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Ein bisschen Wärme

Liefert nach Dienstschluss warme Getränke, aber auch Isomatten an Obdachlose: Berthold Troitsch. (Foto: Robert Haas)

Liefert nach Dienstschluss warme Getränke, aber auch Isomatten an Obdachlose: Berthold Troitsch.

(Foto: Robert Haas)

Berthold Troitsch leitet eine Immobilienverwaltung - in seiner Freizeit betreut er als Kältebus-Chef Obdachlose

Schnee, Regen, drohendes Hochwasser. Direkt neben der Reichenbachbrücke hat sich das Wasser zu einer großen Pfütze gesammelt. Der Wind pfeift, die Feuchtigkeit kriecht in die Kleider. Mit einer gefütterten Warnjacke steht Berthold Troitsch, 46, vor dem Kältebus, der eigentlich weniger Bus, mehr kastenförmiger Mittelklassewagen ist. Er friert. Seine Füße sind kalt. Die Zehen in den Halbschuhen sind schon taub. Er ärgert sich. Nicht mal an warme Socken hat er gedacht.

Troitsch leitet seit Oktober 2015 den Kältebus München. Es ist sein erster Winter als Vorstand des ehrenamtlichen Vereins. "Ich habe schon lange nach einem eigenen Projekt gesucht", sagt Troitsch. Sein Vorgänger Tobias Irl hat aus privaten Gründen aufgehört, Troitsch hat übernommen, ein glücklicher Zufall. Seine Motivation? Irgendwas zwischen Hobby und Berufung, so drückt er es aus. Die gelbe Farbe seiner Jacke und die Reflektorenstreifen lassen Troitsch aussehen wie einen Schullotsen. Doch sein Anliegen ist es nicht, Kinder sicher durch den Verkehr, sondern Menschen ohne Obdach unbeschadet durch den Winter zu bringen.

Durch seine Arbeit, er ist Geschäftsführer einer Immobilienverwaltung, hat Berthold Troitsch schon einige Male mitbekommen, wie es ist, wenn Menschen am Leben scheitern, mit der Wohnsituation nicht mehr klar kommen, verwahrlosen. "Damals habe ich schon das ein oder andere Mal versucht zu helfen", sagt Troitsch. Nicht immer wollen die Menschen Hilfe, das muss man akzeptieren.

Sein Blick durch die rahmenlose Brille ist klar, sein Ton sachlich. "Obdachlosigkeit wird es immer geben", sagt Troitsch. Warum? Er zuckt mit den Schultern. "Das hat individuelle Gründe", sagt er. Viele seiner Kunden, so nennt er die Obdachlosen, die er versorgt, haben einige Rückschläge erlitten. Oft kommt alles zusammen: Trennung, Kündigung der Wohnung, Arbeitslosigkeit, am Ende steht die Straße. Dann muss man "auf Platte gehen", wie die Obdachlosen es selbst nennen.

Wenn Troitsch von ihnen erzählt, nennt er sie beim Namen. Oft kennt er ihre Geschichte. Wilhelm ist einer seiner Stammkunden. Er wohnt unter einer Brücke an der Isar. "Er ist ein Philosoph", erzählt Troitsch, "und Vegetarier." Seit Troitsch das weiß, bringt er neben den Leberknödeln, die er sonst dabei hat, Grießnockerl mit. "Wir sind zwar kein Gourmetbus", sagt Troitsch, "aber das ist doch kein Aufwand." Er zuckt wieder mit den Schultern. An Wilhelms Beispiel erklärt Troitsch gerne das Konzept und das Alleinstellungsmerkmal des Kältebusses. Im Fachjargon sagt man niederschwellige Akuthilfe dazu. Konkret: Es wird den Empfängern so leicht wie möglich gemacht, die angebotene Hilfe anzunehmen.

Wilhelm, der sich vor einiger Zeit das Bein gebrochen hatte, konnte seinen Schlafplatz auch tagsüber nicht verlassen. Stationäre Anlaufstellen fallen somit weg. "Das sind dann die Menschen, die völlig durch das Raster fallen", sagt Troitsch. "Hätte ich mich mit meinem Bus irgendwo hingestellt und gesagt, trabt an, dann bekommt ihr was, wäre Wilhelm leer ausgegangen." Berthold Troitsch möchte nicht die große Masse "abfüttern". Er stellt sich nicht auf die Isarbrücke, sondern er bringt die Suppe unter die Brücke, direkt zum Abnehmer.

