Immer mehr Männer gehen zum Schönheitschirurgen. Doch was treibt sie dabei an? Und was genau lassen sie an sich verändern? Ein Spaziergang durch Berliner Arztpraxen.
Nach allen menschlichen Maßstäben sieht Matthias Turm* gut aus. Seinen sportlichen Körper hat er in Jeans, einem ausgeblichenen roten T-Shirt und gelben Sneakers verpackt. Selbstbewusst sieht er seinem Gegenüber in die Augen, während er spricht. Gelegentlich streichen die gepflegten Hände über seinen Dreitagebart, der kein Indiz für Nachlässigkeit, sondern ein weiteres modisches Statement ist. Nein, dieser Mann wirkt nicht, als hätte er kürzlich die 40 hinter sich gelassen.
Turm mag das Gefühl, jünger auszusehen, als er ist. Er weiß aber auch sehr genau, dass sein Äußeres nicht unverfälscht ist. Anfang diesen Jahres ließ er sich am Bauch, an der Brust und unter dem Kinn Fett absaugen.
Der Selbstständige legte schon vor dem Eingriff Wert auf eine gesunde Ernährung und Sport; mangelnde Disziplin war also nicht der Grund, weshalb am Ende nur der ästhetisch-plastische Chirurg den 1,98 Meter großen Mann mit seinem Körper zufriedenstellen konnte. Es lag daran, dass Turm mit den Diäten nicht klar kam.
Anderthalb Jahre lang hatte er sein Leben nur dem Ziel untergeordnet, abzunehmen. "Ich habe Kalorien gezählt und zwischen Mineralwasser und Apfelschorle abgewogen. Zum Mittag und am Abend gab es Salat. Und ein bis zweimal am Tag habe ich Sport getrieben", sagt Turm. Obwohl er die Pfunde los wurde, merkte er allmählich, dass der Preis für eine gute Figur nicht nur viel Zeit, sondern auch ein erhebliches Stück Lebensqualität war.
Und natürlich schlemmte er bald nach seinem Programm wieder, feierte, trank Alkohol - und nahm wieder zu. Der Weg zurück, in ein Leben dirigiert vom Kalorienkonsum- und verbrauch, war für ihn keine Option. Ein Leben mit den Pölsterchen jedoch auch nicht. Eine Alternative sah Turm in dem Weg zum Chirurgen.
Immer mehr Männer vertrauen ihre optischen Makel dem Schönheitschirurgen an. Im Jahr 2012 war jeder sechste Patient männlich. Die Fettabsaugung, auch Liposuktion genannt, ist unter Männern der meistgewünschte Eingriff, gefolgt von der Augenlidstraffung. Die Gründe für eine Schönheitsoperation sind nur selten medizinisch bedingt. Auch geht es längst nicht mehr allen Patienten darum, jünger auszusehen.
So spielt die Konkurrenz unter Jobeinsteigern inzwischen eine größere Rolle. Attraktive Menschen haben bessere Aufstiegschancen im Job, weil mit ihnen unterbewusst Eigenschaften wie Intelligenz, Sozialkompetenz oder Fleiß verbunden werden.
Besonders Manager zwischen 30 und 40 Jahren wissen um diese Erkenntnis und wollen mit Hilfe einer entsprechenden Operation nicht nur attraktiver erscheinen, sondern auch ihre Führungsqualitäten optisch unterstreichen. Stellvertretend dafür stehen unter anderem ein markantes Kinn und ein kantig, maskulines Gesicht. Die Fettabsaugung - sie steht für den Wunsch nach Fitness - ist dagegen in allen Altersklassen beliebt.
Chancen im Job sollen verbessert werden
Christian Roessing, Facharzt für ästhetisch-plastische Chirurgie in der Praxisklinik Metropolitan Berlin, steht diesem Trend skeptisch gegenüber. "Es ist ganz gefährlich, sich einer Operation zu unterziehen, in der Hoffnung, man würde danach vielleicht bessere Aussichten im Job haben. Ich vermeide es, Leute mit dieser Intention zu operieren." Er ist Facharzt für ästhetisch-plastische Chirurgie und führt seine Praxis zusammen mit einem Kollegen.
Unauffällig reiht sich das kleine Klingelschild an einem Hauseingang in Mitte zwischen den anderen im Haus ansässigen Firmen ein. Anonymität gehört zum Geschäft. Umso exklusiver wirkt die Praxis selbst, mit ihrem ausgesuchten Designer-Mobiliar. Roessing rauscht im Operations-Kittel durch den Eingangsbereich und erinnert daran, dass neben Schönheit hier vor allem ein Handwerk verkauft wird.
Teilweise medizinisch begründen lässt sich die Entfernung der Schweißdrüsen im Bereich der Achseln, für die sich vor allem Männer mit Bürojobs interessieren. Roessing selbst beobachtet noch einen weiteren Trend: Die aufstrebende Über-35-Konkurrenz stelle vor allem Führungskräfte jenseits der 60 Jahre unter Zugzwang. Um optisch mithalten zu können, greifen die Älteren auf verjüngende Maßnahmen zurück. Je nach Intensität der gewünschten Veränderung können Falten mit Botox oder Hyaluron unterspritzt oder Gesicht und Hals mit einem Lifting gestrafft werden.
"Man ist halt nicht mehr so ,in' in gewissen Kreisen, wenn man etwas verlebter aussieht", sagt Roessing. Vorbei die Zeiten, in denen Männer wie Humphrey Bogart mit ihren Falten auf der Leinwand viel Geld verdienen konnten. Das Schönheitsideal selbst ist dabei allerdings laut Prof. Dr. Klaus Überreiter, Chefarzt an der Park-Klinik Birkenwerder, seit den alten Griechen gleich geblieben. "Geändert hat sich lediglich der individuelle Anspruch, einem gesellschaftlich-medialen Schönheitsideal hinterherzujagen."
