Der jüngste Autor bei Diogenes heißt Benedict Wells. Sein Werk ist ein überzeugender Künstlerroman voll drogengeschwängerter Unruhe und ein Tribut an Bob Dylan.
Von Jan Söfjer
Er ist erst 24 Jahre alt und hat es schon geschafft. Benedict Wells ist jüngster Autor bei Diogenes. Aber damit solle man ihn bitte nicht nerven. Die "egoverseuchende und aufgeblasene Publicity" ist nicht seine Sache. Nach dem Abitur zog Wells von München nach Berlin und anstatt ein Studium zu beginnen, beschloss er, einen Roman schreiben. Seine Freunde erklärten ihn für verrückt. Vor allem, als er nach zwei Jahren immer noch nichts erreicht hatte. Doch Wells blieb auf Kurs - und kam an Land.
Sein Buch beginnt Ende der Neunziger, "diesem vergeudeten Jahrzehnt", mit der Midlife-Crisis eines End-Dreißigers. Das ist Robert Beck, Lehrer für Deutsch an einem Münchener Gymnasium. Eigentlich wollte er Rockmusiker werden beziehungsweise bleiben, aber dann kam die Verschwörung, der drängende Vater, das zu Ende gebrachte Lehramtsstudium, und schon stand kein sportlicher Leadsänger mehr vor dem Badezimmerspiegel, sondern ein untersetzter, verbitterter Pädagoge.
Erlösung versprechen die quirlige Mitzwanzigerin Lara, die ihn nach Italien lockt und sein Schüler Rauli, ein pubertierendes Musikgenie aus Litauen, das Beck managen und damit den Weg zurück ins Business finden möchte. Doch wie kommt ein Bursche Anfang Zwanzig dazu, ein 450-Seiten dickes Buch über einen 37-Jährigen in einer Lebenskrise zu schreiben? Und vor allem: Wirkt das glaubhaft? Die Antwort ist: Ja.
Immer wieder meldet sich der Autor in kurzen Einschüben zu Wort und plaudert über sein Verhältnis zu "seinem" Lehrer zur jeweiligen Zeit. Dennoch ist "Becks letzter Sommer" bei weitem kein ausschließlich biographisches Werk. Mit 16 fuhr Wells zwar mit dem Auto durch Osteuropa nach Istanbul: Ein Road-Trip, den im Buch Beck gemeinsam mit seinem Freund, dem manisch-depressiven Deutsch-Afrikaner Charlie (auch in der Krise), und dem Wunderkind nachfährt.
Spätestens hier wird deutlich, dass es sich bei dem Wunderkind von Diogenes nicht um ein solches handelt. Da ist nicht nur ein frühreifer Junge nach Berlin gezogen und hat sich furchtbar kreativ gegeben, nein, da stecken Erfahrungen dahinter. Erst das Abenteuer, dann das Schreiben. Aber gibt es denn noch Fluchten in unserer durchglobalisierten Welt?
Schon der Dandy-Literat Christian Kracht hat in seinen frühen Werken diese Hoffnungslosigkeit beschrieben. Wells aber ist nicht so ein weltmüder Florett-Fechter, er ist ein Taschendieb auf der Jagd nach Aufmerksamkeit. Wells, der den schmissigen Dialog beherrscht, zeigt uns die entgleisenden Gesichtszüge, wenn wieder eine Lebenslüge enttarnt wird: "In diesem Moment fragte sie ihn, warum er hatte Lehrer werden wollen. Beck dachte nach. Er wollte ja nie Lehrer werden!" Dann antwortet er: "Ich bin Lehrer geworden, weil ich gern mit jungen Menschen arbeiten wollte." "Das nimmt dir keiner ab." "Na, dann eben nicht."
Das Leben holt jeden wieder ein
Die drogengeschwängerte Unruhe der Beatniks ist eine bewährte Mixtur, an die er anknüpft. Wells hat seine Kapitel nach Songs von Bob Dylan benannt. Vor allem die zweite Hälfte des Buchs, die B-Seite, lässt den Sound weicher und die Töne lang und warm werden. Der Road-Trip nach Istanbul wird zur Sinnsuche im Innenleben der Protagonisten; und einmal spricht in einer Halluzination sogar ein gewisser Robert Zimmerman zu Beck: "Sie sind hier, weil Sie keine Entscheidungen treffen. Und das ist schlecht. Denn wenn Sie es nicht tun, dann tut's das Leben für Sie. Und das Leben trifft oft die schlechteren Entscheidungen, weil es Schwäche und Zögern bestraft. Die Welt ist für die Mutigen gemacht, der Rest schwimmt nur mit. Die Frage ist also: Sind sie wenigstens ein guter Schwimmer?"
Am Ende geht es natürlich um den großen Schritt: Selbstverwirklichung, das Künstlerwerden. Es ist dem Autor besonders anzurechnen, dass er das Klischee der vollkommenen Befreiung überwindet. Das Leben, so die Botschaft, holt einen immer wieder ein.
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