Jana Werner

Autorin und Moderatorin, Hamburg

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Hamburg: Bundestagsabgeordneter Weinberg wird CDU-Spitzenkandidat - WELT

Hamburg CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg

„Einer der wenigen Geradlinigen"

| Lesedauer: 4 Minuten

Die Entscheidung ist gefallen: Der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg führt die Hamburger CDU in den Bürgerschaftswahlkampf 2020. Damit geht eine lange Suche der angeschlagenen Christdemokraten zu Ende.

Ein Lückenbüßer ist jemand, so beschreibt es der Duden, der für den eigentlich Ausersehenen als Ersatz angefordert wird. Jemand, der in Ermangelung von Besserem oder Geeigneterem für etwas verwendet wird. Böse Zungen behaupten, dass der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg nun genau diese Rolle übernimmt, wenn er als Spitzenkandidat der CDU in den Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 2020 zieht. Wohlwollend indes heißt es aus der Partei, dass der 51-Jährige bereit sei, für seine Positionen zu kämpfen. Selbst für die aussichtslosen.

Dass sich der Landeschef Roland Heintze und der Fraktionsvorsitzende André Trepoll nach WELT-Informationen für Weinberg als Herausforderer von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) entschieden haben, ist auf den ersten Blick überraschend. Wer jedoch tiefer in die von Tragik geprägte Kandidatensuche eintaucht, empfindet die Entscheidung letztlich als naheliegend. Die ursprüngliche Wunschkandidatin der Elbchristdemokraten war zunächst die frühere niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan, die jedoch aufgrund einer schweren Erkrankung ihre Zusage zurückziehen musste. Dann galt der ehemalige Kultur- und Justiz-Staatsrat Nikolas Hill als Anwärter, doch auch er erkrankte schwer.

Weinberg ist einer von vier Abgeordneten, die derzeit für die hanseatische CDU im Bundestag sitzen und somit „einer von vielen geeigneten Kandidaten". Alle Optionen lägen auf dem Tisch. Das betonen Heintze und Trepoll seit Monaten. Folglich dementiert die Hamburger CDU-Spitze auf Anfrage die Personalie auch nicht. Nach WELT-Informationen ist Weinberg der Kandidat, den der Landeschef und der Fraktionsvorsitzende nach den Frühjahrsferien Mitte März ihrer Partei vorschlagen wollen. Vorher allerdings müsse der Kandidat noch parteiintern, also in den Gremien, vermittelt werden.

„An weiteren Spekulationen beteilige ich mich nicht"

Da dies bislang nicht geschehen ist, halten sich sowohl Heintze und Trepoll als auch Weinberg bedeckt. Gegenüber WELT drehorgeln alle drei am Mittwoch nahezu die identischen und altbekannten Sätze, wonach sie sich „an den vereinbarten Zeitplan halten". „Der Landesvorsitzende und der Fraktionsvorsitzende werden in den kommenden Wochen einen gemeinsamen Vorschlag präsentieren. An weiteren Spekulationen beteilige ich mich nicht", erklärt Weinberg kurz und knapp.

Dabei rückt mit dem 51-Jährigen ein erfahrener Politiker in das Wahlkampf-Blitzlichtgewitter. Ein liberaler Großstädter, der sich gerne modern und bunt gibt, somit Grüne und FDP an sich binden könnte. Es wäre auch die einzige Chance für die Hamburger CDU, als Regierungspartei ins Rathaus zurückzukehren. Nach einer jüngsten Umfrage im Auftrag des „Hamburger Abendblatts" liegt die CDU derzeit bei nur noch 14 Prozent. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 erreichten die Christdemokraten 15,9 Prozent der Wählerstimmen. Die SPD in Hamburg steht derzeit bei 30 Prozent, die Grünen bei 24, Linke bei elf, FDP bei neun und die AfD bei sieben Prozent.

Weinberg ist ausgebildeter Lehrer für Geschichte, Sozialwissenschaften und Erziehungswissenschaften und sitzt seit 2005 im Bundestag. Dort ist der Vater eines Sohnes seit 2014 familienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion sowie Vorsitzender der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ferner wurde er beim Parteitag der CDU im vergangenen Dezember als einer von 26 Beisitzern in den Bundesvorstand gewählt.

„Er ist einer der wenigen Geradlinigen, die wir in der Hamburger CDU haben", sagt ein Parteimitglied über Weinberg. Mit dem nötigen Rückhalt könne der 51-Jährige, der unbestritten kompetent und sturmerprobt sei, „einen ordentlichen Wahlkampf machen". Diesen Rückhalt genießt Trepoll zumindest nicht mehr uneingeschränkt. Demnach soll der 41-Jährige in einer der letzten Fraktionssitzungen deutlich aufgefordert worden sein, endlich seinen Verzicht auf die Spitzenkandidatur zu erklären. Denn Trepoll selbst schließt eigene Ambitionen auf die Spitzenkandidatur öffentlich bis heute nicht aus. Inoffiziell hingegen soll sich der Fraktionschef schon vor langer Zeit dagegen entschieden haben.

Auch Weinberg konnte weiteren Absturz der CDU 2015 nicht verhindern

Doch auch Weinberg ist nicht unumstritten in den eigenen Reihen, die ihn als „manchmal sehr impulsiv" und „wenig durchdacht" beschreiben. Auch sei der 51-Jährige kein Stratege. Zwar lenkte Weinberg von 2011 bis 2015 den am Boden liegenden Landesverband. Doch konnte auch er den weiteren Absturz der hanseatischen CDU nicht verhindern und trat vom Amt des Landesvorsitzenden zurück.

Dass ausgerechnet er nun als Spitzenkandidat zurückkehrt, hat aus Sicht eines CDU-Mitglieds wohl noch einen weiteren Grund: 2020 sitzt Weinberg 15 Jahre im Bundestag und hat sich damit Rentenansprüche in Höhe von 37,5 Prozent erarbeitet - 2,5 Prozent für jedes Jahr. Das heißt, er würde von der aktuellen monatlichen Diät eines Bundestagsabgeordneten in Höhe von 9780,28 Euro später eine monatliche Rente von 3667,61 Euro erhalten. „Mit so einer Aussicht gibt man auch schon mal sein Bundestagsmandat für einen Fraktionsvorsitz in der Bürgerschaft auf", sagt ein Christdemokrat. Im Gegenzug dafür könnte Trepoll dann 2021 für den Bundestag kandidieren. Darauf angesprochen, antwortet Trepoll: „Ich finde Hamburg spannender als den Bundestag." Offenbar aber nicht spannend genug, um selbst zu kandidieren.

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