Erstmals posieren Frauen angezogen für den Kult-Kalender. Das macht noch kein neues Frauenbild.
Mit dem diesjährigen Kalender wollte der italienische Reifenhersteller Pirelli alles anders machen. "Sie schlugen vor, bedeutende Frauen zu fotografieren, die sich ausgezeichnet haben", erklärte die federführende Fotografin Annie Leibovitz. Die Frauen habe sie "ohne irgendwelche Inszenierungen" zeigen wollen. In den Medien brach schnell vorauseilende Begeisterung aus. Die New York Times sah im diesjährigen Kalender gar einen " cultural shift". Wer die Bilder betrachtet, sieht davon allerdings wenig.
Der Pirelli-Kalender ist noch immer das, was er war: Eine Sammlung von Hochglanzfotos schöner Frauen, die zeitgemäß in Szene gesetzt werden. Die dreizehn Porträts des neuen Kalenders idealisieren nach wie vor die Abgebildete. Neu ist zwar, dass die Frauen diesmal nicht zwingend nackt posieren. Doch das allein macht noch kein neues Frauenbild, geschweige denn einen Kulturwandel. Nacktheit und Selbstbestimmtheit haben sich auch schon vor zwanzig Jahren nicht gegenseitig ausgeschlossen. Die Supermodels der ersten Stunde haben sich ebenso aus freien Stücken für das Shooting entschieden wie heute Amy Schumer und Natalja Wodjanowa.
Von wegen Revolution: Der Sexismus, der sich in diesem Kalender indirekt fortsetzt, liegt gerade darin, dass sogar prominenten Frauen immer noch nicht zugetraut wird, über ihr öffentliches Bild auch dann zu verfügen, wenn sie nackt sind.
Seinen Ursprüngen als schmuddeliger Pin-up-Kalender für Autowerkstätten ist der Pirelli ohnehin schon seit Jahrzehnten entwachsen. Spätestens seit in den neunziger Jahren die damals gefeierten Supermodels posierten, galt er als geschmackvolles Wohnaccessoire, das nur einem ausgewählten Kreis etablierter Geschäftspartner zugänglich ist. Die Schwarzmarktpreise steigern sich in horrende Höhen.
Leibovitz' Äußerung, dieses Mal "bedeutende Frauen" porträtiert zu haben, ist noch dazu durchaus verwirrend. Zugegeben, Patti Smith oder Tavi Gevinson sind nicht wegen ihres Körpers bekannt geworden. Aber ist eine Frau etwa nur bedeutend, wenn ihr Äußeres keine Rolle spielt? Waren Schauspielerinnen wie Sophia Loren oder die Tänzerinnen der Mark Morris Dance Group, die die Fotografin im Jahr 2000 für Pirelli abbildete, kulturell etwa unbedeutend? Dass Frauen sich auch anders als durch ihren Körper hervortun können, weiß also selbst der Pirelli-Kalender seit mindestens 15 Jahren.
Die mediale Illusion, dass die Frauen vor der Kamera diesmal laut Leibovitz "genau so erscheinen, wie sie wirklich sind", entspricht der typischen Arbeitsweise der Fotografin. Ihre Bilder zeigen die fotografierten Personen stets so, wie die sich selbst sehen - eine aus freien Stücken eingenommene Pose, die Leibovitz' Kamera nicht kommentiert. Das gilt auch für die Fotos des Pirelli-Kalenders: Amy Schumer gibt mit High Heels, Spitzenschlüpfer und Kaffeebecher die patente Kichererbse, Patti Smith steht aufrecht und vollständig bekleidet da und legt in ihren Blick jene Entschlossenheit, die sonst in ihren Songs zu finden ist.
Das self-empowerment der Frauen besteht nun also offenbar darin, dass sie ihr mediales Image reproduzieren dürfen. Das ist aber kein Feminismus, sondern eine Selbstverständlichkeit. Eine Vielfalt weiblicher Rollen findet nur statt, indem verschiedene Frauen-Stereotype bedient werden: Serena Willams inszeniert sich als amazonenhafte Hünin, die chinesische Schauspielerin Yao Chen wirkt schüchtern und mädchenhaft, Natalja Wodjanowa wird einmal mehr zum Symbolbild der russischen Dreifaltigkeit aus Mutter, Mädchen und Heiliger. Neu ist das alles wirklich nicht. Eine echte Innovation wäre es, wenn Pirelli seinen Kalender mit Autoreifen bebildern würde.