SENDETERMIN Sa, 04.11.17 | 16:00 Uhr | Das Erste
Sieben Uhr morgens in der Nähe des bayerischen Kelheim in der Oberpfalz: Michael Reng hastet zum Eingang des Altersheims. Reng ist Notarzt und ist vor etwas über 20 Minuten alarmiert worden. Eine Heimbewohnerin ist gestürzt und ist schwer verletzt. Schon als Reng noch über den Gang zu ihrem Zimmer rennt, hört er ihre Schmerzensschreie. Die Rettungssanitäter sind zwar schon da, aber sie dürfen der Frau keine Schmerzmittel nehmen. 20 Minuten - manchmal dauert es auch 30 Minuten oder noch länger bis Reng bei einem Notfall ist.
Die Wege auf dem Land sind weit und der Rettungshelikopter kann nicht immer fliegen. So wie heute: Südbayern liegt im dichten Nebel. Hubschrauber dürfen da nicht fliegen. Aber nicht nur die Wege zum Patienten sind weit, sondern auch die mit dem Kranken oder Verletzten zurück ins Krankenhaus. Und die Wege sind in letzter Zeit quasi noch länger geworden. Vielen Krankenhäusern ist es zu teuer geworden, für jeden Notfall Personal und Technik bereit zu halten. Also haben sie ihre Notfallambulanz geschlossen. Vielerorts auf dem Land wurden auch gleich ganze Kliniken stillgelegt.
Rengs Patientin hat sich vermutlich die Hüfte gebrochen - schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich. Er gibt ihr Schmerzmittel und lässt sie von den Rettungssanitätern in die Kreisklinik nach Kelheim fahren. "Hätte die Patienten jetzt statt eines Bruchs einen Herzinfarkt", so Rettungssanitäter Christoph Kühnl, "wäre ein Herzkatheter nötig gewesen. Dann hätten wir die Uniklinik in Regensburg anfahren müssen und da ist eine halbe Stunde Anfahrt mal gar nichts." Bis ein Herzinfarktpatient also versorgt wird, kann leicht eine Stunde vergehen.
Weniger Krankenhäuser, weniger Notärzte, lange WegeDie langen Wege sind aber nicht die einzige Sorge von Michael Reng. Er ist schon lange Notarzt und erlebt seit Jahren, dass nicht nur die Zahl der Krankenhäuser sondern auch die der niedergelassenen Ärzte auf dem Land abnimmt - und damit diejenigen, die Notärzte stellen. Reng bildet selber aus und sein Krankenhaus unterstützt ihn dabei - wie lange noch, weiß er nicht, "denn das ist mühsam und kostet Geld. Und wenn niedergelassene Ärzte und kleine Krankenhäuser fehlen, dann fehlen eben auch Notärzte."
Die Situation im bayerischen Kelheim ist keine Ausnahme. Recherchen von [W] wie Wissenergeben eine ähnliche Situation in vielen Regionen Deutschlands. Beispiel Oberpfalz in Bayern: Hier gab es vor wenigen Jahren noch acht Krankenhäuser - jetzt nur noch eines: "Das kann dazu führen, dass wir mit der Vorgabe innerhalb einer Stunde den Patienten in ein geeignetes Krankenhaus zu bringen immer grenzwertig unterwegs sind", sagt der dortige Einsatzleiter des Bayerischen Roten Kreuzes, Michael Daiminger. Um die Rettung in dem großen Bezirk noch einigermaßen gewährleisten zu können, hat man hier vor acht Jahren ein Pilotprojekt gestartet und verschiedene Rettungsstellen vernetzt.
Das beginnt schon im Kleinen - etwa mit dem sogenannten Nidapäd, einem Tablet-Computer. Hier kann der Rettungsassistent schon während des Transports des Patienten ins Krankenhaus Daten sammeln - etwa die Art der Verletzung. Das Tablet funkt dann alle Informationen an das Krankenhaus, damit sich die Ärzte dort vorbereiten können. Das soll lebensrettende Zeit sparen. Allerdings sind bisher noch nicht alle Kliniken an das System angeschlossen. Und viele Randgebiete, gerade im Osten der Oberpfalz, haben immer noch Funklöcher.
Vernetzte ÄrzteWenn Daiminger schwerverletzte Patienten zu versorgen hat, muss er eigentlich die nächste Uniklinik ansteuern. Das würde selbst bei guten Straßenverhältnissen eine Stunde dauern. Also geht es seit Kurzem auf jeden Fall ins Kreiskrankenhaus des Bezirks. Dort steht immerhin ein moderner Computertomograph und es gibt eine schnelle und sichere Datenleitung in die 50 Kilometer entfernte Uniklinik, sodass die dortigen Spezialisten die hochaufgelösten CT-Bilder begutachten können - und angeblich klappt die Ferndiagnose gut: "Durch die modernen Techniken, CT und Kernspintomographie, können wir den Patienten quasi so gläsern machen, dass wir ihn auch über die Distanz richtig sehen können", versichert der Leiter der Unfallchirurgie Michael Nerlich. Bislang habe man immer sicher die richtige Diagnose stellen und den Kollegen im Kreiskrankenhaus schnell helfen können. Mit dieser Tele-Medizin soll das Rettungswesen künftig auf dem Land aufrecht erhalten werden. Solche Netzwerke gibt es mittlerweile bundesweit nicht nur für Verletzungen, sondern auch für Schlaganfälle und Herzinfarkte.
Hubschrauber mit speziellen SuchscheinwerferEin weiteres technisches Hilfsmittel, auf das die Retter immer mehr setzen sind besondere Helikopter. Helikopter fliegen auf Sicht. Und da schon kleinste Hindernisse sie abstürzen lassen, sind Flüge nachts verboten. Dennoch gibt es allein drei in Bayern, die nachts fliegen können. Sie haben einen speziellen Suchscheinwerfer. Der Pilot kann sowohl die Richtung als auch die Leuchtweite per Joystick steuern. Das Wichtigste für den sicheren Nachtflug ist aber das auf den Helm montierte Nachtsichtgerät. Es fängt das Restlicht der Umgebung auf und verstärkt es elektronisch um ein Vielfaches. Mit diesem nachtflugfähigem Helikopter schafft der mitfliegende Notarzt 60 Kilometer in einer guten Viertelstunde. Allerdings geht auch das nicht immer: Bei Nebel darf auch dieser Hubschrauber nicht aufsteigen. Eine hundertprozentige Garantie, dass der Rettungsdienst schnell kommt, gibt es auch mit ihm nicht.
Autor: Jan Kerckhoff (BR)Stand: 02.11.2017 21:08 Uhr