Jana Petersen

Redakteurin, Autorin, Dozentin, Berlin

5 Abos und 4 Abonnenten

Willkommen in Neuland

/ WIRED Deutschland  / Porträt / Dezember 2016

Die Zukunft ist digital, das haben die Deutschen nun auch endlich kapiert. Wo steht dieses Land also, wo will es hin? Das wollten wir herausfinden und sind durch Deutschland gereist. Ein Mosaik in fünf Etappen. (Teil 4)


Berlin // Mitte Oktober 2016



Vielleicht beschreibt die Tatsache, dass es dieses grüne Metalltor gibt, Verena Pausder am besten. Das Tor befindet sich in der Mauer zwischen einer Privatschule in Berlin-Mitte und Pausders Digitalwerkstatt, wo die Schüler von nebenan Programmieren lernen. Der Weg über den Hinterhof ist kurz, aber seit in der Schule umgebaut wird, sollen die Schüler um den Block herumlaufen, ein Riesenumweg. Andere hätten sich damit abgefunden. Pausder hat ein Loch in die Hofmauer reißen und das Tor einbauen lassen. „Das wären sonst 15 Minuten Umweg gewesen, das geht alles vom Coden ab“, sagt sie.

Manche nennen die 37-Jährige schon das deutsche Postergirl der Startup-Szene. Pausders Büro ist ein paar Hofeingänge von der Digitalwerkstatt entfernt, Backsteinwand, Holzdielen, eine Sitzgruppe für Kinder. Sie sagt nun: „Die Digitalisierung der Bildung ist ein langsamer Fluss, der ständig gestaut wird. Wir räumen die Steine aus dem Weg.“

Pausder verbringt viel Zeit damit, Kindern die digitale Welt nahezubringen. In der Digitalwerkstatt, in der Kinder an Technologie herangeführt werden. Und mit der Firma Fox & Sheep, die hochwertige Apps für Kleinkinder entwickelt, 15 Millionen Downloads bisher. Das Unternehmen bringt das Geld ein, die Digitalwerkstatt ist Idealismus, „keine cash cow“. Fox & Sheep hat Pausder im Jahr 2012 zusammen mit Moritz Hohl gegründet, im vergangenen Jahr haben sie die Firma an HABA verkauft. Der Holzspielzeug-Hersteller soll eine zweistellige Millionensumme bezahlt haben. Pausder behielt einen Anteil, blieb Geschäftsführerin und hatte die Idee zur Digitalwerkstatt – und mit HABA einen solventen Partner.

Die Digitalisierung der Bildung ist wohl eines der dicksten Bretter, das die Bundesregierung durchbohren müsse, meint Pausder. Infrastrukturell komplex, emotional aufgeladen. „Wenn mir jemand das Thema auf den Tisch legen würde, das wäre der reinste Horror.“ Aber es geht voran. In einer Umfrage, die jüngst von der Körber-Stiftung veröffentlicht wurde, sprachen sich 59 Prozent der deutschen Eltern für ein Schulfach Programmieren aus. Google, Microsoft, Samsung, Stiftungen, Hochschulen, die Bundesregierung – alle wollen Kindern das Coden beibringen. Gerade hat Bildungsministerin Johanna Wanka ein Digitalpaket für Schulen angekündigt, fünf Milliarden Euro sollen bis 2021 in WLAN-Netze für Schulen fließen. Bisschen spät, bisschen wenig, könnte man sagen. Oder: endlich.

24 Klassen kommen Woche für Woche in die Digitalwerkstatt, alle von der Privatschule. Pausder ist in Kontakt mit staatlichen Schulen, noch besuchen die sie nur zu Projekttagen, mehr ist wegen der engen Lehrpläne nicht drin. „Ich war optimistischer, bis ich mit Schulleitern gesprochen habe. Die sagen: ,Macht ihr schön weiter, wir können das in den nächsten zehn Jahren nicht leisten.‘“

Vielleicht kann nur jemand wie Pausder es mit dem verkrusteten deutschen Schulsystem und seinen föderalistischen Verästelungen aufnehmen: jemand, der sich die Abkürzung durch die Wand schlägt und nicht auf Ausschüsse und Rahmenlehrpläne wartet. Jemand wie Pausder, der das Unternehmertum – und hier stimmt ein Klischee ausnahmsweise – wirklich im Blut liegt: Ihre Familie führt seit 1722 einen Stoffhandel in Bielefeld, mittlerweile in neunter Generation. Pausders Lebenslauf selbst liest sich wie eine Mission aus Need for Speed: erste Gründung mit 19, ein Sushi-Restaurant. Dann: BWL in St. Gallen, Trainee bei der Münchener Rück, Managerin einer Online-Agentur. Wieder eine Gründung, CEO of the Future, Head of Sales einer Bertelsmann-Tochter für eLearning-Tools. Geschäftsleiterin bei Young Internet, die Online-Gaming für Kinder anbieten. 2012 schließlich Fox & Sheep.

Zwei Kinder hat Pausder, Henry und John sind sechs und acht, einen dritten Sohn brachte ihr zweiter Mann in die Ehe. Pausder war im achten Monat schwanger, als sie bei Young Internet unterschrieb, vier Monate nach der Geburt war sie Geschäftsführerin. Teilzeit kommt für sie nicht infrage. Sie bloggt, bespielt Podien, organisiert Veranstaltungen für Unternehmerinnen, engagiert sich für Gründer und social entrepreneurs. Sagenhaft gut Fußball soll sie auch noch spielen.

Pausder zeigt nun auf kleine Figuren, die auf dem Tisch in ihrem Büro stehen, Biegepuppen, eigentlich sind sie für eine Puppenstube gedacht, HABA stellt sie seit Langem her. In der Digitalwerkstatt will Pausder Kindern zeigen, wie sie damit Stop-Motion-Filme drehen können. Ihre Söhne haben auch einen gedreht, Pausder zeigt den Film auf dem Telefon. „Uns fehlen die Bilder dafür, wie Digitales auch kreativ sein kann“, sagt sie. „Wenn man die Wörter, Kind, Smartphone, Zimmer‘ hört, dann denkt man sofort an ein daddelndes Kind. Niemand denkt an eines, das einen Film mit seinen Lego-Figuren dreht.“

Wenn Pausder digitale Bildung sagt, dann denkt sie nicht nur an Programmieren in Schulen. Mit der Digitalwerkstatt geht es ihr um mehr: den kreativen Umgang mit Technologie. Es geht um eine neue Haltung. Vom Konsum zum Handeln. Vom Anwender zum Gestalter. Von der Überforderung zur Selbstbestimmung. „Es gibt so viele Panels zu dem Thema, wo sich alle irgendwelche Hirnströme um die Ohren werfen“, sagt sie. „Aber wenn du Kinder beobachtest, die Minecraft spielen oder Stop-Motion-Filme drehen – die sind hellwach.“ Pausder blickt auf ihr Smartphone, eine Menge Termine sind da für den Rest des Tages eingetragen. Treffen mit Ministern, Investoren, Influencern? Sie lacht. Nein, sie muss jetzt in die Schule. Gleich ist Elternsprechtag.