Seit neuestem gibt es eine CRISPR-Kur, die aktiv den Prozess des körperlichen Alterns umkehrt, das heißt, den Nutzer jünger macht und seinen Alterstod verhindert. Dabei kommen Yamanaka-Faktoren zum Einsatz, Gene, die bisher zwar nobelpreisprämiert waren, aber nicht im menschlichen Organismus in vivo kontrolliert werden konnten. Ausgerechnet eine finnische Künstlerin und Designerin, Emilia Tikka, hat das Unmögliche am hochangesehenen Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin vollbracht. Unter Verwendung des CRISPR-Verfahrens, mit dem Forscher derzeit weltweit an der Veränderung der menschlichen Genetik hantieren, hat sie einen Inhalator entwickelt, der die Genaktivierung ermöglicht. Das Gerät sieht aus, als käme es von Apple, ist schlicht und schön. Bei täglicher Verwendung verjüngt sich so der menschliche Körper und kann ohne große Nebeneffekte im besten Alter gehalten werden.
Zur Einführung hat Tikka das Gerät im ersten Stockwerk des Instituts aufgebahrt und dazu dreizehn Fotografien aufgehängt, die das Zusammenleben eines Pärchens in einer nahen, asketischen Zukunft zeigen. Der Mann unterzieht sich der täglichen CRISPR-Kur, die Frau verzichtet darauf. Sie sitzen am Esstisch, Hand in Hand, sie sieht dem Ende entgegen, seines scheint niemals einzutreten.
So oder so ähnlich könnte es in naher Zukunft aussehen. Die Wissenschaft ist fast so weit. Auch der Inhalator könnte echt sein, jetzt ist er noch unvollendet, abstrakt, auch wenn das Szenario und die Geschichte darum auf echter Hightech-Wissenschaft am Institut beruhen. Tikka bezeichnet ihre Arbeit mit Film, Bildern und Objekten als spekulatives Design, eine Praxis zwischen Kunst, Wissenschaft und Gestaltung, die Auseinandersetzung ermöglichen soll. In einer Zeit, da der Diskurs um Technik und Gesellschaft nur noch zwischen Dystopie und Allmachtsphantasie zu oszillieren scheint, verspricht das spekulative Design eine Art Mittelweg. Man will sich heranpirschen an jene nahen Zukünfte, die in abstrakter Form unzugänglich sind, aber auch nicht zu konkret werden, Lösungen vorwegnehmen. Denn hier geht es um jene fundamentalen Fragen, die durch die biotechnische Wende um die Entschlüsselung der menschlichen DNA und die Arbeit an der menschlichen Keimbahn aufgerufen werden. Das sind heutige Fragen, die uns morgen bereits mit neuen Wirklichkeiten konfrontieren werden. Wir leben in einem Zeitalter, in dem nicht mehr nur geforscht wird, sondern Erkenntnis auch genutzt wird, um aktiv in die Welt einzugreifen. Wir richten nicht mehr nur Brüche, wir verändern Knochen.
An den Gemüsetheken japanischer Supermärkte finden sich bereits zahlreiche genetisch veränderte Gemüsearten, die ohne Deklaration verkauft werden. Die Modifikation ist am Gemüse nicht einmal nachweisbar. Ohne es zu wissen, könnten wir bereits veränderte Nahrung konsumiert haben. Das bedeutet schon für unsere Gegenwart, das Wissenschaftler und an Gewinnmaximierung orientierte Unternehmen nach eigenem Dafürhalten und ohne Verantwortung für etwaige Konsequenzen an unserer Nahrungskette herumgestalten und designen. Spätfolgen sind nicht kontrollierbar. Man kann von einer neuen, rechtsfreien Zone sprechen.
Mit solchen Wirklichkeiten und nahen Zukünften ohne kurzatmige Skandalisierung umzugehen ist kompliziert. Auch wenn in öffentlichen Debatten die Veränderungen am menschlichen Genom sowie am Nahrungsmittel bereits thematisiert wurden, bleibt die Diskussion eine abstrakte Angelegenheit. Der Mangel an lebensnahen Erzählungen verhindert eine zivilgesellschaftliche Debatte.
