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Das soll in der Tatnacht im Kreis Kusel wirklich passiert sein

picture-alliance / Reportdienste picture alliance/dpa/dpa-Pool | Uwe Anspach

Die Sommerpause endet. Am Donnerstag geht der Prozess um die mutmaßlichen Polizistenmorde im Kreis Kusel weiter. So stellen Staatsanwaltschaft Kaiserslautern und der Hauptangeklagte die Tatnacht dar.


Seit dem 21. Juni wird dem Hauptangeklagten Andreas S. der Prozess gemacht. Laut Staatsanwaltschaft soll er verantwortlich für den Tod zweier Polizeibeamter Ende Januar im Kreis Kusel sein.


Zehn Prozesstage waren es bislang, in denen viele Zeuginnen und Zeugen vor dem Landgericht Kaiserslautern ausgesagt haben. Darunter Polizeibeamte der Schutz- und Kriminalpolizei, ebenso wie Jäger, Forstmitarbeiter, Waffenhändler und weitere Weggefährten von Andreas S.


Während er sich rege am Prozess beteiligt, schweigt sein mutmaßlicher Komplize, der Mitangeklagte Florian V. Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern stützt sich bei ihrer Anklage auf die Aussagen von V. aus der polizeilichen Vernehmung.


SWR Chronologie der Ereignisse: Die Minuten vor den mutmaßlichen Morden

Drei Streifen der Polizeiinspektion Kusel sollen in den frühen Morgenstunden des 31. Januar unterwegs gewesen sein. Eine davon sei die der getöteten Polizisten gewesen. Die Beamten hätten eine Einbruchsserie rund um Ulmet im Kreis Kusel aufklären wollen. In Absprache mit den anderen waren die Polizistin und ihr Kollege in einem VW Tiguan, einem Zivilfahrzeug der Polizei unterwegs, um unerkannt zu bleiben.


Alle drei Streifen seien unmittelbar nacheinander losgefahren. Ein Polizist im Zeugenstand erinnert sich, dass üblicherweise der 29-jährige Oberkommissar hinter dem Steuer gesessen habe und die 24-jährige Polizeianwärterin auf dem Beifahrersitz. Ein Polizist der anderen Streife gibt an, gegen vier Uhr am Morgen schon einmal an der Kreisstraße 22 bei Ulmet vorbeigefahren zu sein. Dort, wo wenig später die Tat passiert ist. Dabei sei ihm allerdings nichts aufgefallen.


Die Angeklagten sollen im Kreis Kusel gewildert haben

Währenddessen sollen die beiden Angeklagten bereits rund um den späteren Tatort unterwegs gewesen sein, wohl um zu wildern. Der Hauptangeklagte Andreas S. äußerte sich während des Prozesses zur Tatnacht und schildert dabei ausführlich seine Version. Er bestätigt, in dieser Nacht mit dem Mitangeklagten Florian V. unterwegs gewesen zu sein, um zu jagen. Um halb vier sollen beide eine Pause gemacht haben.


Florian V. habe laut S. eine Zigarette geraucht und eine Tablette, mutmaßlich Amphetamine, genommen: "Wenn er die genommen hat, dann ging's aufwärts körperlich. Er hatte ja auch schon viel geschafft, die Viecher angeschleppt", erklärt Andreas S. dem Gericht in Bezug auf das erlegte Wild. Dann seien die beiden die Straße im Kreis Kusel hoch und runter gefahren, auf der Suche nach weiterem Wild. Etwa 300 Meter vor Mayweilerhof habe Florian V. Andreas S. auf zwei Rehe auf dem Feld aufmerksam gemacht, berichtet der Hauptangeklagte weiter. Also habe er angehalten und auf beide geschossen. V. habe das erlegte Wild dann eingesammelt.


Das Ende der Jagd: Andreas S. soll ein letztes Wildschwein erlegt haben

Andreas S. erzählt über das Ende ihrer Jagd in der Tatnacht, dass er gerade ein letztes Wildschwein aus dem Auto heraus geschossen habe. Die Ermittler hatten das erlegte Tier auch tatsächlich am Tatort gefunden. Sein Jagd-Komplize Florian V., schildert der Hauptangeklagte weiter, sei dann aus dem Wagen gestiegen, um es zu holen. V. habe dabei laut S. eine Schrotflinte mitgenommen, um sich vor dem Wildschwein zu schützen, da es womöglich noch leben könnte.


