Aha. So ungefähr muss es also auf dem Mars aussehen. Rötliche Steinformationen, überzogen mit einer weißen Schicht, ragen kantig in den Himmel. Doch wir sind hier nicht im Weltraum: Man merkt es unter anderem daran, dass Touristen in Sanddünen ihre Botschaft an die Nachwelt gekritzelt haben: "Ich war hier". Die Reisenden, die heute da sind, haben die Augen verborgen hinter bunten, verspiegelten Gläsern ihrer Polaroid-Brillen, um nicht vom gleißenden Untergrund geblendet zu werden.
Das Unternehmen hat zum Test seiner neuen "Rainbow"-Kollektion geladen. Mit guter Sicht, aber unsicherem Gang tasten sich die Besucher auf dem weißen Untergrund voran, den sie zuerst als Eis missinterpretieren. Keine abwegige Annahme. Wissenschaftler hoffen schließlich, auch auf dem Mars gefrorenes Wasser zu finden. Hier, im Valle de la Luna (auf deutsch: "Tal des Mondes") in der Atacama-Wüste in Chile, hat man es allerdings mit einer weißen Salzkruste zu tun.
Dies alles ist ein Beleg dafür, dass man sich mehr einfallen lassen muss als ein paar getönte Gläser mit UV-Schutz, wenn man heute Sonnenbrillen verkaufen will. Es zählen die Extreme. In diesem Fall eine knallbunte Optik mit hochtechnisierten Gläsern, inszeniert an einem der gefährlichsten Orte der Welt.
Wie der Filter einer Kamera geben die polarisierenden Gläser der überbelichteten Umgebung wieder Konturen. Aber das kann die bekannte Pilotenbrille der Konkurrenz auch. Deswegen setzt Polaroid zusätzlich auf besonders stoßfeste Gläser, die auch abenteuerlichste Reisen mitmachen sollen. Selbst blendungsbedingte Kopfschmerzen und müde Augen sollen der Vergangenheit angehören - das behauptet zumindest der Hersteller. Sicher hätte sich dies alles auch am Strand erproben lassen. Doch wo hätte die Herausforderung gelegen? Erst eine Wüste wie die in Chile fordert Brille und Träger alles ab.
Die Ähnlichkeiten zu Mars und Mond sind so frappierend, dass die Nasa die Gegend seit vielen Jahren als Testgelände benutzt. Prototypen für den Mars-Rover nehmen Proben und müssen zeigen, dass sie auch bei Temperaturen zwischen minus 15 Grad Celsius in der Nacht und bis zu plus 56 Grad am Tag nicht einwandfrei funktionieren. So rumpeln sie wieder und wieder über Stock und Stein.
In der Ferne ragen Vulkane in den Himmel, geformt wie im Schulbuch mit deutlich sichtbaren Kratern. Eine Form, die in manchen Fällen an ein Phallus erinnert und im hiesigen Kulturkreis daher immer als männlich klassifiziert wird, sagt unser Guide Mike. Er heißt eigentlich Miguel Ángel und führt uns durch seine Heimat. Die Atacama-Wüste zählt zu den trockensten Orten der Welt, eine ständige Bedrohung für das Leben ihrer Bewohner. Einige Regionen bekommen über Jahrzehnte keinen Tropfen Wasser. Anderswo finden sich Salzseen, und der Blick in die Ferne wird von langen Bergketten geblockt; ein paar Mal im Jahr liegt auf ihnen Schnee. Das Spiel mit Gegensätzen kennzeichnet die Region und lässt sie unwirklich erscheinen.
Hier sind hauptsächlich Touristen unterwegsWer wäre nicht überrascht, mitten in der Ödnis rosafarbene Flamingos vorzufinden? Doch hier gibt es sie - im Nationalreservat Los Flamencos haben sie in der Chaxa Lagoon, einem seichten Salzsee, ihr Lager aufgeschlagen. Plankton dient ihnen als Nahrung und gibt den eigentlich weißen Vögeln ihre rosa Färbung: man könnte sie sonst leicht übersehen. Die Landschaft wirkt wie ein Aquarell, auf dem der hellgraue Steinboden, die bläulich weiß reflektierende Wasseroberfläche und die Vulkane im Hintergrund miteinander verschmelzen. Die polarisierenden Brillengläser helfen tatsächlich, Details wie das Getier unter der Wasseroberfläche auszumachen.
An Land hat eine Salzkruste dem Untergrund scharfe Zacken verpasst. Besuch kommt vor allem aus der Ferne. Etwa die Touristen, zu denen die Flamingos stets einen großzügigen Sicherheitsabstand halten. Manchmal scheint es, als sei der Boden in Bewegung. Echsen von der Länge einer Hand zischen blitzschnell zwischen den Felsen hindurch. Verharren sie einen Moment, passt sich ihre Haut farblich dem Untergrund an.
"Jeremy, nicht auf die Echsen springen!", ruft es aus einer amerikanischen Reisegruppe. Neben Asiaten und ein paar Backpackern gehören die Nordamerikaner zu den Hauptbesuchern der Region. Auf durchgeplanten Touren bewegen sie sich schwarmartig umher. Auch sie suchen das maximale Kontrastprogramm zum Zuhause: Das Abenteuer in der Wüste, das aber nicht zu abenteuerlich werden sollte, sondern wohldosiert mit festgelegten Fotostopps, den klimatisierten Bus stets im Blickfeld.