Hier setzt Emilia Tikka an. Sie versucht mit spekulativem Design greifbar zu machen, was sich unmittelbar anbahnt. Dabei adaptiert sie die klassische Idee von Design, der gestalterischen Entwicklung von Alltagsobjekten, und verknüpft diese mit wissenschaftlichem Zeitgeist und philosophischer Reflexion. In diesem Fall ist das der Inhalator mit CRISPR, eine Liebesgeschichte und eine Entscheidung, buchstäblich fürs Leben. Alltagsgegenstände sind gute Träger für Gesellschaftsbilder; leicht abstrahiert, können sie in ihrer Vertrautheit Relevanz und Vorstellbarkeit erzeugen. Führt diese Kenntnis dann auf einen Konflikt zu, kann dieser nicht nur intellektuell, sondern auch auf affektiver Ebene fruchtbar sein.
Bei der Verankerung dieser Objekte in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung arbeitet sie mit ihrem Lebensgefährten Martin Müller zusammen, der als Kulturwissenschaftler am Exzellenzcluster „Matters of Activity" der Humboldt-Universität zu Berlin forscht. Für beide liegt in der Fusion von Biologie und Ingenieurwissenschaft, von Forschung und Gestaltung die größte Herausforderung für die Gegenwart. Gerade im Diskurs um CRISPR werde das Phantasma der Allkonstruierbarkeit sichtbar. Denn eigentlich besitze das Leben eine Eigensinnigkeit, die nicht einfach so zerlegt und neu konstruiert werden könne. Trotzdem setze eine zeitgenössische Biopolitik von Peking bis Los Angeles genau auf diese Ideologie.
Beide sind begeisterte Anhänger von Donna Harraways Motto „staying with the trouble", demzufolge wir vor allem neue Erzählungen brauchen, um aus den ewig wiederholten Denkstrukturen auszubrechen. Nachdem wir unglaubliche Energie investiert hätten, um uns die Erde untertan zu machen, komme uns paradoxerweise die Summe unserer Handlungen jetzt als katastrophischer Weltzustand entgegen. An dem Punkt, an dem die Klimasysteme im Begriff seien zu kippen, bräuchten wir neue Erzählungen einer gemeinsamen planetarischen Zukunft. Diese Erzählung müsse konträr zur tradierten Idee der Beherrschung der materiellen Natur durch den menschlichen Geist oder zu den modernistischen Heilsversprechen technischer Innovationskraft laufen.
Ein interventionistischer Ansatz, wie im Falle der Kunst von Emilia Tikka, kann die Fallstricke jener bisherigen Erzählungen offenlegen und für eine gesellschaftliche Problematisierung greifbar machen. Über eine affektive Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben entsteht eine andere Art von Einsicht. Man kommt zu der Frage, welche Zukünfte für uns wünschenswert sind und welche nicht. In Tikkas Werk „Aeon", in dem sich ein Paar für unterschiedliche Lebenswege entscheidet, muss der Betrachtende bestimmen, wie sie oder er selbst zu leben beabsichtigt. Möchte man irgendwann alt und von den Erfahrungen eines vollen Lebens geprägt, Abschied nehmen oder fortlaufend leben, am Zenit der eigenen Lebenskraft, wo kein Tag sich vom anderen unterscheidet? Der Clou besteht darin, dass die Betrachtenden auf sich selbst zurückgeworfen werden. Dabei nimmt die spekulative Designerin keine Antworten vorweg. Das von ihr konstruierte Szenario ist nicht dystopisch, höchstens finnisch düster. Sie habe kein Interesse, Wertendes herzustellen, sondern wolle Gesprächsanlässe schaffen.
Auf der Suche nach neuen Erzählungen reisen Tikka und Müller als Nächstes nach Japan. Sie besuchen dort die Labore des Nobelpreisträgers Shinya Yamanaka. Außerdem wollen sie einem Mythos nachgehen. In japanischen Gewässern lebt eine unsterbliche Qualle, die durch permanente eigengeschlechtliche Reproduktion immer wieder dem Tod entgeht. Wie ihr Design sich auf das menschliche Dasein auswirkt, wird vielleicht das nächste Projekt der beiden Scientifisten sein.
Aeon. Trajectories of longevity and CRISPR. Im Berlin Institute for Medical Systems Biology, Hannoversche Str. 28, Berlin. Das Projekt kann bis Ende September auf Anfrage besucht werden, wandert anschließend weiter nach Cambridge und kehrt ab dem 4. November wieder zurück nach Berlin.