Es ist die wohl wichtigste Wahl im Leben der Kolumbianer: Stimmt die Bevölkerung im heutigen Referendum mehrheitlich für den Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC-Guerilla, beginnt eine neue Ära im Land. Doch der Frieden ist fragil.
Es sind nur zwei kleine Worte, doch sie bestimmen seit Monaten den kolumbianischen Alltag: Mit "Ja" oder "Nein" betiteln kolumbianische Journalisten ihre Artikel zum Friedensvertrag in den Tageszeitungen, großflächige Plakate werben im ganzen Land für Zustimmung oder Ablehnung, Befürworter und Gegner ziehen in großen Protestzügen durch die Straßen.
Heute findet das Referendum statt, das die Bevölkerung tief spaltet. Es geht um nicht weniger als um eine Versöhnung zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla, die seit mehr als 50 Jahren Krieg gegeneinander führen. "Si" oder "No" - für beide Positionen gibt es im Volk nachvollziehbare Gründe. Umfragen deuten allerdings auf ein "Ja" hin - nach Untersuchungen von dieser Woche werden zwischen 55 und 66 Prozent Zustimmung erwartet.
Ex-Präsident ist stärkster Gegner
Ein "Nein" im Referendum fordern vor allem die Anhänger des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Er ist der Meinung, dass die im Friedensvertrag ausgehandelten Punkte wie die Integration der FARC-Rebellen in die Politik und eine Amnestie für viele Straftäter "unzumutbare Zugeständnisse an Terroristen" seien. Er hatte die FARC-Rebellen in seiner Amtszeit bis 2010 militärisch bekämpft und argumentiert, dass der Guerilla nur mit Gewalt beizukommen wäre.
Doch ganz so einfach sei es nicht, sagt Sabine Kurtenbach vom GIGA-Institut in Hamburg: "Uribes Politik ist ein Trugschluss. In einem so vielfältigen Land, in dem die Guerilla seit fünf Jahrzehnten kämpft, ist ein militärischer Sieg nicht möglich."
Auf den ersten Blick hat sich unter Uribes Politik der harten Hand gegen die Guerilla eine Menge für die Kolumbianer getan. Der Ex-Präsident hat vor allem die großen Straßen zwischen den Städten und Naherholungsgebieten mit Militär gesichert, und somit vielen Städtern wieder ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Auf lange Sicht könne eine vom Staat gewaltvoll errungene Sicherheit aber keinen nachhaltigen Frieden bringen, so Kurtenbach.
Unter Landbevölkerung viele Befürworter
Dass Uribe zu einem der größten Gegner des Abkommens geworden ist, habe auch andere Gründe, glaubt die Lateinamerika-Expertin. Sie hält seine ablehnende Haltung zum Friedensvertrag auch für gekränkte Eitelkeit und politische Rivalität. Letztere hat sich zu Uribes Nachfolger Juan Manuel Santos entwickelt, denn der ehemalige Verteidigungsminister Santos hat sich nach seiner Wahl zum Präsidenten nicht so erkenntlich gezeigt, wie von seinem Parteifreund Uribe erhofft. Statt seine Politik der militärischen Offensive gegen die Guerilla voranzutreiben, begann Santos Friedensgespräche mit der FARC. Unabhängig vom Ausgang des heutigen Referendums gilt er bereits jetzt als Friedensstifter.
Vier Jahre hat Santos für eine diplomatische und nachhaltige Lösung der Konflikte gekämpft. Viele Befürworter seiner Bemühungen leben auf dem Land. Hier begann zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern der Konflikt, der sich zu einem der blutigsten Kriege Lateinamerikas auswuchs. Und noch immer sind die Bauern die Leidtragenden. Sie stehen zwischen den Fronten der linken Guerillagruppen, rechten Paramilitärs und dem Militär. Die traurige Bilanz der Kämpfe sind mehr als 220.000 Tote und fast sieben Millionen Vertriebene.
