Jana Werner

Autorin und Moderatorin, Hamburg

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Artikel

Von der linken Malaise: Norbert Hackbusch und die Hamburger Linkspartei - WELT

Hamburg

Graue Eminenz der Linken „Erreicht haben wir einiges, aber wir sind noch lernend"

| Lesedauer: 7 Minuten

Seit zehn Jahren sitzen die Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft - und mit ihnen Norbert Hackbusch, Sohn eines Werftarbeiters. Doch trotz Erfolgen wird die Partei ihr Hauptproblem nicht los. Eine Begegnung.

Entspannt sitzt Norbert Hackbusch im Hamburger Schanzenviertel. Die Sonne brennt, die Stadt erlebt den heißesten Frühling seit langem. Der Linken-Politiker genießt es, genau hier zu wohnen, weil sich am liebsten alles draußen abspielt und die Gastronomen schon am Vormittag Tische, Bänke und Stühle vor die Tür stellen und Anwohner und Touristen Platz nehmen, nur wenige Meter vom Autonomentreff Rote Flora entfernt.

Seit 45 Jahren lebt Hackbusch in dem Multikulti-Quartier, in dem linkes Leben blüht wie sonst nirgendwo in Hamburg. Zwischen der Stresemannstraße, dem Schlump und dem Schulterblatt ist der Sohn eines Werftarbeiters erwachsen geworden - und mit ihm seine zwei Kinder. Es ist auch seine Schanze, ein Ort der Selbstfindung. Denn Hackbusch ist ein Paradebeispiel für jene Enttäuschten, die irgendwann Zuflucht bei den Linken suchten. Nun jährt sich der Einzug der Partei in die Bürgerschaft zum zehnten Mal. „Erreicht haben wir seither einiges, aber wir sind noch lernend", sagt der heute 63-Jährige.

Hackbusch wächst im Stadtteil Neuenfelde auf, zwischen Werftarbeitern, Obstbauern und Schützenkönigen. Dörflich, südlich der Elbe, am Westrand der Stadt, noch heute weit von dem entfernt, was in der City pocht, wenngleich das benachbarte Airbus-Werk das Bild des Neuenfelder Idylls verändert hat. „Das war schon immer so, da kann man nichts machen", tönt es Hackbusch seit seiner Jugend entgegen. Als Werftarbeitersohn mache man kein Abitur. „Aber es war doch möglich", sagt er. Gegen die großen Konzerne könne man nie einen Atomausstieg durchsetzen. „Aber wir haben doch einiges geschafft." Die besetzten Häuser an der Hafenstraße und anderswo würden sowieso bald geräumt. „Aber sie existieren noch heute."

Über die Gewerkschaften, die Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung kommt der studierte Geograf und Volkswirt zu den Grünen, baut sie in Hamburg mit auf, sitzt für sie in den 1990er Jahren in der Bürgerschaft - und geht. Die Partei sei ihm damals „mehr und mehr fremd geworden".

Entsetzt wendet er sich ab und findet über die Initiative Regenbogen in der jungen Protestpartei WASG neuen Unterschlupf. „Es musste einfach etwas passieren", erinnert sich Hackbusch an jene Zeit, in der die Hartz-IV-Politik des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder viele aus der SPD und anderen Parteien in die WASG und PDS spült, die 2007 zur Linkspartei verschmelzen. Noch im selben Jahr gründet sich der Landesverband in Hamburg, wiederum ein Jahr später zieht die Linke in die Bürgerschaft ein.

Kluge Köpfe prägen das Bild

Euphorisch sind die Anfangsjahre in diesem diffusen Sammelbecken aus eben jenen Enttäuschten wie Hackbusch, aber auch Gescheiterten und Vergessenen. Aus Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten, Antikapitalisten, Grünen. Lebendig sagen die Optimisten, zermürbend die Pessimisten.

Köpfe wie der kluge Welterklärer Joachim Bischoff, die umtriebige Staatskritikerin Christiane Schneider, die abtrünnige Genossin Dora Heyenn und eben Hackbusch, beruflich lange in der Dokumentation eines Verlages tätig, prägen das Bild. „Wir waren alle unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Geschichten", erklärt Hackbusch das Kunststück, daraus eine Einheit zu formen. Das sei mühsam gewesen. Er sagt: „Ich habe noch nie zuvor in meinem politischen Leben solch eine heterogene Truppe erlebt. Wir waren sehr bunt."

Bunt wie das Schanzenviertel, das seit Jahren hin und her gerissen zwischen Linksalternative und Gentrifizierung, zwischen 1.-Mai-Krawallen und Avantgarde-Boutiquen, zwischen Wurzeln und Aufbruch einen eigenen Weg geht. Ein Stück weit unverstanden.

So fühlen sich zunächst auch die Elb-Linken. Dabei avanciert insbesondere Heyenn, die die Fraktion sieben Jahre lenkt, zum Garant für Wahlerfolge. „Wir haben relativ schnell unseren Platz im Parlament gefunden und sind als gestalterische Kraft in der Stadt wahrgenommen worden", sagt die inzwischen 69-Jährige und betont: „Wir haben viel erreicht, ernsthafte, sachliche und pragmatische Auseinandersetzungen geführt und die akuten Themen in den Vordergrund gerückt." Dazu zählt Heyenn die mittlerweile geltende Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Universität. „Das waren tolle sieben Jahre", sagt sie. Es sei keineswegs immer gut gegangen. Sie ergänzt: „Streit ist gut, solange man das Gesicht wahrt und lösungsorientiert argumentiert."

