Jan Klauth

Journalist, Die WELT, Berlin

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Centogene-Chef: „In ein bis zwei Monaten könnten wieder Großveranstaltungen stattfinden" - WELT

Wirtschaft Massentest-Hersteller

„In ein bis zwei Monaten könnten wieder Großveranstaltungen stattfinden"

Arndt Rolfs, Chef des Rostocker Biotech-Unternehmens Centogene, hat das erste Corona-Testzentrum an einem deutschen Flughafen eröffnet und bringt nun einen Selbsttest für zu Hause auf den Markt. Er hat auch eine gute Nachricht für Kultur- und Sportbegeisterte.

Die Deutschen fliegen wieder in den Urlaub und gehen auf Dienstreisen, aber wer künftig aus einem sogenannten Risikogebiet einreist, soll sich auf das Coronavirus testen lassen. Darauf einigten sich die Gesundheitsminister der Länder am Freitag. Zwar bleiben die Tests freiwillig, wer aber keinen Negativbescheid vorweisen kann, muss 14 Tage in Quarantäne. Die Kosten teilen sich Bund und Länder. Passagiere müssen für den Test folglich nicht mehr bezahlen.

Das Rostocker Biotech-Unternehmen Centogene bietet bereits solche Tests an. Unter der Leitung von Centogene-Chef Arndt Rolfs ist ein entsprechendes Testzentrum am Flughafen Frankfurt gebaut worden. Der Arzt und Unternehmer möchte nun auch Corona-Selbsttests für daheim unters Volk bringen, erzählt er im Gespräch mit WELT.

WELT: Herr Rolfs, seit knapp einem Monat testen Sie Passagiere am Frankfurter Flughafen auf das Coronavirus. Was sind die bisherigen Ergebnisse?

Arndt Rolfs: Wir haben rund 25.000 Personen getestet, etwa 80 Prozent davon waren Reiserückkehrer. Insgesamt waren circa 70 Tests positiv.

WELT: Ist das nun gut oder schlecht?

Rolfs: Nun ja, jede frühzeitig aufgedeckte Covid-19-Infektion hat eine weitere Infektionskette unterbrochen - insofern ist es ist natürlich gut, dass wir diese Menschen mit Hilfe unseres Tests diagnostizieren konnten. Generell liegt die Zahl innerhalb der erwarteten Größenordnung. Beunruhigend ist, dass fast alle positiv Getesteten aus Nicht-Risiko-Ländern kommen. Gerade vor diesem Hintergrund bin ich mir sicher: Die Strategie der flächendeckenden Tests der Passagiere auf Flughäfen wird die Zukunft sein. Wir brauchen innovative Lösungen, denn die Alternative kann doch nicht sein, alle Menschen zu Hause zu isolieren. Niemand möchte in einer deprivierten Gesellschaft leben, in der vieles, was einen sozialen Wert hat, nicht mehr funktioniert.

WELT: Was passiert, wenn ein Test positiv ist? Sagen Sie den Leuten dann, dass sie leider nicht in den Urlaub fliegen können?

Rolfs: Ja, das kam schon vor, natürlich in Zusammenarbeit mit den zuständigen Gesundheitsämtern beziehungsweise den Fluggesellschaften

WELT: Virologen sagen, es sei nicht sinnvoll, große Menschenmassen ohne Symptome ins Blaue hinein zu testen. Eher sollte man sich gezielt auf Altersheime oder Krankenhäuser konzentrieren, wo viele Menschen den Risikogruppen angehören.

Rolfs: Das stimmt prinzipiell, aber bei flächendeckenden präventiven Tests sollte das keine Entweder-Oder-Entscheidung sein. Es muss beides stattfinden. In Altenheimen ist es notwendig, ein bis zweimal die Woche zu testen. Parallel dazu müssen wir aber auch außerhalb der Risikogruppen testen - und zwar auch Menschen ohne Symptome. Denn wenn wir die Pandemie und Infektionsketten von Beginn an bekämpfen wollen, geht das nicht, indem wir erst testen, wenn jemand klinische Symptome hat. Die kommen ja erst nach einigen Tagen zum Vorschein - wenn überhaupt. Etwa 90 Prozent der positiv getesteten Menschen am Flughafen hatten keine Symptome.