Niederschwellige Hilfe, dafür ist der Kältebus da. Er fährt bewusst auch einzelne Obdachlose an, die alleine sind und Hilfe brauchen. "Verhungern muss in München keiner. Was im Winter fehlt, ist die Wärmezufuhr, besonders abends, wenn die Teestuben schon geschlossen haben", sagt Troitsch. Er trägt einen grauen Dreitagebart, er ist müde. Hinter ihm liegt ein Arbeitstag in seiner Firma. Fünf Tage die Woche arbeitet Troitsch, sieben Tage ist er in der Regel mit dem Kältebus unterwegs. "Das geht nur, weil der Bus nur drei bis vier Monate im Jahr aktiv ist", sagt Troitsch, sonst wäre das neben dem Beruf nicht zu stemmen.

Sobald er aber im Kältebus sitzt und seine erste Station anfährt, ist die Müdigkeit verflogen. In einer Unterführung im Norden Schwabings wohnt Ben. Er ist seit drei Jahren "auf Platte". Wie es bei ihm dazu gekommen ist, möchte er selbst nicht erzählen. Über alles andere redet er gerne. Sobald die Sprache auf die Politik kommt, schlägt seine fröhliche Art in Verbitterung um. "Als Hartz-IV-Empfänger gibt man seine ganze Persönlichkeit auf, man gehört dann dem Staat." Das will Ben nicht. Dann lieber frei sein, dann lieber Straße. Ben gehört - wie die meisten von Troitschs Klienten - zu denjenigen, die ihr Leben auf der Straße gut organisieren. Er trägt einen schwarzen Jogginganzug. Die grauen Haare und der graue Bart sind gepflegt. So wie er aussieht, hätte er auch an seiner Wohnungstür stehen können. Er ist Mitte Vierzig. Ben freut sich über den Kaffee, die heiße Suppe und den selbst gemachten Schokopudding, den Troitsch für ihn dabei hat. "Auch wieder ein paar Kalorien", sagt Troitsch. Aber noch mehr freut sich Ben über die große Abdeckplane. Damit kann er seinen Hausstand trocken halten. Die Kälte ist ein gemeiner Gegner, aber die Nässe ist schlimmer. Am schlimmsten aber ist Hochwasser - dann müssen Obdachlose so schnell wie möglich ihren Hausstand, den sie immer bei sich haben, in Sicherheit bringen.

Der Kältebus finanziert sich hauptsächlich durch Spenden. Gebrauchte Kleidung nimmt Toitsch allerdings ungern an. Die Lagermöglichkeiten fehlen. Und wenn seine Kunden mal Socken, Unterhosen oder Mützen brauchen, kauft Troitsch die Sachen neu. Alles andere findet er indiskutabel. Nächste Station: Müller'sches Volksbad. Hier hat Berthold Troitsch eine Verabredung mit einem neuen Klienten. Er hat ihm versprochen, eine wasserfeste Isomatte mitzubringen. Es vergehen zehn Minuten, es vergeht eine halbe Stunde. Die kalten Füße melden sich wieder, schmerzen beinahe schon. Troitsch schaut bei jedem Geräusch aufmerksam in die Dunkelheit. Dann gibt er auf. "Man darf nie enttäuscht, oder böse sein", sagt er mit Nachdruck.

Die Obdachlosenszene ist immer in Bewegung. Nicht immer kann man jedes einzelne Schicksal verfolgen. Es könne sein, dass der Kunde von seinem Platz vertrieben wurde. Oder vielleicht habe er sich einfach nur verquatscht, den Termin vergessen. Ob das nicht doch manchmal frustrierend ist? "Das darf es nicht sein", sagt Troitsch, "da muss man Abstand bewahren." Als er mit der mitgebrachten Isomatte zurück zum Auto geht, hängen die Schultern des sonst so imposanten, kräftigen Körpers trotzdem etwas, geben die Enttäuschung kaum merklich preis.

Ein paar Kilometer flussaufwärts trifft Troitsch auf Wilhelm und seinen Nachbarn. Die beiden bekommen eine heiße Suppe. Wilhelm mit Grießnockerl, sein Bekannter mit Leberknödel. Danach gleich noch eine. Die Nacht ist kalt. Aber mit der Suppe wärmt sich auch die Stimmung auf. "Wenn sich jemand über einen einfachen Becher heiße Suppe so freuen kann, das macht einfach Spaß", sagt Troitsch auf dem Rückweg. Die Heizung im Kältebus bläst auf voller Stufe. Die Füße werden langsam wieder warm, in die Zehen kriecht das Gefühl zurück. Ben und Wilhelm liegen mittlerweile in ihren Schlafsäcken, vermummt bis über die Ohren. Morgen kommt Berthold Troitsch wieder. Der Winter ist noch nicht vorbei, das weiß er.

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