Immer mehr Menschen strömen in den Saal. Es ist schwer, sich durch den Raum zu bewegen, ohne auf Füße, Hände, Beine zu treten. Édouard Louis' Jünger und Jüngerinnen lagern, sitzen, stehen überall. Sie liegen dem 25-jährigen französischen Kultschriftsteller(Im Herzen der Gewalt) zu Füßen, dem berühmten Schüler von Didier Eribon. Mit großen Augen, halb geöffnetem Mund und durchgedrücktem Rücken sehen die jungen Deutschen auf zu dem jungen Pariser Meisterdenker, der in diesem Semester die Samuel-Fischer-Gastprofessur der Freien Universität in erhielt. Er könnte aufgrund seines Alters problemlos untertauchen in der Masse der ihm andächtig Lauschenden. Aber Louis steht für sich. Warum? Der Schriftsteller nutzt seine Biografie als Ausgangspunkt für seine Literatur: den am eigenen Leib erfahrenen Sexismus und Rassismus, die selbst erlebte Homophobie und Gewalt. Und er fordert: Wenn ihr schreibt, gebt denen eine Stimme, die nicht zu Wort kommen. Das unterscheidet ihn von den anderen im Saal: Er trägt das Leid, von dem er schreibt, in sich, weil er von ganz unten kommt. Die Revolte gegen das Vergessenwerden brennt in ihm und gibt ihm eine Präsenz, die seine Bewunderer begierig in sich aufsaugen. Und die sie beim Verlassen des Saals als wohligen Schauer nach Hause tragen. Und, dort angekommen, auch wieder hinter sich lassen.