Gemeint sind jene Models, die auf überdimensionalen Plakatwänden und im TV zeigen, wie ein männlicher Körper aussehen kann. Von denen bekommen Überreiters Patienten jedoch nichts zu sehen. Seine Park-Klinik liegt, abgeschottet vom Trubel der Großstadt, nördlich von Berlin, mitten im Grünen. In der Idylle scheint Zeit keine Rolle mehr zu spielen, zumindest nicht für Überreiter, der einen 30-Minuten-Termin bei Bedarf gern auf eine Stunde ausweitet.
Matthias Turm vergleicht sich nicht mit jüngeren Männern: "Ich glaube, ich wollte mit der Operation eher jüngeren Frauen gefallen. Das war sicherlich ein Beweggrund." Man könnte auch sagen: Das andere Geschlecht wird zum Attraktivitätsbarometer, die Mittzwanzigerfreundin zur ultimativen Bestätigung. Und Selbstinszenierung ist das Mittel, um vor sich und anderen zu bestehen. Eine Beobachtung, die Überreiter bestätigt: "Männer werden eitler. Früher hatte man dafür keine Zeit und wurde auch weniger damit konfrontiert. Heute haben wir die Zeit, einen Körperkult zu entwickeln."
Wird der Betroffene seinen hohen Ansprüchen nicht mehr gerecht, droht nicht selten eine Depression. In diesem Fall ist nicht das Skalpell, sondern das Fingerspitzengefühl des Schönheitschirurgen gefragt. Neben der Kunst abzuwägen, was der Patient möchte, und dem, was technisch möglich ist, muss ein Chirurg über psychisches Urteilsvermögen verfügen: "Es ist ein Irrglaube, Probleme privater oder beruflicher Natur mit einer Operation lösen zu können. Das muss man den Patienten schonend beibringen und sie gegebenenfalls an einen Psychologen verweisen," sagt Roessing.
Weder er noch Überreiter können sich erinnern, betroffene Patienten danach ein zweites Mal gesehen zu haben. Entweder schlage die Psychotherapie an und der Patient verzichte auf einen Eingriff; oder ein anderer Arzt führe die Operation durch. Überreiters Erfahrung zeigt: "Mir ist klar, dass nicht jeder Patient, den ich wegschicke, auch den Psychologen aufsucht. Am Ende findet sich immer ein Chirurg, der sagt: Ich mach's!"
Woran erkennt man einen kompetenten Arzt?
Das Problem für die Patienten ist, dass ein qualifizierter Arzt sich nicht an seinem Doktortitel erkennen lässt - und erst recht nicht an Bezeichnungen wie Schönheitschirurg oder ästhetischer Chirurg. Sie sind nämlich nicht geschützt. Aussagekräftiger ist dagegen der Titel ästhetisch-plastischer Chirurg, der nur durch eine Facharztausbildung angenommen werden kann. Ein weiteres Kriterium sei die Mitgliedschaft in einem der auf plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie spezialisierten Fachverbände.
Matthias Turm verwendete auf die Suche nach einer Klinik ganze anderthalb Stunden. Wichtig waren ihm dabei vor allem ein professionell gestalteter Internetauftritt und eine gute Atmosphäre vor Ort. In der Praxis von Christian Roessing habe er sich auf Anhieb wohl gefühlt. Roessing habe ihn über alle Vor- und Nachteile einer Fettabsaugung aufgeklärt. Restlos überzeugt, machte Turm noch am selben Tag den Termin für die Operation. Das ist keineswegs unüblich. Studien zeigen, dass Männer zwar ähnlich lange über das Für und Wider einer Operation nachdenken, ab der Entscheidung aber keine Zeit mehr verlieren.
Ein typisch männliches Phänomen, findet Überreiter, der deswegen auch schon den einen oder anderen Patienten bremsen musste. Zum Großprojekt Schönheitsoperation gehört neben dem schönen Ergebnis eben auch der Umgang mit eventuellen Komplikationen. Von seinem Vorhaben abbringen ließ sich Turm nicht: "Ich wollte weder hören, was die da machen, noch wie sie es machen, noch welche Komplikationen dabei auftreten können. Ich dachte, wenn etwas schiefgehen sollte, habe ich immer noch genug Zeit, mich damit auseinanderzusetzen."
Heute ist Turm mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Dennoch weiß bisher nur seine Familie von dem Eingriff. Freunde und Kollegen ließ er glauben, er würde eine Woche Urlaub machen. "Zum einen wollte ich nicht nach außen tragen, dass ich nun doch diesem Schönheitswahn unterliege und zum anderen kennt jeder die Beträge, die hinter so einer Operation stehen. Um Neidern aus dem Weg zu gehen, war mir eine gewisse Anonymität wichtig."
Während in den USA ganze Partys für die Präsentation des remodellierten Körperteils geschmissen werden, hüllt Mann sich hierzulande in Schweigen. Berlin ist nicht zuletzt wegen seiner Anonymität und der guten medizinischen Versorgung Anlaufstelle für Patienten aus kleineren deutschen Städten oder dem europäischen Ausland. Einen für ihn unerklärlichen Zulauf verzeichnet Christian Roessing etwa aus Paderborn.
Gelegentlich werden auch die Schönheitschirurgen selbst zu Nutzern ihres eigenen Handwerks. Eine Fettabsaugung kommt weder für Roessing noch für Überreiter in Frage, aber über eine Lidstraffung können ließe sich gegebenenfalls reden. Für Überreiter steht fest: "Ich würde nicht wie Heiner Geißler rumlaufen. Gelegentlich nutze ich Botox, ich neige zum Zornesfalten zusammenziehen."
* Name geändert
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