Jennifer Hinz

Freie Journalistin & Autorin, Berlin

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Wie Sneaker zu Kultobjekten und Wertanlage wurden

Die Sache mit der Jeans hätte man ihm wohl noch durchgehen lassen. Er war ja war ein Grüner, ein Straßenkämpfer, dieser Joschka Fischer. Also einer, der sich etwas mehr rausnehmen durfte - und es auch tat. Aber als Fischer 1985 als erster Minister der Grünen im Hessischen Landtag vereidigt wurde, betrat er die Bühne in Turnschuhen. Weiße Nike mit hohem Schaft ("high-tops") und dem unverkennbaren "Swoosh"-Symbol an der Seite. Es war nicht nur ein modisches, sondern ein politisches Statement, ein bewusster Bruch mit der Etikette, das ihm fortan den Namen "Turnschuhminister" einbrachte.

Das Timing war perfekt. Das Jahr 1985 legte den Grundstein für die Metamorphose des Sneakers vom Sport- zum Lifestyle-Schuh. Boris Becker schreibt in Wimbledon Tennisgeschichte und siegt in Schuhen von Puma. In den USA entwickelt Nike gemeinsam mit Basketball-Superstar Michael Jordan den "Air Jordan". Das Paradoxe: Der Sportler öffnet die Tür zu einem neuen Markt, in dem für Kunden die sportliche Performance nur an zweiter Stelle steht. Jordan war ein Idol für alle und das Tragen seiner Schuhe für viele der Weg, ihm ein Stück näher zu sein. Im gleichen Jahr rappt die Hip-Hop-Band Run DMC mit dem Song "My Adidas" darüber, wenn ein Paar Sneaker der ganze Stolz sind, und thematisiert damit das Leben in sozial schwachen Gegenden. Auch sie sind Vorbilder. Ihr Markenzeichen: der "Superstar" von Adidas. Für den deutschen Sporthersteller der Schlüssel zum amerikanischen Markt, für den Hip-Hop der Beginn vieler "Kollaborationen".

Heute beherrschen Sneaker das Straßenbild, sie finden sich an den Füßen von Topmanagern, Popstars und sind auch auf dem roten Teppich akzeptiert. Der Sportschuh wurde demokratisiert, sein Tragen allein hat kaum Aussagekraft mehr, jedenfalls keine eindeutige. Über die Jahre ist die Sprache vielschichtiger geworden, die Codes indifferenter, haben das Wissen und der Hype um einzelne Modelle zugenommen. Sammler erkennen, warum es sich lohnt, für manches Modell Beträge von mehreren Tausend Euro auszugeben. Und die internationalen Hipster, oft Popstars, bestimmen, wann aus einem Modell, das langweilig und veraltet wirkte, wieder ein tragbares oder gar begehrtes "Retro"-Piece wird. Das Museum für Kunst und Gewerbe, das sich seit einigen Jahren profiliert mit einem feinen Gespür für das kluge Aufbereiten von Themen, die eigentlich jeden interessieren, erzählt in der Ausstellung "Sneaker. Design für schnelle Füße" die Entwicklung vom Sportschuh zum Kultobjekt - mit etwa 120 Exponaten, 120 Plakaten und verschiedenen Videos.

Kurator Jürgen Döring beobachtet seit 20 Jahren intensiv die Entwicklung des Sportschuhs zum Designobjekt. Er kennt die kleinen Geschichten hinter den großen Kampagnen. Denn immer noch sind es die Giganten Adidas, Nike, Puma oder Reebok, die die Entwicklung maßgeblich prägen, auch wenn kleinere Marken Impulse und Trends setzen. Eines der ausgestellten Plakate wird einen illustrierten Totenkopf zeigen, gebaut aus einem Sportschuh. Die Idee stammt von dem Brasilianer Marcelo Schultz. Einen Auftrag hatte er anfangs nicht. Dennoch kaufte ihm der amerikanische Sporthersteller das Design ab und druckte es auf T-Shirts. "Es ist ein Highlight von vielen. Die Faszination besteht darin zu sehen, auf wie viele Ideen man am Ende trotz des engen Gestaltungsrahmens, den ein Schuh darstellt, doch kommt", sagt Jürgen Döring. Das teuerste ausgestellte Modell hat einen für Außenstehende schockierenden Wert von 8000 Euro. Ein "Air Max 1", unbenutzt - im Fachjargon: "box fresh", also mit Originalverpackung -, ist ein Sammlerstück. Die Neuauflage gibt es aktuell für rund 100 Euro im Sportfachhandel.

