Denn das neue Museum an der Trave hat internationale Klasse und ist zweifellos gelungen. Alleine der Bau! Nach vier langen Jahren ist nicht der befürchtete Fremdkörper entstanden, sondern ein backsteinerner Koloss, der sich angenehm, eines Schiffskörpers gleich, in den Burgwall eingefügt hat. Ein- und Ausgänge sind über eine große Freitreppe erreichbar, die von der Untertrave hinauf zum Burgkloster führt und den Museumsbau symmetrisch durchschneidet. Von oben bietet sich ein Blick über den alten Hansehafen, von ganz oben bis zum Anleger der Lisa, dem Lübecker Hanseschiff.
Drinnen geht es zwangsläufig am Museumsshop und der Gastronomie vorbei zu den Kassen, bis es dann endlich hinter einer großen Tür losgeht. Ein offener Fahrstuhl führt einige Meter in die Tiefe, in den "Kaltraum", der einen Querschnitt durch den Burghügel und eine Schatzkammer für Archäologen darstellte. Und der sich den Besuchern so präsentiert, als ob die Archäologen diesen geschichtsträchtigen Ort erst eben verlassen hätten. Für rund 50 Millionen Euro wurde innerhalb von drei Jahren ein Megabau in diesen Hügel hinein gebaut, um dem Synonym der "Hanse" gerecht zu werden. Und um historisch der europäischen Idee Tribut zu zollen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es anlässlich der "inoffiziellen" Eröffnungsfeier ähnlich formuliert auf den Punkt brachte. Die Funde, die im Burghügel entdeckt wurden, überraschten jedoch selbst die Wissenschaftler. Die ältesten Exponate werden auf die Zeit vor der Stadtgründung 1143, die mit dem Bau der Burg auf Buku ihren Lauf nahm, datiert.
50 Millionen Euro, die - wie Kritiker und Nörgler anmerkten - an anderen Stellen der Stadt nötiger gewesen wären. Die Hansestadt Lübeck gab allerdings nur wenig mehr als das Grundstück und den geringen Beitrag von 1,5 Millionen Euro für infrastrukturelle Maßnahmen der unmittelbaren Umgebung. Das Museum selbst finanzierte die Lübecker Possehlstiftung, eine geringen Beitrag gab die Europäische Union dazu. So entstand ein zentrales Museum zur Hanse aus Geldern, die ein Lübecker Kaufmann einst in einer gemeinnützigen Stiftung anlegte, womit sich für viele Lübecker ein Kreis schließt.
Gleich hinter dem Kaltraum beginnt die Geschichte der Hanse mit einem maßstabsgetreuen Diorama einer denkwürdigen Szene an der Newa vor Nowgorod. Dort sollen sich erstmals Kaufleute zusammengetan haben, um selbstbewusster Handeln zu können. Dieser "Skra", der ersten bekannten Ordnung hansischer Kaufleute, der im Schilf vor Nowgorod geschlossen worden sei, wird als Beginn der Hanse gesehen. Die folgenden Räume, die durch schwere Türen getrennt sind, beschäftigen sich mit dem Aufstieg und dem Fall der Hanse, es geht um Handelswege, Warenumschlag, Hansetage, kriegerische Auseinandersetzungen und Handelseinbrüche durch die Pestjahre, schließlich der Fall der Hanse aus Überheblichkeit.
Das museale Erlebnis beschränkt sich dabei aber keinesfalls auf die Ausstellung von Artefakten und Exponaten. Durch virtuelle Erlebnisse lassen sich die Besucher bilden und ansprechen. So stehen an den meisten Stationen feste Infopunkte bereit, die mit der eigenen Eintrittskarte aktiviert werden und über Kopfhörer Audioinformationen abgeben - in den Sprachen der Besucher, wahlweise in Deutsch, Englisch, Russisch und Schwedisch. Das Hansemuseum ist nicht nur ein Haus für die Lübecker, soviel wird schnell klar, sondern eine Stätte für die historische Identität aller Europäer. Und trotzdem wurde es für Lübecker Verhältnisse eine Elbphilharmonie - ursprünglich sollte das Hansemuseum 2014 öffnen; dafür wuchsen die Baukosten auf das Doppelte - was jedoch an besagten Funden lag.
Bürgermeister Bernd Saxe jedenfalls freute sich sichtlich, schließlich würde man "nicht jeden Tag ein Museum für 50 Millionen Euro geschenkt bekommen". Doch ist es nicht Saxes Museum. Eigentlich gehört es, natürlich neben den obligatorischen Besuchern, Professor Rolf Hammel-Kiesow, dem "spiritus rector" der deutschen Hanse-Forschung. Ein weiterer "Vater" des Hauses ist ohne Zweifel Dr. Helmuth Pfeifer, der ehemalige Chef der Possehl-Stiftung, der dieses Projekt gegen zahlreiche Widerstände vorantrieb und mit hanseatischem Verstand für dessen Realisierung warb. Endlich ist ein längst überfälliges Haus für die hanseatische Geschichte unserer Stadt entstanden, das jeden internationalen Vergleich standhält.
Bleibt nur als bittere Note der gewichtige Eintrittspreis. Viele europäische Nachbarn haben längst erkannt, durch freien Eintritt die Attraktivität der Museen merklich zu steigern. Deshalb vielleicht sind einige Lübecker Bürger trotzdem sauer und der Eröffnung ferngeblieben. Denn trotz einer kommunalen Beteiligung an verbundene Infrastrukturmaßnahmen in Höhe von 1,5 Millionen Euro, gibt es keinen freien oder vergünstigten Eintritt - nicht einmal zur Eröffnung! Eine schallende Ohrfeige für den Steuerzahler.
Die Lübecker sollten sich aber freuen, denn endlich verfügt die Stadt über das längst überfällige Hansemuseum - und zwar eines mit internationaler Klasse. Nicht nur das: Durch die räumliche Zusammenlegung des Hansemuseums mit dem Burgkloster ist ein neuer, öffentlicher Raum entstanden, ein neuer Aussichtspunkt und ein attraktiver Verbindungsweg zwischen Hafen und Altstadt.
Foto 2 und 3: (c) Europäisches Hansemuseum/Thomas Radbruch