WELT: Schon vor Monaten sagte der Laborverband, flächendeckende Massentests seien nicht nur eine finanzielle Frage, sondern in dem von Ihnen geplanten Umfang logistisch nicht machbar.

Rolfs:(lacht) Derlei Äußerungen hatten sicherlich eine politische und auch eine den Berufsstand schützende Intention. Die Labore, die in diesem Bereich agieren, sind in den letzten zehn Jahren - auch vor dem Hintergrund diverser Gesundheitsreformen - eher auf Wirtschaftlichkeit optimiert worden, jedoch nicht auf Innovation. Sie waren anfangs deshalb nicht in der Lage, die Tests in diesem Umfang durchzuführen, weil es Engpässe bei den Testherstellern und logistischer Art gab. Die Notwendigkeit von breiten präventiven Tests wurde also kleingeredet, weil man den Markt nicht aus der Hand geben wollte. Innovative Unternehmen, die sehr schnell ein Hochdurchsatzverfahren samt weltweiter Logistik anbieten konnten, wurden nicht als hilfreiche Ergänzung in der Krise empfunden, sondern als Konkurrenz. Zu glauben, wir hätten nicht ausreichend Ressourcen für Massentests, ist für Deutschland falsch. Die Engpässe sind kein Thema mehr und PCR-Tests im Übrigen keine Raketenwissenschaft, sondern ein Standardverfahren. Auch die Kosten werden in Zukunft weiter sinken.

WELT: Andererseits wurde die Testkapazität in Deutschland über Monate nicht ausgelastet, sondern liegt weiterhin bei mehr oder weniger 50 Prozent. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Rolfs: Das Robert Koch-Institut und das Gesundheitsministerium propagierten über Monate, es sollten nur Erkrankte getestet werden. Das hat sich bei vielen Ärzten verfestigt.

WELT: In Altersheimen wird jedoch nach wie vor nicht genügend getestet. Warum kann aber jeder Urlauber einen Test bekommen?

Rolfs: Das ist eine fehlerhafte, politische Allokation und muss dringend überdacht werden.

WELT: Sehr diplomatisch.

Rolfs: Unser Testzentrum zeigt, dass Massentests logistisch funktionieren. Aber es ist völlig klar, dass Alten- und Pflegeheime extrem wichtig in einer Teststrategie sind, denn gerade bei älteren Menschen schlägt sich die Isolation stark auf das psychische Befinden nieder, und nur regelmäßiges Testen erlaubt eine Lockerung beziehungsweise Aufhebung der Isolationsstrategie. Da darf es keine Kompromisse geben. Die Politik muss Zustimmung vermitteln und nicht nur Lippenbekenntnisse.

WELT: Der Aktienkurs von Centogene fiel nach der Eröffnung des Testzentrums um mehr als die Hälfte. Wie erklären Sie sich das?

Rolfs: Da bin ich ganz entspannt, wir sehen schon wieder eine leichte Erholung in den letzten Tagen. Aber Sie haben Recht, es gab einen großen Einbruch, der in zeitlichem Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung stand, nicht mit der Eröffnung des Testzentrums. Darin sehen wir auch die Erklärung. Bei mittelgroßen Unternehmen mit einer begrenzten Freefloat-Liquidität kann der Verkauf selbst kleinerer Positionen große Kursbewegungen auslösen, die oft wiederum Folgeverkäufe über Stopp-Loss Marken auslösen. Wir rechnen aber mit einer baldigen Erholung der Aktienwerte.

WELT: Nun bekommen Sie jedenfalls Konkurrenz. Unternehmen wie der Militär-Dienstleister Ecolog wollen Massentests für Urlaubsrückkehrer an Flughäfen etablieren.