Wert hat, wie bei allen Sammelleidenschaften, was selten ist. Neben Vintage-Modellen schaffen limitierte und Sondereditionen Prestige. Der Sneaker wandelt sich vom Gebrauchsgegenstand zur Geldanlage. Kollaborationen von Nike mit bekannten Designern wie Raf Simons, Yōji Yamamoto und demnächst Riccardo Tisci, Chefdesigner von Givenchy führen dazu, dass sich vor den wenigen Läden, in denen die Schuhe erhältlich sind, lange Schlangen bilden. Wobei Wartelisten schon Monate im Vorfeld sortieren, wem man am "großen Tag" überhaupt Einlass gewährt. Es ist kein Wunder, dass ein großer Teil von ihnen Männer sind. Sneaker gehören für Männer zu den wenigen Modestücken, die sie emotional packen und wofür sie ohne mit der Wimper zu zucken aberwitzige Beträge zahlen. Denn hier gilt: Man(n) trägt nicht, er führt aus. Frauen tun das auch, aber die können ihren "Fetisch" alternativ auch auf Taschen projizieren. So nimmt man eben stundenlanges Schlangestehen ohne Murren in Kauf. Der Schuh für alle wird zum Imagefaktor für wenige.

Anprobieren streng verboten! Das ist der große Unterschied zur Mode, wo Getragenes keinen totalen Wertverlust erleidet. Das Fachwissen offenbart sich bei den Sammlern nicht etwa am Fuß, sondern an der heimischen Galerie, vormals Schuhregal. Wem das nicht genügt, der macht es wie Fußballstar Jérôme Boateng. Der verteilt seine Sammlung von etwa 700 Paaren inzwischen auf zwei Extrazimmer.

Anfang diesen Jahres fand das teuerste Paar Sneaker der Welt bei einer Wohltätigkeitsauktion für vier Millionen US-Dollar einen neuen Besitzer. Handgenäht und mit Diamanten bestückt, setzt sich der Schuh der Marke Bicion, designt von Dan Gamache, vergleichsweise laut in Szene. Als funkelnde Dekoration funktioniert er in jedem Falle. Die meisten Designs kommen deutlich unauffälliger daher und entsprechen damit schon viel eher dem Geschmack der typischen Sneaker-Liebhaber. Florian Braun vom Hamburger Mode-Conceptstore Uzwei geht sogar noch einen Schritt weiter: "Eine coole, modische Frau kauft keinen Fashion-Sneaker mehr. Sie bleibt bei den klassischen Sportmarken." Gemeint sind aktuell die neuen Versionen der Klassiker "Superstar" oder "Stan Smith", beide von Adidas. Trendsetter hätten Letzteren schon vor zwei Jahren für sich entdeckt.

Sondereditionen und Evergreens

Nun ist er bei der breiten Masse angekommen. Zeit für das nächste Trendmodell. "Wir tippen auf den Court Vantage", so Braun. Auch er wird dann in der großen "Sneaker-Wall" des Geschäfts in der Kaisergalerie stehen, die bunt gefüllt ist mit Klassikern und Sondereditionen der großen Labels (im nächsten Jahr soll es auch ein "Uzwei Sneaker" geben, in Zusammenarbeit mit Nike oder Adidas). Sammler und solche, die nur mal gucken wollten und dann doch ein Paar mitnehmen, treffen hier auch jetzt schon aufeinander. Und auf alte Bekannte. Von extrovertierten Sondereditionen abgesehen, wandeln sich die Evergreens häufig nur in Details. Aus dem Kautschuk für die Sohle wird Kunststoff, das Leder vielleicht durch eine vegane Alternative ersetzt, Farben orientieren sich an den aktuellen Trends. Einen "Superstar" - genau, der mit der Zehenkappe - können die meisten als solchen identifizieren. Seinen Sammlerwert nur wenige.

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