nicht leisten. Das
heißt, entweder sie beziehen ihr Internet von größeren Anbietern,
die das Geld für die Software haben oder sie verkaufen ihr
Unternehmen und verlassen den Markt.
Die Annexion der Krim ist für Xenia ein symptomatischer Fall für das, was passiert, wenn die Zugänge zum Internet zentralisiert werden. Und durch die staatlich auferlegten Zensurbestimmungen, kommt auf der Krim noch ein weiterer Aspekt hinzu: Der Markt für Überwachungsequipment floriert - über 40 Anbieter dieser „Middle Boxes“ gebe es mittlerweile, die ihre Software an die Internetdienstanbieter verkaufen.
Zentralisierung, Überwachung, Zensur. Das Urteil der meisten Besucher auf dem 35c3, die ein dezentrales, von jeglicher – privater und staatlicher Einmischung freies Internet hochalten in eindeutig. Auch Antonia Hmaidi, Doktorandin mit China-Schwerpunkt an der Universität Duisburg/Essen gehört dazu. Sie hat einen der Hauptsäle mit ihrem Bericht über die verschiedenen Social Credit Systeme in China gefüllt, mit denen Menschen anhand von Punkten in Zukunft bewertet und gegebenenfalls bestraft werden sollen. Bis 2014 etwa habe es lediglich zwei Überseekabel gegeben, die auch China herausführten, sagt sie. Nun sind es mehr, aber vor diesen Kabeln sitzen Internetknoten, die den gesamten Datenverkehr filtern. Kein Facebook, kein Google, das Wall Street Journal – je nach Inhalt. Und doch warnt Hmaidi, den westlichen Blick zu sehr zu verengen.
Ich denk, das wichtigste ist erstmal zu sagen, dass es in China eine andere Idee von Internet gibt. Im Westen ist ja die Idee, das Internet ist ein freies System, an dem jeder dezentral arbeiten kann. In China ist das Internet eher als Tool verstanden, um das Internet einfacher zu machen. Und wird deswegen auch nicht als frei und dezentral... sondern in China geht alles über die Regierung.
Das Internet als Tool – ist das nicht eine Entwicklung, die auch in Deutschland – in Europa immer deutlicher genau so gesehen werden kann? Ein Tool zum Einkaufen, Streamen, Chatten und Organisieren? Mit immer weniger Diensten von denen wir nie wissen, nach welchem Recht sie in Zukunft handeln müssen? Gerade in Zeiten von zunehmendem Populismus und weniger Demokratiegläubigkeit, wie es Antonia Hmaidi sagt?
Das andere ist, wir werden als Menschheit immer mehr getrennt. Wenn ich mit meinen chinesischen Freunden Kontakt halten möchte, brauche ich schon eine andere Plattform, auf dieser Plattform muss ich darauf achten, was ich schreibe und die achten darauf, was sie schreiben. Die würden niemals auf Wechat etwas Regimekritisches schreiben.
Das Chinesische Internet versteht sich selbst als zentral sagt Hmaidi noch. Im Gegensatz zu dem, was sich viele westeuropäische und US-amerikanische Aktivisten, NGOs oder Unternehmen über ihr Internet erzählen: das Narrativ von „Internetfreiheit“, das ihrem Verständnis von Demokratie entspricht, sagt die Soziologin Xenia.
… also - liberaler Pluralismus, Meinungs- und Informationsfreiheit, Recht auf Privatheit. Es gibt also Ansätze, Internetfreiheit zu definieren.
Wieviel Wert wir aber all diesen Bestandteilen von Internet beimessen und wie wir sie umsetzen, darüber besteht unter den Akteurinnen und Akteuren nicht unbedingt Einigkeit sagt Xenia. Von einer anhaltenden Debatte darüber könnte es aber abhängen, ob sich das Internet eher in Richtung in die eine oder andere Richtung entwickelt. Eine Art kreativer Ort des Austauschs und der Information – oder in Richtung Werkzeug - oder gar Gebrauchsgegenstand. Ein tool, das häufiger mal den Benutzer wechselt.
https://www.deutschlandfunkkultur.de
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