Den Polizisten vom Kriminaldauerdienst ist kein menschlicher Abgrund fremd. Sie sind die erste Eingreiftruppe der Kripo, zuständig für die schweren Verbrechen. Jeden Tag. Rund um die Uhr. "37 Grad" begleitet ein Team des KDD in Essen durch seinen aufreibenden Alltag.
Nicht an alles gewöhnt man sich
Die Schicht beginnt für Peter W. und seine Kollegin Jana L. wie so oft: mit einer Leiche. Ein Mann liegt schon länger in seiner Wohnung. Nachbarn haben den Geruch bemerkt und die Polizei gerufen. In einer Metropolregion wie Essen, mitten im Herzen des Ruhrgebiets, keine Seltenheit. Menschen sterben einsam, unbemerkt. "Natürlich lässt einen das nicht kalt. Aber man kann nicht jedes menschliche Schicksal an sich ranlassen. Sonst könnte man den Job nicht machen."
Der Job ist in diesem Fall, herauszufinden, ob ein Verbrechen vorliegen könnte. Dazu gehören eine Leichenschau und Ermittlungen in der Wohnung. "Wenn ich mal sterbe, dann möchte ich ja auch, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist und nachgeschaut wird", sagt Peter. Der Job ist bei einer solchen Leiche unangenehm, denn sie beginnt schon zu verwesen. "Aber daran gewöhnt man sich", sagt die zierliche Polizistin Jana. Woran man sich nicht gewöhnt: weinende Angehörige oder noch schlimmer - tote Kinder. Jana L. ist selbst gerade erst Mutter geworden. Peters Töchter sind schon erwachsen. Er ist ein Urgestein des KDD in Essen - seit 20 Jahren ist er auf der Kriminalwache. So lange halten es die meisten anderen nicht aus.
Die Polizisten vom Kriminaldauerdienst - kurz KDD - arbeiten dann, wenn die Kollegen in den Fachkommissariaten schlafen oder Freunde treffen. Immer dann, wenn die Todesursache unklar ist. Sie arbeiten am Wochenende, an Weihnachten, in der Nacht. Zu ihrem Job gehört die erste Tatortaufnahme, der so genannte "erste Angriff" nach einem schwereren Verbrechen: Spuren sichern, Zeugen befragen, Leichenschau. Aber längst nicht jedes Mal steckt ein Verbrechen dahinter. Der KDD soll Fremdverschulden ausschließen. Das Spektrum reicht von Mord über Suizid bis hin zum Unfalltod im Altenheim. In allen größeren Städten und Regionen gibt es einen solchen KDD.
Der nächste Einsatz: eine mutmaßliche Vergewaltigung. Immer ein schwieriger Fall, denn oft steht Aussage gegen Aussage. Sexualverbrechen, Einbruch, Brand, Vermisstenfälle, Todesermittlungen - tägliches Geschäft für die Frauen und Männer vom KDD in Essen. Sie sind zuständig für die Städte Essen und Mülheim, insgesamt 750.000 Menschen. "37 Grad" begleitet das Ermittlerteam in Essen durch seinen Alltag und ist bei Einsätzen dabei, die an die Grenze gehen. Die Zuschauer lernen dabei Polizisten kennen, für die der Job mehr Berufung als Beruf ist, jenseits aller Krimi-Klischees.
Wie viele andere auch lese ich gerne Kriminalromane und schaue Krimis im Fernsehen. Die Faszination mit dem Grauen und den Abgründen der Menschheit habe ich wohl gemein mit den meisten Deutschen. Nicht umsonst ist der "Tatort" am Sonntagabend immer noch ein Dauerbrenner und Pflichttermin für viele. Doch wie ist das für die Menschen, die täglich mit den realen Verbrechen zu tun haben? Als Filmemacherin habe ich das Privileg einen Einblick in die echte Polizeiarbeit zu bekommen und mit den Zuschauern zu teilen. Auch das übt für mich einen besonderen Reiz aus.
Im Rahmen einer anderen Dokumentation, in der es schwerpunktmäßig um Einbrüche ging, saß ich auf der Wache einer Kriminalpolizei und bekam mit, mit welcher Bandbreite der Verbrechen es der Kriminaldauerdienst zu tun hat. Die Polizisten sind der Bereitschaftsdienst der Kripo und haben es deshalb nicht nur mit einem Verbrechensfeld zu tun, sondern mit allem, was kriminalpolizeilich relevant ist. Besonders der Umgang mit Todesermittlungen hat mich beeindruckt. Für die Polizisten gehört es absolut zum Alltag, tote Menschen zu sehen, vom Senior, der einfach in seinem Bett stirbt, bis hin zu wirklich grausigen Suiziden oder - klar - Tötungsdelikten. Wie schaffen sie den Spagat zwischen Empathie und Routine? Wie stumpft man nicht total ab, wenn der Tod so sehr zum Alltagsgeschäft gehört? Wie schafft man es aber auch mit Angehörigen umzugehen und schlimme Bilder zu sehen, ohne selbst daran zu zerbrechen? Aus diesen Fragen ist dieser Film entstanden. Ich wollte einen möglichst authentischen Einblick in die Arbeit der Kriminalpolizei geben, jenseits der Klischees, die wir aus den Krimis kennen. Es war nicht so leicht, eine Dienststelle zu finden, die bereit war, über einen doch relativ umfangreichen Zeitraum ein Kamerateam mitzunehmen. Und auch nicht so leicht, ein Polizistenteam zu finden, das bereit war, einen so offenen Einblick zu geben und auch einen Blick ins Privatleben zuzulassen. Ich weiß nicht mehr, wie viele Anfragen ich in ganz Deutschland gestartet habe. Einige wenige waren bereit mitzumachen. Das Team in Essen - Jana Leiwen und Peter Weierstahl - hat sich als perfekte Wahl erwiesen. Ihnen beiden gebührt mein großer Dank und Respekt.