Wettlauf gegen die Zeit
Der Friedensvertrag bedeutet unter anderem, dass viele Guerilla-Kämpfer keine oder nur milde Strafen erwarten. Dieses Zugeständnis will ein Teil der Opfer akzeptieren, um weiteren Jahren des Krieges und der Gewalt zu entgehen. Dabei geben sich auch die Befürworter nicht der Illusion hin, dass mit einem "Ja" im Referendum sofort Frieden herrscht.
Doch sie hoffen, dass der Staat dann die notwendigen Reformen auf den Weg bringt, die für eine sicherere Zukunft nötig sind. Der Grundstein ist gelegt: Der Vertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC ist ein 300 Seiten umfassendes Werk mit detaillierten Festlegungen, wie zum Beispiel die Abgabe der Waffen und die Agrarreform aussehen sollen.
Nun komme es darauf an, so schnell wie möglich Präsenz in den ärmeren Krisengebieten zu zeigen, betont Kurtenbach. Und zwar nicht in erster Linie mithilfe von Militär und Polizei, sondern mit Schulen, Krankenhäusern und Bibliotheken. Zudem müsse der Staat Entwicklungsmodelle für sichere Arbeitsplätze zu schaffen: "Das ist jetzt ein Wettlauf gegen die Zeit und das wird auf gar keinen Fall immer linear und erfolgreich sein, da wird es auch Rückschläge geben", prognostiziert sie.
Friedensschluss bietet finanzielle Chancen
Doch neben gutem Willen ist das jetzt vor allem eine Frage des Geldes. Zwar ist Kolumbien schon lange nicht mehr nur ein Land des Kaffeeexportes, sondern auch reich an Erdöl und Gold. Aber das südamerikanische Land leidet unter den niedrigen Preisen auf dem Weltmarkt. Die Lateinamerika-Expertin bleibt optimistisch: "Viele Kollegen vor Ort halten es für einen Vorteil, dass die Umsetzung des Friedens in eine Zeit der knappen Ressourcen fällt. So kann es nicht bei einer Schönwetter-Verteilung der Gelder bleiben, sondern die Regierung muss nachhaltig planen." Der von der Regierung vorgelegte Zehn-Jahres-Plan lasse hoffen, dass sie nicht nur in extrem kurzen Zeiträumen denke.
Der Friedensschluss könnte auch eine finanzielle Chance bedeuten. Berechnungen zufolge gingen dem Land bisher jährlich bis zu fünf Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts verloren. Durch die Beendigung des Bürgerkriegs könnte die neu gewonnene Wirtschaftskraft dem Land viele Perspektiven bieten. Kurtenbach nennt als Beispiel den großen Reichtum an Biodiversität, deren Schutz und Erforschung viele Arbeitsplätze schaffen könnte. Außerdem kommen mit der wachsenden Sicherheit auch die Touristen ins Land.
Langer Weg steht noch bevor
Die größte Herausforderung wird es nun sein, das gewonnene Potenzial gerecht auszuschöpfen. Die kolumbianische Geschichte zeigt, dass bisher oft versäumt wurde, neu gewonnenen Reichtum in soziale Infrastrukturprojekte zu stecken. Im Falle des Abbaus von Erdöl und Gold sind beispielsweise kaum Arbeitsplätze in diesem Industriezweig geschaffen worden. Und nach wie vor ist Kolumbien ein Land mit großen Einkommensungleichheiten.
Dagegen muss die Politik künftig vorgehen. "Das einzige, was dagegen hilft, ist eine Zivilgesellschaft, die ihre Rechte einfordert und ein Staat, der dagegen nicht mit Repressionen vorgeht", weiß Kurtenbach. Das "Si" oder "No" dieses Sonntags ist nur die erste von vielen wichtigen Entscheidungen, die den Kolumbianern auf ihrem neuen, friedlichen Weg der Demokratie bevorstehen.
Reisehinweise für Kolumbien
Sicherer, aber noch nicht sicher