Dieser Aussage von Andreas S. widerspricht die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern. Ihre Ermittlungen hätten ergeben, dass einzig der Hauptangeklagte bewaffnet gewesen sein muss, sowohl mit einer Schrotflinte als auch mit einem Jagdgewehr. Demnach soll sich V., so die Staatsanwaltschaft weiter, in der Böschung versteckt haben, als auf der Kreisstraße plötzlich Scheinwerfer zu sehen waren. Das Auto der getöteten Polizisten kam nach der Aussage eines Polizisten aus Mayweilerhof und fuhr in Richtung Ulmet.


4:20 Uhr am 31. Januar: Die Fahrzeuge begegnen sich

Andreas S. behauptet gegenüber dem Gericht, der Wagen habe auf der Gegenfahrbahn in Höhe der Fahrertür seines Autos gestoppt, allerdings so dicht, dass er nicht habe aussteigen können. Dem widerspricht allerdings die Aussage einer Polizistin, die den Tatort rekonstruiert hatte. Demnach seien beide Fahrzeuge gerade so weit voneinander entfernt gewesen, dass die Fahrertür von S. noch hätte aufgehen müssen.


Nach Aussage von Andreas S. verlangte anschließend der Polizeibeamte die Fahrzeugpapiere und den Führerschein. Den Führerschein habe S. in seinem Geldbeutel gehabt. Als er ihn dem Polizisten gegeben habe, sei er darauf bedacht gewesen, währenddessen die neben ihm liegende Waffe abzudecken.


Während S. nach eigener Aussage weiter nach seinen Fahrzeugpapieren gesucht habe, soll der Polizist ihn gefragt haben: "Sind Sie der Herr S.? Der Herr Andreas S.?" Der Hauptangeklagte will die Frage bejaht haben. Daraufhin habe der Polizist nachgefragt, wo sein "zweiter Mann" gerade sei. S. soll ihn daraufhin zu sich gerufen haben. Er berichtet weiter, einen "intensiven Blick" mit dem Polizisten getauscht zu haben. Der Hauptangeklagte habe sich in diesem Augenblick ertappt gefühlt.


Polizist spricht in Funkspruch von "zwei dubiosen Personen"

Kurz danach soll der Polizist einen ersten Funkspruch abgegeben haben. Dieser wird während des Prozesses im Gerichtssaal abgespielt. Darin spricht der Polizist von "zwei dubiosen Personen", die "den ganzen Kofferraum voller Wildtiere" haben. Er ging in seinem Funkspruch von Wilderei aus. Das will auch der Mitangeklagte Florian V. aus seinem Versteck in der Böschung heraus gehört haben. Zumindest berichtet das eine Polizeibeamtin im Prozess, die V. nach der Tat vernommen hatte.


Wenige Sekunden nach dem ersten Funkspruch sei der erste Schuss gefallen, so die Zeugin weiter. V. habe gesagt, er habe in diesem Moment weder Andreas S. noch den Polizisten gesehen. Die junge Polizistin habe dagegen sichtbar vor einem der Fahrzeuge gestanden. Plötzlich sei sie mit voller Wucht umgefallen. Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern schreibt diesen ersten Schuss der Schrotflinte von Andreas S. zu. Demnach habe ihn S. "überraschend" aus kurzer Distanz auf den Kopf der Polizistin abgegeben.


Andreas S. will nicht auf Polizistin geschossen haben

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass S. glaubte, er habe die junge Frau erschossen. Der Pathologe, der die Leiche der 24-Jährigen untersucht hatte, erklärt aber, dass sie zwar zu Boden gegangen, aber nicht sofort tot gewesen sei. Allerdings sei sie zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. Andreas S. beschreibt die Situation anders. Er will ein "Bumm, Bumm" gehört haben, während er noch dabei gewesen sei, seinen Fahrzeugschein zu suchen. Dann sei geschrien worden. Auf die Polizistin habe er aber nicht geschossen.


Zweiter Funkspruch: "Die schießen, Hilfe"

Auch der zweite Funkspruch des Polizisten, der nach dem ersten Schuss abgegeben wurde, ist in der Verhandlung zu hören: "Die schießen, die schießen, kommt schnell, Ulmet, Hilfe!" Das Atmen des Polizisten ist dabei deutlich zu hören. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es hierbei einen zweiten Schuss aus der Schrotflinte gegeben hat. Andreas S. soll diesen abgegeben haben. Die Schrotkugeln trafen den Polizisten am Gesäß. Dieser soll zur Verteidigung mit seiner Dienstpistole geschossen haben.