Coolness ist im Schwefeldampf fehl am PlatzWer alle Facetten der Wüste entdecken will, muss lange Busfahrten in Kauf nehmen. Die beginnen teilweise schon morgens früh um fünf, wenn es zum Vulkan El Tatio geht beispielsweise. 4280 Meter über dem Meeresspiegel erstreckt sich in seinem Krater ein Geothermalgebiet. Aus Geysiren schießt kochend heißes Wasser empor. Die zwei Stunden Zeit bis zur Ankunft sind diesmal gut angelegt. Wer El Tatio lebendig und unversehrt wieder verlassen will, muss einiges beachten - und entsprechend freut man sich über sachdienliche Hinweise.
Dazu gehört, nicht zu rennen. In der Höhenluft ist schon mancher in Ohnmacht gefallen, der zu schnell zu viel wollte. Im schlechtesten Fall landet man dann in einem der 80 Geysire. Ungünstig sei es auch, an den Dämpfen zu riechen, die aus dem Erdreich emporsteigen. Die enthalten unter anderem Schwefel - und haben schon so manche Touristin bewusstlos in die Arme eines Guides sinken lassen.
Man sollte sich hier wirklich nicht zu cool vorkommen. auf den ausgetretenen Touristenpfaden läuft es sich einfach am besten. Das Thermalfeld hat nämlich die ungünstige Eigenschaft, dass hier immer wieder unerwartet Löcher im Boden entstehen. Zahlreiche Besucher seien auf diese Weise schon abhandengekommen. Bei Temperaturen um die 200 Grad unter der Erdoberfläche gibt es keine Hoffnung auf Überleben.
Zum Glück gibt's InternetBei der Nasa würde man zusammenfassend wohl von einem menschenfeindlichen Planeten sprechen. Abschreckend wirkt das aber nur kurz. Das Thermalfeld ist voll mit Reisenden, die dem aussichtslosen Unterfangen nachgehen, die meterhohen Dampfformationen zu fotografieren. Zum Glück gibt es auch hier mobiles Internet. Instagram wird zum Barometer für eine gelungene Reise: "Gefällt mir"-Herzchen als die ultimative Bestätigung, die digitale Revolution ist unaufhaltbar.
Vor ein paar Jahren waren Ausflüge auf den Vulkan noch teuer. Das Gelände ließ sich nur mit einem Geländewagen mit Allradantrieb erschließen. Aus der Erkenntnis, dass sich mit dem Tourismus Geld verdienen lässt, entstanden befestigte Sandstraßen, die sich auch mit einem Mietwagen bewältigen lassen. Neben dem Tourismus halten der Abbau von Kupfer und Silizium die Region am Laufen.
Und trotz der auf den ersten Blick unwirtlichen Verhältnisse siedelten sich bereits vor 20.000 Jahren Menschen an. Spanische Konquistadoren jagten das Land einst den Inkas ab. Heute zentriert sich das menschliche Leben in San Pedro de Atacama, dem Verwaltungszentrum der Region - die Kommune hat 5605 Einwohner. Sandstraßen ordnen die Oase in Blöcke an. Es gibt nur eine betonierte Straße. Wer das Dorf einmal zu Fuß durchqueren will, sollte etwa 20 Minuten einplanen.
Die Orte sind längst verlassenKleine Lehmhäuser mit Dächern, die aussehen, als würde schon ein Windstoß genügen, um sie davonzutragen, stehen hinter sandfarbenen Lehmmauern. An Kreuzungen tragen sie in krakeligen weißen Lettern die Straßennamen und ersetzen Schilder. Obendrauf balancieren streunende Hunde. Wer sich von ihren traurigen Augen einnehmen lässt und ein paar Worte für den Heimatlosen übrig hat, kann sich für den Rest des Tages eines Wegbegleiters sicher sein.
Auch wenn viele Chilenen nur zum Arbeiten nach San Pedro de Atacama kommen und ansonsten in der zwei Stunden entfernten Stadt Calama leben, geht es der Kommune recht gut - zumindest im Vergleich. Geisterdörfer sind eine weitere Eigenart der Region. Machuca ist eines von ihnen: Der Ort hatte keine eigene weiterführende Schule. Lange Fahrtwege veranlassten die Einwohner, nach und nach in die Stadt umzuziehen. Und wer da einmal angekommen ist, den zieht es nicht zurück in die Lehmhütte in der Wüste. Mit der Zeit verwaiste das Dorf so weit, dass heute nur noch Touristen da sind.
Nachts in der WüsteUnser Guide Mike sagt immer wieder, dass auch die San-Pedro-de-Atacama-Oase dem hiesigen Anspruch an Surrealismus gerecht wird. Wer sich für "Star Wars" begeistern kann, stößt hier auf alte Bekannte. Vor der Tür einer Bar, deren Besitzer aussieht wie der Untergrundherrscher Jabba, lässt sich tagein, tagaus ein Männlein mit zerzausten Haaren und einem mit Schweißflecken durchsetzten Hemd in einem Klappstuhl beobachten. Angeblich verlässt er seinen Platz nie. Ein mitternächtlicher Spaziergang durch die stockdunklen Gassen untermauert Mikes Behauptung und bringt ihm den Spitznamen "el nochero" (auf deutsch: der Nachtwächter) ein.
Die Nacht ist etwas Besonderes in der Wüste. Wer das Kunstlicht nur ein paar Kilometer hinter sich lässt und in die totale Dunkelheit eintaucht, findet die Milchstraße. Hoch oben am Himmel zieht sie sich wie ein Schleier durch das Firmament. Neben ihr der Skorpion auf der ewigen Jagd nach Orion.
Leichter zu entdecken ist das Kreuz des Südens. Und wer sich auf der Südhalbkugel so gar nicht zurechtfinden mag, macht es wie Mike und zückt das Smartphone mit entsprechender Sternkarten-App. Ist der rötlich schimmernde Punkt dort hinten etwa der Mars? Näher als hier kommt man dem roten Planeten jedenfalls nicht.