Einer der bekanntesten Underground-Musiker der jüngsten Bundesländer, der Keyboarder Flake von der Band Rammstein, hat unter dem Titel Der Tastenficker seine Erinnerungen vorgelegt. Flake heißt eigentlich Christian Lorenz, doch stotternd leidet sein Selbstbewusstsein und führte deshalb zwangsweise zu dem prägnanten, merkwürdigen Eigennamen. Mittlerweile können sich nur die Älteren noch erinnern, was es mit der DDR auf sich hatte, haben jedoch meist beim Stichwort Rammstein keine Ahnung, worum es geht. Im Umkehrschluss geben sich die jüngeren Fans jener Band beim Stichwort DDR ahnungslos - ein Teufelskreis für den Autor Flake, den er jedoch gelassen durchbricht, da er sich zu denen zählt, die da gelassen drüber stehen.
Flake gehört zu jenen stolzen Ostdeutschen, die selbstbewusst dem untergegangenen "Realsozialismus" nachtrauern. Sowas hat moralisch grundsätzlich erstmal ähnlich viel Gewicht wie die Kommentare dieser nervigen Nachkriegsrentner, unter Hitler wäre "nicht alles schlecht" gewesen - Stichwort "Autobahn". Doch ist die DDR auch nicht unbedingt vergleichbar mit dem NS-Staat; zwar nicht "besser", aber zumindest sind beide Diktaturen nicht gleich zu setzen.
Trotzdem habe ich Flake immer gemocht. Kein Wunder: Nerds mögen sich meistens. Wenn auch, zugegeben, politisch trotz persönlicher Sympathie aus erwähnten Gründen so manche Bauchschmerzen zu spüren waren. Doch steckt kein Trotz dahinter, sondern es hat eher etwas mit einer Grundehrlichkeit zu tun, wenn Flake beschreibt, dass es ihm "drüben" an nichts fehlte und es ihm grundsätzlich erstmal einfach nur gut ging.
Natürlich gab es viele Gleichaltrige, die es im sozialistischen Alltag wesentlich schwerer hatten als er, doch versucht er mit keiner Zeile, jenes Regime zu verteidigen. Er beschreibt nur sich und seine Situation. Wenn also irgendwo auf seinem Weg ein Hinweisschild davor warnte, weiterzugehen, ansonsten erschossen zu werden, ging Flake eben nicht weiter und drehte um. Widerstand kann schließlich auch zwanghaft werden.
Zwischen den Zeilen hingegen gelingt es Flake jedoch nicht, mit Kritik ganz zu sparen. Als irgendwie ungerecht empfand er es nämlich schon, den Traum eines Medizinstudiums nicht verfolgen zu können; dazu musste man sich nämlich für den Dienst in der Nationalen Volksarmee verpflichten. So richtige Probleme waren dies aber auch noch nicht. Auf dem Schulhof wird der arme Kerl regelmäßig von irgendwelchen Ärschen (vermutlich privilegiert) in die Mülltonne verfrachtet, was ihn offenbar provoziert: In humoriger Tradition eines Woody Allen klettert er künftig von selbst hinein, sobald sich die Rüpel nähern.
Viel schlimmer erscheint doch, dass Flakes Mutter die gerade entdeckten Rolling Stones genauso toll fand, wie er selbst. Deshalb wechselte der Junge zu den wesentlich härteren Dead Kennedys, entdeckte den Punk und ebnete sich so seinen Weg in den kulturellen Untergrund. Er entdeckte die langen Sommernächte "auf der Insel (Hiddensee) hinter der Insel (Rügen) vor der Insel (DDR)" mit unvergessenen Legenden der DDR (Aljoscha Rompe), ersten Banderfahrungen auf dem Höhepunkt des Dilettantismus (Feeling B) und versucht im Suff verschüttete Erinnerungen sichtbar zu machen.
Erst 1994, Flake befand sich immer noch im höchst traumatisierten Zustand der Nachwendezeit, stößt der "Tastenficker" schließlich, wenn auch eher widerwillig, zur aufstrebenden Rockband Rammstein - über die jedoch ansonsten kaum die Rede ist. Das Schöne an seinen Erinnerungen ist die Tatsache, dass Flake ziemlich demütig plaudert und dabei sogar verständnisvoll mit neidvollen Ex-Mitstreitern verfährt, die statt Improvisation auf Fleiß setzten, auf Musikhochschulen landeten und heute trotzdem weder über viel Geld, noch viele Fans verfügen.
Und irgendwie, Literaten mögen mir verzeihen, erinnert Flake in seinen Selbstreflektionen an den jungen Walter Kempowski. Kempowski, dem ebenfalls politische Naivität und Verniedlichung politischer Verhältnisse vorgeworfen wurde, ließ sich als heranwachsender Rostocker im Dritten Reich ähnlich im Leben treiben, lebte in den musikalischen Welten des Jazz und Swing und spazierte unauffällig um die Zwänge der Hitlerjugend und Wehrmacht herum.
Ein Buch, welches sich weniger für eingefleischte Rammstein-Fans eignet, aber eine ideale Lektüre für die Flakes dieser Republik ist. Für jene, die wissen wie es in Mülleimern aussieht und trotzdem keine Lust auf Heldenrollen haben. Und für "Wessis", die sich nicht vorstellen wollen, von "Ossis" lernen zu können.
Flake: Der Tastenficker. An was ich mich so erinnern kann, Schwarzkopf & Schwarzkopf, März 2015, 392 Seiten