Zwischen den beiden soll dann ein Feuergefecht ausgebrochen sein. Ein Anwohner erklärt bei der Verhandlung, dadurch wach geworden zu sein. Er habe Schreie und Rufe gehört und verstanden, wie jemand "bleib stehen" gerufen habe. Ein anderer Anwohner beschreibt den Schusswechsel "wie eine Feuerwerksbatterie". Laut Staatsanwaltschaft soll S. zum Jagdgewehr gegriffen und dreimal auf den Polizisten geschossen haben. Der letzte Schuss soll ihn tödlich am Kopf getroffen haben.


Wurde Hauptangeklagter S. zuerst beschossen?

Diese unübersichtliche Situation schildert auch der Hauptangeklagte selbst. Allerdings gibt er an, dass er in seinem Wagen zuerst beschossen wurde. Er habe dann noch im Auto sitzend nach dem Jagdgewehr zwischen den Sitzen gegriffen, eine neue Patrone eingelegt und hinter der Beifahrertür im Graben Schutz gesucht. Dabei will er immer wieder laut "hör auf mit dem Schießen" gerufen haben.


Weil die Schüsse aber nicht aufgehört hätten, sei er über die Fahrbahn in Richtung Wiese gerannt. Dabei habe er weiter auf ein Mündungsfeuer geschossen. Erst nach dem dritten Treffer auf seinen "Gegner" will S. erkannt haben, dass vor ihm auf dem Boden ein Polizist lag. Er habe zuvor aber gehört, wie seine drei abgegebenen Schüsse das Ziel trafen.


Andreas S. soll Polizistin durchsucht haben

Dann sei S. zum Auto zurückgekehrt. Er sagt, er sei aufgewühlt gewesen. Sein Komplize sei ihm entgegengekommen, die Schrotflinte soll Florian V. in der Version des Hauptangeklagten noch in der Hand gehabt haben. Nach einer lauten Auseinandersetzung habe S. die auf dem Boden liegende Polizistin durchsucht, um seine Papiere zu finden.

Das bestätigt auch eine Biologin im Prozess, die DNA-Spuren am Tatort untersucht hatte und tatsächlich Spuren des Hauptangeklagten fand und zwar an der Brusttasche der Polizistin. Die Staatsanwaltschaft geht ebenfalls davon aus, dass S. die Frau durchsucht haben muss.

Letzter Schuss aus der Schrotflinte: Die Polizeianwärterin stirbt

Beim Durchsuchen der Polizistin soll S. bemerkt haben, dass sie noch lebt, so die Ermittler weiter. Dann soll er ein letztes Mal mit der Schrotflinte auf den Kopf der Frau geschossen haben. Andreas S. bestreitet das hingegen. Er gibt an, er habe stattdessen fliehen wollen. Deshalb habe er seinen Wagen gewendet. Florian V. habe währenddessen am Tatort gewartet.


Als S. dann wieder vorfuhr, um seinen Komplizen einzusammeln, habe er V. vor der Polizistin stehen sehen. Er habe dann einen lauten Schuss aus der Schrotflinte gehört: "Dann bin ich ausgestiegen, hab' dem Florian die Schrotflinte aus der Hand gerissen und hab ihn auf den Beifahrersitz gesetzt."


Verstärkung trifft am Tatort ein

Zwölf Minuten nach der Tat treffen die beiden anderen Streifen der Polizei Kusel am Tatort ein. Diese Polizeibeamten sagen ebenfalls vor Gericht aus. Demnach seien ihre beiden Kollegen bereits tot gewesen. Sie hätten "massive Verletzungen am Kopf aufgewiesen". Das Gesicht der Polizistin soll nicht mehr erkennbar gewesen sein, das Blut "floss die Straße herunter". Die Zeugen sprechen vor Gericht von einer "beklemmenden" Situation.

Am 11. August geht der Prozess weiter. Dabei gilt es noch viele Fragen zu klären, wie zum Beispiel: Wer hat von welcher Position mit welcher Waffe geschossen? Wer schoss zuerst? War es Notwehr oder doch kaltblütiger Mord? Das Landgericht Kaiserslautern hat Verhandlungstage bis November angesetzt.

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