Der obsessive Drang zur Selbstzerfleischung

Irgendwann gelingt das Rangeln um Kompromisse mit ihr nicht mehr. Heyenn wird ein Opfer jener linken Malaise, die regelmäßig ausbricht: der obsessive Drang zur endlosen Diskussion, zu Grabenkämpfen, zur Selbstzerfleischung, tief verankert in der Basis, bundesweit. „Wenn man sich intern stärker bekämpft als sich mit dem politischen Gegner auseinanderzusetzen, dann ist das Gift für eine Partei", resümiert Heyenn.

Eine Tatsache, die auch Hackbusch beschäftigt. Er fühlt sich keiner Strömung innerhalb der Linken zugehörig. Es missfällt ihm, dass sie zu einem beherrschenden Moment in seiner Partei geworden sind. „Sahra Wagenknecht zum Beispiel", sagt er, „ist eine starke Person mit guten Ideen, aber sie muss auch eine starke Partei bilden können - und das ist nicht ihre Stärke." Hackbusch hält inne. „Es geht nur zusammen", fordert er, noch sei die Linke „keine Einheit". Dabei sei Zusammenhalt in Zeiten großer gesellschaftlicher Herausforderungen und notwendiger Antworten wichtiger denn je. „Alle Parteien müssen gewappnet sein, aber dazu sind alle Parteien im Moment zu schwach."

Heyenn erkennt bei den Linken keine Linie mehr. „Die Linksfraktion agiert sehr widersprüchlich, erst einmal ist man prinzipiell gegen alles, gegen jede Veränderung, wenig kompromissbereit und nicht konstruktiv", glaubt Heyenn und zitiert Gregor Gysi: „Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig." Eine Aussprache zwischen Heyenn und ihren alten Weggefährten gibt es bis heute nicht. „Wohin soll das führen?", fragt die 69-Jährige, das Thema sei abgehakt. Sie fühlt sich sehr wohl in der SPD, die Partei, zu der sie zurückgekehrt ist.

„Wir haben mehr Gespür für die Menschen"

Ihren langen Schatten haben die Linken verscheucht. An der Spitze der Fraktion agieren jetzt Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir. Ein Tandem aus dunkelrotem Establishment und couragiertem Nachwuchs. Vor allem die 29-jährige Özdemir verkörpert Moderne. Die Tochter einer kurdischen Einwandererfamilie, schlafwandlerisch sicher im Umgang mit sozialen Medien, bindet neue Wähler, die über Armut, Grundrechte und die Gefahren des Dschihadismus sprechen wollen.

„Statt in Behördensprache vermitteln wir unsere Themen heute so, dass uns junge Menschen verstehen", sagt Özdemir, die im Juni für den Bundesvorstand kandidiert. Ein erster Erfolg ist der Doppelspitze geglückt. Gelten sie doch als Auslöser für das Scheitern der Hamburger Olympia-Bewerbung 2015, indem sie die indifferente Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung politisch greifbar gemacht haben.

Das sei es eine Fähigkeit, die die Linken von anderen Politikern unterscheide, glaubt die graue Eminenz Hackbusch. „Wir haben mehr Gespür für die Menschen." Das Hauptproblem der Partei indes ist geblieben: die interne Kakofonie, die sich bis heute in der Ideologie der Linken widerspiegelt. Noch einmal hält Hackbusch inne. „Uns wird viel zugetraut, wir werden noch größere Unterstützung erhalten." In Hamburg leben „200.000 Menschen unter der Armutsgrenze und 20 Prozent der Kinder von Hartz IV". Auf der anderen Seite sei der Reichtum kräftig gewachsen. „Das ist nicht nur schreiend ungerecht, sondern gefährdet die Zukunft dieser Stadt."

Der Hanseat, der beim Sprechen über den spitzen Stein stolpert, weiß aber auch: „Wir sind noch nicht fertig damit, eine konkrete gesellschaftliche Alternative zu werden." Ein Beispiel: „Wir kritisieren die Verkehrspolitik der Stadt, aber ein umfassendes Konzept, wie der Verkehr stattdessen aussehen soll, haben wir noch nicht." Auch deshalb ist Hackbusch noch immer aktiv. Um diese Welt zu verändern. Dafür ist er angetreten.

Von seiner lieb gewonnenen Umgebung wird sich Hackbusch indes verabschieden. Er verlässt die Schanze. Es fällt ihm nicht leicht, aber er muss gehen. „Ich lebe allein in einer kleinen Wohnung, im fünften Stock, ohne Fahrstuhl. Das macht mir Sorge", begründet er. Ein neues Zuhause hat er schon gefunden, in einem Wohnprojekt im Quartier Neue Mitte Altona. Es ist ein wenig betulicher als die alte Heimat, aber nur einen Katzensprung von den Straßen der Schanze entfernt.

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