Rolfs: Konkurrenz ist immer gut, für den Nutzer ohnehin. Wir sind mit unserer medizinischen Leistung und dem Gesamtkonzept mit kurzen Wartezeiten und einer eigenen App gut aufgestellt. Bei den hohen Testzahlen muss man aber auch sagen: Da ist im Zweifel auch Platz für zwei.

WELT: Centogene bringt nun einen Selbsttest auf den Markt, der bei Amazon für 79 Euro bestellbar ist. Die Krankenkassen zahlen dafür aber nicht.

Rolfs: Nein, und das ist auch richtig so. Denn das ist keine kassenärztliche Leistung.

WELT: Es gibt Ärzte, die sagen, der Laie daheim sei nicht in der Lage, den Abstrich korrekt durchzuführen, so dass genügend Speichel aus dem Rachenraum am Stäbchen haften bleibt.

Rolfs: Da muss ich doch schmunzeln, das ist eine typisch deutsche Denkweise. Wir lieben ja die hundertprozentige Hochglanzlösung. Ich finde, wir müssen deutlich pragmatischer und lösungsorientiert denken: Bei einer Pandemiebekämpfung geht es um Balance - wenn ich hundertprozentigen Schutz will, dann muss ich jeden daheim isolieren, ganz einfach. Bei unserem Test wird übrigens die Zahl der menschlichen Zellen quantifiziert, die in der Probe sind. Die Mindestanzahl, die wir uns über den Abstrich als Kontrolle für die Korrektheit der Ausführung der Probengewinnung wünschen ist etwa 10 hoch 4. Eine deutlich niedrigere Menge würde als nicht auswertbar zurückgeschickt. Außerdem ist eine Anleitung beigelegt und es gibt ein Erklär-Video bei Youtube. Der Nutzer weiß also, dass er einen Würgereiz spüren sollte, um nahe genug an der Rachenhinterwand abzustreichen und nicht nur auf der Zunge herum zu kratzen. Unser Ziel ist es, dass Testen zu einer alltäglichen Lösung zu machen, genau wie das Zähneputzen. Dafür braucht man keinen gigantischen medizinischen Stab.

WELT: Außerdem kooperieren Sie seit Neustem mit einer Veranstaltungsfirma. Das ist doch eher ungewöhnlich für ein Biotech-Unternehmen. Das Modell der schnellen Massentests am Flughafen soll demnach auch übertragbar auf Großveranstaltungen wie Konzerte oder Fußballspiele sein?

Rolfs: Ich selbst bin kein Fußballfan, aber ja, sicher. Mir persönlich fehlen Konzerte und Opernbesuche sehr. Wir müssen als Gesellschaft an Konzepten arbeiten, die solche Veranstaltungen wieder realisierbar machen. Schulische Ausbildung zählt übrigens auch dazu. Weder Maske noch Social-Distancing bringt einen hundertprozentigen Schutz, dagegen ist testen die sicherste Variante, auf jeden Fall für die folgenden zwei bis drei Tage.

WELT: Wie soll das konkret funktionieren? Nehmen wir ein Konzert. Die Besucher müssten sich Stunden vorher zum Test einfinden, für den sie zusätzliche Kosten zu tragen haben?

Rolfs: Es gibt mehrere Möglichkeiten. Selbst-Abstriche daheim sind schnell und sind eine wichtige Option. Auch ein mobiles Labor am Veranstaltungsort wäre denkbar. Zudem macht die Corona-Warn-App bei Großveranstaltungen Sinn. Aber zu den Kosten: Auch hier gibt es nicht nur schwarz-weiß. Wenn dadurch wieder ein normales, kulturelles Leben realisierbar ist, glauben wir, dass die Besucher bereit sind, dafür zu bezahlen. Davon würden auch die Veranstalter und Künstler profitieren, die es ja wirtschaftlich sehr hart getroffen hat.

WELT: Wann konkret wären demnach Großveranstaltungen wieder möglich?

Rolfs: Wenn alle Akteure Hand in Hand arbeiten, würde ich sagen in den nächsten ein bis zwei Monaten - sicherlich mit regionalen Unterschieden.

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